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Aus dem Augenwinkel sah Hawkwood, dass Lasseurs Blick ebenfalls auf die Flusslandschaft hinter dem Commander gerichtet war. Es war nicht schwer zu erraten, woran er dachte.

Die Kajüte war sparsam möbliert. Im aktiven Dienst war es üblich, dass jeder Commander den Wohnbereich auf seinem Schiff je nach Geschmack und Umfang des Geldbeutels selbst einrichtete; auf seine Kosten konnte alles an Bord geschafft werden: vom Schreibtisch bis zum Esstisch, vom Sideboard über Besteck, Porzellan und Sektkühler bis hin zu den Teppichen.

Soweit er sehen konnte, hatte Hellard entweder ein geringes Einkommen - was nicht unwahrscheinlich war in Anbetracht seines Ranges und der näheren Umstände seiner Anstellung -, oder die Kajüte war von der Transportbehörde möbliert worden, der Funktionalität wichtiger war als Komfort. Genauer gesagt, Leutnant Hellard hatte keine andere Wahl, als sich mit dem zu begnügen, was man ihm hingestellt hatte, und das war nicht viel. Die wenigen Möbelstücke sahen genau so schäbig und abgenutzt aus wie das ganze Schiff, auf dem sie sich befanden, als habe man sie irgendwo in einem längst vergessenen Lagerhaus einer stillgelegten Werft gefunden und hier an Bord gebracht.

Außer dem Schreibtisch gab es einen Toilettentisch mit Spiegel, von dem Hawkwood vermutete, dass er aus einem Feldzug stammte; ferner ein bejahrtes Stehpult, das in einer Ecke stand, außerdem ein Sideboard mit vier Schubladen und schließlich einen kleinen runden Tisch, um den vier einfache Stühle mit gerader Lehne standen. An den Fenstern hingen dunkelrote Vorhänge, auf der Gardinenstange lag Staub. Es waren keinerlei persönliche Gegenstände zu sehen; kein Aquarell eines Porträts, keine Miniaturen mit Bildern einer Frau, weder auf dem Sideboard noch auf dem Toilettentisch, auch keine Bücher. Die Wand auf der linken Seite war geteilt. Hawkwood nahm an, dass Hellards Bett dahinter stand. Alles in allem war der Wohnbereich des Commanders genauso nüchtern wie der Mann selbst.

Aus der Nähe war Hellard noch hagerer, als er auf Deck erschienen war. Bisher hatte Hawkwood ihn nur aus der Ferne gesehen, eine einsame Gestalt, die auf dem Quarterdeck auf und ab ging, die Hände auf dem Rücken. Aus nächster Nähe traten seine Wangenknochen noch schärfer hervor, waren seine Augen noch melancholischer. Auf Kragen und Schultern seiner Jacke lagen Schuppen.

»Weiß einer von Ihnen, welche Strafe auf Duellieren steht?«

»Es war kein Duell«, sagte Lasseur und nahm Haltung an. »Es war Selbstverteidigung.«

»Wie erklären Sie dann die Stöcke mit den Rasiermessern, die wir im Laderaum gefunden haben?«, fragte Hellard barsch.

»Damit haben Matisses Leute uns angegriffen«, sagte Lasseur. »Wir waren gezwungen, uns zu verteidigen.«

Hellard brummte und sagte: »Leutnant Thynne sagte mir, es sei eine Auseinandersetzung wegen eines Kindes gewesen, die zu dem tödlichen Ausgang führte. Was ist Ihre Version, Hooper?«

Thynne, dessen Gesicht im Licht der untergehenden Sonne kantig wirkte, stand etwas seitlich hinter Hellards Stuhl und kaute an einem Fingernagel. Mit einer halben Drehung nach hinten nahm Hellard seinen Kollegen zur Kenntnis, dann wandte er sich wieder an den Captain.

»Das ist richtig«, sagte Hawkwood. »Matisse ließ den Jungen für sein eigenes perverses Vergnügen entführen, und für das seiner Leute. Captain Lasseur und ich beschlossen, Matisse damit zu konfrontieren, weil wir den Jungen wieder nach oben holen wollten.«

»Warum haben Sie die Wachen nicht über die Entführung des Jungen informiert?«, unterbrach Hellard ihn.

»Weil wir es nicht für nötig hielten. Wir wussten nicht, dass es in Gewalt ausarten würde.«

»Etwas naiv von Ihnen, im Hinblick auf Matisses Ruf«, sagte Hellard.

Lasseur konterte schnell. »Mit Verlaub, Commander, wir sind erst kurze Zeit an Bord. Wir hatten keine Ahnung von Matisse und in welchem Ruf er stand.«

Hellard konsultierte das Register, das vor ihm lag. »Das sehe ich. Da haben Sie beide aber nicht lange gebraucht, um sich in Scherereien zu verwickeln, nicht wahr?«

Der Leutnant sah auf die Papiere. Er nahm einen Federhalter und machte eine Notiz. »Wer von Ihnen hat Matisse getötet?« Er sah nicht hoch, sondern schrieb weiter.

Es folgte ein längeres Schweigen, in dem man nur das Kratzen der Feder auf dem Papier hörte.

»Das war ich«, sagte Lasseur schließlich.

Hellard unterbrach sein Schreiben. Mit einem Ruck hob er den Kopf und kniff seine Augen zusammen. »Würden Sie uns dann vielleicht Ihre Version des Hergangs schildern, Captain Lasseur? Wenn Ihr Englisch dazu nicht ausreichen sollte, wird Leutnant Murat gern dolmetschen.«

Er sah Hawkwood durchdringend an. Der rechnete fast damit, dass Hellard sagen würde: »Ich weiß nicht, ob mir der Schnitt Ihrer Jacke gefällt«, und war fast enttäuscht, als es nicht kam. Hawkwood versuchte, ein unbeteiligtes Gesicht zu machen.

Hellard sah weg. »Nun, Captain Lasseur?«

»Matisse brachte den Jungen um. Er tat es ganz kaltblütig, vor unseren Augen.«

»Warum sollte er das denn tun?«

»Um zu beweisen, dass er es konnte«, sagte Hawkwood. »Captain Lasseur und ich versuchten, ihn davon abzuhalten. Das war dann der Moment, als er seinen Leuten den Auftrag gab, uns umzubringen.«

»Sie scheinen sich ganz wacker geschlagen zu haben, trotz der Ungleichheit. Die anderen waren weit in der Überzahl.«

Lasseur hob den Kopf. »Captain Hooper und ich sind Fachleute. Matisses Männer waren Pöbel.«

Hellard seufzte tief auf. Er legte die Feder hin und lehnte sich zurück. »Ganz ehrlich, ich weiß nicht, ob ich Ihnen auch nur ein Wort glauben soll. Im Gegensatz zur allgemeinen Meinung hier sind meine Offiziere und ich nicht ganz so ahnungslos über die Vorgänge unter Deck. Aber denken Sie, es interessiert uns, wenn Sie sich prügeln? Das ist einer der Gründe, warum wir uns in Ihre internen Streitigkeiten nicht einmischen. Wir wissen ganz genau, dass Matisse den Türken dazu benutzte, um seine Autorität zu untermauern und seine Gegner einzuschüchtern. Wir wissen auch, wozu man die Rasiermesser benutzte. Übrigens ist es interessant, dass die Verletzungen an der Leiche des Türken und die von Captain Hooper ganz ähnlich sind«, fügte Hellard vielsagend hinzu. »Deshalb habe ich den Verdacht, dass es hier um mehr ging als nur um die Unschuld eines kleinen Jungen.«

»Der Türke hatte die Waffe«, sagte Hawkwood. »Ich habe sie ihm abgenommen.« Zumindest war es fast die Wahrheit, dachte er.

Hellard winkte ab. »Na gut, damit haben Sie Initiative bewiesen, Captain Hooper. So möchten die neuen Amerikaner doch gesehen werden, nicht wahr? Geistesgegenwärtige Pioniere, die eine neue Nation gründen. Ich nehme an, Sie wissen, dass das Wort ›Pionier‹ aus dem Französischen kommt? Peonier - das heißt Fußsoldat. Etwas ironisch, nicht wahr, für die Lage, in der Sie sich befinden?«

Hawkwood antwortete nicht. Er nahm an, dass Hellard ihn reizen wollte.

»Sie sind ein Überläufer, Hooper, Sie und der Rest Ihrer Landsleute. Ich habe mit Ihnen und Ihresgleichen nichts zu schaffen, außer dass ich Sie vielleicht bemitleide wegen Ihrer miserablen Urteilsfähigkeit. Es kann nicht viele Männer geben, die unter zwei verschiedenen Fahnen dienen und dann entdecken, dass beides die falschen waren.«

»Der Krieg ist noch nicht vorbei, Leutnant«, sagte Hawkwood.

»Für Sie schon«, sagte Hellard kurz. »Darauf können Sie sich verlassen.«

Die Augen des Commanders verengten sich. »Mich interessieren diese blauen Flecke um Ihren Hals. Wovon haben Sie die bekommen?«