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Hawkwood erkannte den Namen. Cabrera war eine winzige Insel, zehn Meilen südlich von Mallorca. Nach allem, was er darüber gehört hatte, schien die Rapacious ein Paradies zu sein. Nach dem Sieg über die Franzosen bei Baylen war es notorisch geworden, als der Comte de l’Etang sein gesamtes Corps von achtzehntausend Mann den Spaniern ausgeliefert hatte. Die höheren Offiziere waren in ihre Heimat abgeschoben worden. Die anderen wurden erst auf die Gefängnisschiffe vor Cadiz gebracht, später auf die Insel. Einige wurden später nach England verlegt. Hawkwood kam der Gedanke, dass die Gefangenen, die die Besatzung der Vengeance im Hafen von Portsmouth im Boot ausgesetzt hatte, vielleicht zu ihnen gehörten.

»Sarazin war auch eine Zeit lang in Millbay. Dort nahm man Zirkelspitzen statt Klingen, aber die fanden wir nicht so wirksam. Davon gibt’s auch nicht viele. Das liegt vermutlich am Geometrie- und Navigationsunterricht, den Ihr Freund Fouchet erteilt.« Der Korse kicherte leise.

Hawkwood starrte erst die Klinge an, dann Matisse. »Und wenn ich nicht kämpfen will?«, fragte er.

»Dann haben Sie Ihren Einsatz verspielt. Der Junge bleibt bei uns. Sein Schicksal liegt in Ihrer Hand, Captain.«

»Und wenn ich gewinne, geben Sie den Jungen dann her?«

»Ich habe es ja gesagt: Wenn das der Fall ist, lasse ich den Jungen frei. Sie haben mein Wort.«

»Wie sind die Regeln?«

»Es gibt keine Regeln«, sagte Matisse.

Einige der Männer lachten.

Lasseur zog die Brauen zusammen. »Wodurch wird der Kampf dann entschieden? Dass einer von beiden blutet?«

»Nein, dass einer von beiden aufhört zu atmen.«

Im Lagerraum wurde es still. Nur das Ächzen der Balken war zu hören.

Aus Lasseurs Gesicht war alles Blut gewichen. »Das ist doch Wahnsinn!«

»Überhaupt nicht, das ist unsere Art, hier für Ordnung zu sorgen. Ordnung muss sein. Das sehen Sie doch ein, nicht wahr? Sie sind Soldaten. Sie verstehen, dass Disziplin notwendig ist. Ohne Disziplin wäre hier das Chaos. Das geht nicht, es würde ja alles in Unordnung bringen.«

»Nein!«, sagte Lasseur. »Das können Sie nicht machen!« Er warf Hawkwood einen verzweifelten Blick zu.

»Oh, doch, das kann ich. Hier unten kann ich alles machen, was ich will.«

Er sah Hawkwood an. Es war eine offene Herausforderung.

In Hawkwoods Kopf meldete sich eine kleine Stimme. Jetzt kannst du noch weg!

»Dann gehen Sie wenigstens mit dem Jungen nach draußen«, sagte Hawkwood. »Das braucht er doch nicht zu sehen.«

Matisse schüttelte den Kopf. »Im Gegenteil, ich denke, es wird ihm sehr guttun. Seine erste Bluttat. Es wird einen Mann aus ihm machen. Wenn Kemel Bey seine Aufgabe erfolgreich löst, dann könnte das auch zum ersten Mal ganz andere Freuden für ihn bedeuten.« Matisse lachte leise in sich hinein und drückte die Schultern des Jungen. »Wie steht’s mit Ihrem Latein, Captain? Sie scheinen ein gebildeter Mann zu sein. Kennen Sie den Ausdruck: Jus primae noctis? Das heißt das Gesetz der ersten Nacht. Auf Französisch nennen wir es Das Recht des Herren. Mein Recht. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie ich mich darauf freue. Unsere Abendunterhaltung ist in letzter Zeit schrecklich langweilig gewesen. Deshalb freuen wir uns immer über Neuankömmlinge. Das gibt uns die Gelegenheit, neue … Freunde kennenzulernen.«

Hinter Dupin bewegte sich etwas. Die stickige Luft knisterte vor Spannung, als der Mameluck sich aus dem Kreis der Männer löste und in den Lichtschein trat. Er hatte seine Jacke ausgezogen. Sein Oberkörper war nackt. Nur mit seiner Pluderhose bekleidet, stand er still und stumm wie eine Statue, seine Arme hingen locker herunter. Er sah weder nach links noch nach rechts.

Lasseur beugte sich vor und flüsterte nervös: »Bitte, sagen Sie mir, dass Sie mit ihm fertigwerden können.«

Hawkwood betrachtete den Mamelucken. Er fragte sich, was dem Mann durch den Kopf gehen mochte. Sein Gesichtsausdruck hatte sich nicht verändert, seine Augen zeigten keinerlei Furcht und auch sonst sah man kein Anzeichen dafür, dass der Mann das Gespräch gehört oder gar verstanden hatte. Hawkwood hatte einmal einen Roboter gesehen, eine wundersame mechanische Erfindung, die ein kleines, perfekt gebautes Männchen in Gestalt eines Türken darstellte. Mittels eines klugen Systems aus Hebeln, Stangen und Schnüren war der Roboter zum Leben erwacht, er verschränkte die Arme und nickte mit dem Kopf, er konnte sogar eine kleine Wasserpfeife rauchen. Kemel Bey sah aus wie eine lebensgroße Version dieses Spielzeugs, eine mechanische Puppe, die auf ihr Kommando wartete.

»Ich hatte auf eine schnellere Antwort gehofft«, murmelte Lasseur. Hawkwood hörte nicht zu. Er sah die Narben auf dem Körper des Mamelucken. Vorhin auf dem Unterdeck waren sie durch die Dunkelheit und die Jacke nicht sichtbar gewesen. Doch jetzt, wo er die Jacke ausgezogen hatte, waren sie im Licht der Laterne gut sichtbar. Sie schienen unsystematisch zu sein. Sie zogen sich über seinen ganzen rechten Arm, vom Handgelenk bis zur Schulter, wie ein Gewirr von Zweigen, die man achtlos auf den Boden wirft. Er hatte weitere Narben auf dem festen, muskulösen Bauch und weiter oben auf der Brust zwischen den Rippen. Die Letzteren waren jedoch alt und zogen sich als helle, leicht wulstige Streifen über die dunkle Haut. Die Narben auf seinen Armen schienen neueren Datums.

Matisses Stimme unterbrach seine Gedanken. »Lassen Sie sich durch die Narben nicht beirren, Captain Hooper. Kemel Bey ist ein ziemlicher Experte mit dem Rasiermesser, aber schließlich hatte er schon viel Übung. Wie viele waren es, Dupin, vier oder fünf?«

»Sechs«, murmelte Dupin. »Sie vergessen den Schweizer.«

»Ah, ja, der Schweizer. Den vergesse ich immer. Na ja, das passiert leicht, es ist ein Volk, das man leicht vergessen kann, genau wie ihr langweiliges kleines Land. Das ist so klein, dass man sich wundern muss, wenn überhaupt jemand weiß, wo es liegt.«

Hawkwood ahnte, dass die frischeren Narben von früheren Rasiermesser-Duellen stammten, die anderen waren wohl Erinnerungsstücke seiner Taten auf dem Schlachtfeld. Was auch ihre Ursache sein mochte, es war klar, dass Kemel Bey seine Erfahrungen mit der Waffe mit Verletzungen und vermutlich auch mit vielen Schmerzen bezahlt hatte. Hawkwood hatte selbst mehr als genug Narben, aber verglichen mit Matisses Vertreter waren es wenige.

Matisse schnippte mit den Fingern. Hawkwood zog die Jacke aus und gab sie Lasseur, der sie mit gemischten Gefühlen entgegennahm. Die Männer traten zurück und zogen Lasseur mit, so dass der Kreis größer wurde. Einige bezogen Stellung zwischen den Spanten des Schiffes, andere setzten sich auf die Tonnen. In der Mitte des Laderaums bildete sich eine kleine Arena.

Hawkwood merkte, wie am unteren Ende seines Rückens Schweißtropfen zusammenliefen. Komisch, dachte, er, dabei war seine Kehle staubtrocken. Er warf Lasseur einen Blick zu. Trotz des schlechten Lichts sah er, dass der Privateer blass war.

Dupin warf dem Mamelucken den anderen Stock zu, an den ebenfalls ein Rasiermesser gebunden war.

»Anfangen«, sagte Matisse.

Der Mameluck griff an.

Hawkwood zog scharf die Luft ein, als das Rasiermesser sich im Bogen seinem Bauch näherte, er schlug mit seinem eigenen Stock gegen die äußere Kante des Stockes herab, den der Mameluck schwang, und atmete aus, als er den Angriff abgewehrt hatte. Holz knallte auf Holz wie ein Pistolenschuss.

Hawkwood hatte den Angriff kommen sehen. Das kaum wahrnehmbare Weiten der Augen, die Anspannung in den Schultern und die fast unmerkliche Gewichtsver lagerung auf das rechte Bein hatten ihm die Absicht des Gegners verraten. Dennoch war die Geschwindigkeit des Mamelucken beeindruckend, ebenso wie seine Kraft. Die Härte des Aufpralls durchlief die Nerven in Hawkwoods Arm vom Handgelenk bis zur Schulter.