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Es war ein warmer Tag. Der Schweiß lief Hawkwood über den Rücken und er ahnte, obwohl er noch nicht nachgesehen hatte, dass seine Wunden an Bauch und Arm wieder bluteten. Er hörte Lasseur keuchen und fragte sich, wie fit der Mann war und wie lange er dieses Tempo durchhalten würde. Beim Militär war Hawkwood lange Märsche gewohnt gewesen, und als Schütze hatte er seine Leute durch Moore und über Gebirgswege geführt, die reguläre Soldaten nicht geschafft hätten. Doch er wäre der Erste gewesen, der zugegeben hätte, dass seine Muskeln jetzt teilweise infolge Untätigkeit schlaff geworden waren, seit er wieder in England war und in Bow Street arbeitete. Wenn er sich auch ›Runner‹ nannte, so kam es doch äußerst selten vor, dass er Kriminelle über weite Strecken und über Stock und Stein verfolgen musste - genauer gesagt, es war, soweit er sich erinnern konnte, noch nie vorgekommen.

Zehn Schritte vor ihm hob Isaac die Hand und legte den Finger auf die Lippen. Als Hawkwood und Lasseur ihn eingeholt hatten, sah ihr Führer hoch über den Rand des Deiches. Hawkwood und Lasseur folgten seinem Blick.

»Merde!«, flüsterte Lasseur.

Die Schafe waren weniger als zwanzig Schritte entfernt in einem Pferch aus Weidengeflecht. Es war eine kleine Herde; vielleicht insgesamt dreißig Tiere, mit schwarzen Gesichtern und langen Schwänzen. Manche hatten kurze, gebogene Hörner. Es waren jedoch nicht die Schafe, die Lasseur in Alarmzustand versetzt hatten. Am Tor des Pferchs waren zwei schwarz-weiße Hunde mit drahtigem Fell angebunden. Beim Anblick der Männer waren beide aufgesprungen. Sie standen da und warteten mit hechelnder Zunge, die Ohren gespitzt, die Augen hellwach und dienstbeflissen.

Lasseur legte warnend die Hand auf Hawkwoods Arm.

»Ist schon in Ordnung«, sagte Isaac. »Die wissen genau, dass sie nicht bellen dürfen. Wenn sie’s tun, kriegen sie meinen Gürtel zu spüren.«

Isaac kletterte aus dem Graben und ging zu den Hunden. Ein kurzes Kommando, und die Tiere legten sich hin.

»Ihr könnt rauskommen«, sagte er, und Hawkwood und Lasseur kamen näher. Die Hunde verfolgten ihre Ankunft mit Interesse.

Isaac band die Hunde los und öffnete das Tor. Sofort rannten die Hunde an das Ende der Herde und trieben die Schafe aus dem Pferch heraus auf die offene Weide.

Isaac ging in den Pferch, ließ sich auf die Knie fallen und hob mit dem Spaten ein Rasenstück auf, unter dem ein aus Seil geknoteter Griff erschien. Er fasste das Seil, lehnte sich zurück und zog. Damit hob sich ein noch größeres Stück Rasen, das eine hölzerne Falltür bedeckte. Isaac zog die Falltür auf und Hawkwood sah in eine Grube.

Die unterirdische Kammer war gut durchdacht. Der Boden war gestampfter Lehm, die Wände mit Brettern verkleidet. Ein halbes Dutzend Holzfässchen, jedes von ihnen mit einem Fassungsvermögen von vier Gallonen Branntwein, waren an der Wand aufgestapelt. Auf der Erde neben den Fässern waren mehrere Säcke aus Öltuch und ein Baumwollbeutel. Isaac ließ sich in das Loch hinunter und reichte den Beutel hoch. »Hier ist Brot und Käse und ein paar Äpfel, und auch etwas, damit ihr nicht verdurstet. Dann streckte er die Hand aus. »Gebt mir die Leichensäcke. Nehmt das hier und zieht es an.« Er verstaute die Leichensäcke und den Spaten in der Grube und reichte ihnen zwei Kleiderbündel.

Hawkwood und Lasseur öffneten sie. Es waren Schäferkittel, die um zwei große Hüte mit weicher Krempe gewickelt waren.

»Die hier braucht ihr auch«, sagte Isaac und hielt ihnen zwei kurze Hirtenstäbe aus Haselholz hin. Er nahm einen dritten, längeren Stab für sich selbst heraus, dann schloss er die Falltür wieder und legte sorgfältig das Rasenstück über den Griff. Er trat die Ränder des Rasens fest, dann hob er eine Handvoll Schafköttel auf und streute sie darüber. Zufrieden, dass der Eingang der unterirdischen Höhle vollkommen verschwunden war, sah er auf und deutete auf die Kittel. »Ich hab doch gesagt, ihr sollt die anziehen. Es wird Zeit, dass wir weitergehen.«

Hawkwood und Lasseur starrten ihn an.

Selbst die Hunde, die an Isaacs Seite zurückgekehrt waren, machten zweifelnde Gesichter.

Isaac seufzte gereizt. »Die werden nach zwei flüchtenden Männern Ausschau halten, nicht nach drei Schäfern, die mit ihrer Herde zu neuem Weideland ziehen. Aber wenn ihr denkt, ihr wisst’s besser, dann bitte. Die Fähre ist dort drüben.« Isaac deutete mit seinem kurzen, dicken Zeigefinger nach Süden. »Entscheidet euch endlich, verdammt noch mal!«

Im selben Augenblick kam ein fernes Grollen, ähnlich einem kurzen Donner, von der Flussmündung her, gefolgt von dem leisen Läuten einer Glocke. Die Hunde spitzten die Ohren und sahen in die Richtung des Geräusches. Isaacs Kopf schnellte herum. »Scheiße!«

»Das klingt nicht gut«, sagte Lasseur.

Hawkwood legte den Hirtenstab hin, schlüpfte in die Ärmel des Kittels und zog sich das Kleidungsstück über den Kopf. Es war so ähnlich, wie in den Leichensack zu kriechen, nur von der anderen Seite. Er stülpte sich den Hut auf den Kopf und ergriff den Stock.

Isaac nickte anerkennend. Hawkwood kam sich vor, als habe er sich gerade in einen Dorfidioten verwandelt.

Lasseur zog ebenfalls Kittel und Hut an und brachte ein etwas schiefes Lächeln zustande.

Das machte alles noch schlimmer. Hawkwood fragte sich, ob es wohl vorkam, dass ein Dorf gleich zwei Trottel hatte. Er hob das Baumwollsäckchen auf und schwang es über die Schulter.

Isaac ließ eine Reihe kurzer, durchdringender Pfiffe hören. Gehorsam rasten die Hunde los und trieben die Schafe von beiden Seiten auf ein Tor am Ende des Feldes zu. Isaac deutete auf den bewaldeten Hügel, der ihnen am nächsten war. »Wir gehen mit ihnen um Gorse Hill herum und dann in die East Church Road.«

Lasseur folgte dem Stock, dann sah er zurück zur Küste. Hawkwood wusste, der Privateer überschlug die Zeit.

»Wenn sie die Kanone abgeschossen haben, bedeutet es, dass sie das Schiff durchsucht haben und uns vermissen«, sagte Hawkwood. »Als Nächstes werden sie also einen Trupp losschicken, um das Massengrab zu untersuchen. Das dürfte eine Weile dauern.«

Es war klug gewesen, die Leichensäcke mitzunehmen und die Lücken im Grab wieder aufzufüllen. Wenn es keine sichtbaren Anzeichen dafür gab, dass Hawkwood und Lasseur aus dem Grab geflohen waren, konnte man ihre Flucht mit dem Leichentransport nur beweisen, indem man das Massengrab öffnete, in alle Leichensäcke schaute und die Toten zählte, was hoffentlich alles zu noch größeren Verzögerungen beitragen würde. Hawkwood beneidete die Männer nicht, die diese Aufgabe zu erledigen hatten.

Die Hunde genossen die Wanderung und sausten unter Isaacs wachsamen Augen im Zickzack hin und her. Die Schafe waren die strenge Behandlung offenbar gewohnt, manchmal sah es sogar aus, als gehorchten sie Isaacs kurzen, schrillen Pfiffen noch vor den Hunden. Als sie am Tor angekommen waren, warteten die Tiere geduldig, bis die Männer angekommen waren. Isaac zeigte auf eine kleine Holzbrücke auf der anderen Seite. »Dort drüben ist die Straße.«

Die Straße war nichts weiter als ein schmaler, etwa fünfzehn Fuß breiter Reitweg; eng und holprig und zerfurcht von Hufen und Wagenrädern. Auf der anderen Seite stieg das Land sanft an.

»Das hier ist die Minster Road«, sagte Isaac. »Wir wollen zu der Straße hinterm Berg, die geht über die ganze Insel. Wir gehen dann nicht direkt auf ihr, wir bleiben daneben, aber so kommen wir auch dorthin, wo wir hin wollen. Wir müssen nur die Augen offen halten, alles andere besorgen die Hunde schon. Wenn ihr jemanden seht, sagt Bescheid. Nicht vergessen: die sehen nur drei Einheimische, die mit’ner Schafherde unterwegs sind, also gibt’s keinen Grund, wegzurennen. Behaltet die Hüte auf und haltet die Köpfe gesenkt, und was immer ihr tut, macht euren verdammten Mund nicht auf. Ihr könnt ihnen auf die Stiefel spucken, wenn ihr wollt. Das ist die Miliz gewohnt. Die haben hier das Sagen, aber die Leute von Sheppey halten nicht viel von Autorität - die lassen sich nicht gern vorschreiben, was sie tun sollen, das geht ihnen gegen den Strich.« Isaac grinste. »Verstehen Sie, Monsör?«