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Lasseur nickte. »Ich glaube schon.«

»Also los, meine Herrn«, sagte Isaac. »Dann machen wir uns mal auf die Wanderschaft.«

Die Schafe gingen nicht sehr schnell, besonders wenn es bergauf ging, und als Tarnung und Fluchthilfe war ihr gemächliches Trödeln nicht gerade vertrauenerweckend. Doch zugleich musste Hawkwood sich eingestehen, dass diese Art des Wanderns äußerst angenehm sein konnte, wenn man keine Sorgen hatte und einem auch nicht gerade die Miliz auf den Fersen war.

Doch selbst bei dem Gedanken, dass die Verfolger vielleicht immer näher kamen, war die einfache Tatsache, dass man nicht mehr auf diesem Schiff war, schon ein wunderbares Gefühl. Keine Holzwände mehr, keine Männer, die in Gestank und Dunkelheit aufeinanderhockten. Nur der weite, blaue Himmel und das Gras unter den Füßen. Auch der Geruch der Marsch schien hier auf den Wiesen und Feldern längst nicht so allgegenwärtig. Und natürlich hatten sie die Begleitung der Singvögel. Nicht das raue, ununterbrochene Kreischen der Möwen, sondern das melodiöse Zwitschern der Singdrosseln, der Amseln und der Heckenbraunellen. Hawkwood war der Kriegstrommel nach Spanien, Portugal, Südamerika und vielen anderen Ländern gefolgt, aber nirgendwo hatte er etwas gesehen, was mit der englischen Landschaft an einem hellen Sommermorgen vergleichbar gewesen wäre.

Sogar Lasseur schien entzückt. Hawkwood hatte gesehen, wie der Privateer immer wieder sein Gesicht der Sonne entgegenstreckte. Wenn der Franzose schon nicht auf seinem Schiff sein konnte, war dies wahrscheinlich das Nächstbeste für ihn.

In gleichmäßigem, gemächlichem Tempo erreichten sie schließlich die Hügelkuppe und wollten gerade auf der anderen Seite den Weg ins Tal nehmen, als Hawkwood sah, dass Isaac stehen blieb. Der Führer sah über Hawkwoods Schulter zurück gen Westen.

Hawkwood drehte sich um.

In der Ferne waren Reiter, und auf den ersten Blick sah es aus, als kämen sie direkt auf die drei Männer zu. Hawkwoods Herz schien vor Schreck stillzustehen, aber nach kurzer Zeit wandten sich die Reiter plötzlich nach Süden.

»Die werden zur Swale reiten.« Isaac schien sich sicher zu sein. »Kommen wahrscheinlich von der Queenborough Road oder von Mile Town. Vor denen brauchen wir uns nicht zu fürchten. Vielleicht haben sie ja die Garnison um Hilfe gebeten, es dürfte aber’ne Weile dauern, bis die mal soweit sind. Hier draußen gibt’s nicht viel berittene Polizei. Solange wir ganz ruhig bleiben und einfach weitergehen, wird uns nichts passieren. Das ist viel besser als rumzurennen wie kopflose Hühner. Und so weit haben wir’s auch gar nicht mehr. Für uns ist es fast wie’n Kirchgang, um die Sonntagspredigt zu hören.«

Sie aßen im Gehen. Das einfache Vergnügen, in ein Stück Brot zu beißen, das nicht erst in Wasser aufgeweicht werden musste, damit man es hinunterbekam, war fast unmöglich zu beschreiben. Der Käse war würzig und schmackhaft, die Äpfel säuerlich und knackig. Der Cider, der in der unterirdischen Kammer kühl geblieben war, wurde direkt aus dem Krug getrunken und war so erfrischend wie Wasser aus einem Gebirgsquell.

Sie waren mehr als zwei Stunden gegangen und hatten die Herde immer wieder ausruhen lassen, als es Hawkwood auffiel, dass sie, abgesehen von der berittenen Patrouille, den ganzen Vormittag keinen Menschen gesehen hatten. Auch Lasseur hatte das bemerkt.

»Deshalb haben wir auch diesen Weg genommen«, sagte Isaac, als Lasseur ihn darauf ansprach. »Die meisten Leute leben im Norden, an der Straße dort und an der Küste. Im Süden, nach Elmley und Harty zu, ist es sumpfig und von dort kommt das Fieber. Manche Leute sagen, es ist der letzte Ort, den Gott geschaffen hat. Darum nennen sie die Leute von Sheppey auch Swampies.«

»Swam-pies?« Lasseur hatte Schwierigkeiten, das Wort auszusprechen.

»Man könnte sagen, es ist ein Kosename«, sagte Isaac und fügte trocken hinzu, »genau so, wie wir euch Froschfresser nennen.«

Lasseur hob spöttisch eine Augenbraue. Hawkwood unterdrückte ein Lachen, obwohl es ihm schwerfiel.

»Wohin bringen Sie uns?«, fragte Lasseur.

»Na ja, nicht bis nach Hause, so viel ist sicher. Wenn wir in Warden sind, hab ich meinen Teil erledigt. Dann muss sich jemand anderes um euch kümmern.«

Hawkwood lief ein Kribbeln über den Rücken. Wenn es noch weiterer Beweise bedurfte, dass es hier eine Organisation gab, die den Flüchtenden half, dann hatte er diese soeben erhalten.

»Dieser Ort, Warden - wie lange brauchen wir noch, bis wir dort sind?«, fragte Lasseur.

»Ach, gar nicht mehr lange, wir sind bald da«, sagte Isaac, ohne sein Tempo zu verändern.

Es dauerte den ganzen Tag.

Sie kamen an East Church vorbei. Das Dorf machte nicht viel her, es war ein winziges, verschlafenes Nest an der Wegkreuzung. Etwa ein Dutzend Cottages drängten sich um eine gedrungene graue Kirche mit Zinnen und viereckigem Turm. Aus der Entfernung sah man ein paar Dorfbewohner, die zwar auf Isaacs freundliches Grüßen zurückwinkten, sich aber sonst nicht weiter um Schafe, Hunde oder die falschen Schäfer kümmerten.

Das Dorf lag auf einem der höchsten Punkte der Insel. Von hier fiel die Landschaft nach allen Seiten in sanften Wellen ab, besonders nach Süden hin bis zur Swale und weiter bis aufs Festland hinüber.

Ein kurzes Stück hinter dem Dorf zeigte Isaac auf eine leichte Anhöhe. »Ungefähr eine Meile dahinter ist Warden, oben auf dem Hügel, hinter den Bäumen dort.«

Lasseur wurde langsam unruhig. Seine Augen leuchteten vor Aufregung. Der Privateer hatte durch eine Senke in der Landschaft seinen ersten Blick aufs Meer erhascht und eine Nase voll Salzluft gerochen, und jetzt erinnerte er Hawkwood an ein durstiges Pferd, das Wasser wittert. Er war überzeugt, dass Lasseur selbst taub und mit verbundenen Augen den Weg zur Küste finden würde.

Sie näherten sich dem Dorf von Süden her. Die Hunde drängten die Schafherde zu einer säuberlichen Keilform zusammen und trieben sie vor sich her die Anhöhe hinauf.

Auch Warden war kein besonders großes Dorf, soweit Hawkwood es durch die Bäume sehen konnte. Es sah aus wie eine weitere Ansammlung ärmlicher Cottages rund um eine Kirche, die sich wie Napfschnecken an den kleinen Küstenvorsprung klammerten, der hier den Arsch der Welt um ein winziges Stück verlängerte.

Isaac hatte nicht übertrieben, wenn er sagte, dass es ihnen wie ein Kirchgang am Sonntag vorkommen würde, denn genau das taten sie, auch wenn es vielleicht nicht Sonntag war. Die Kirche stand am Dorfende, das dem Meer zugewandt war, keinen Steinwurf vom Klippenrand entfernt. Sie traten aus dem Wäldchen. Die Nachmittagssonne schien auf das alte Mauerwerk, die Ringeltauben gurrten, vor ihnen lag der Kirchhof. Isaac öffnete das Tor, und die Hunde erledigten den Rest. Die Herde zerstreute sich zwischen den Grabsteinen und fing an zu grasen. Isaac sicherte das Tor hinter ihnen, band die Hunde an und ging zwischen den Grabsteinen hindurch zu einer eisenbeschlagenen Seitentür. Hawkwood stellte fest, dass die Grabsteine stark verwittert waren. Die meisten Namen waren nicht mehr zu entziffern, Wetter und Zeit hatten sie abgeschliffen. Man konnte sich gut vorstellen, wie einsam und unwirtlich es hier im Winter sein musste.

Vor der Tür kniete Isaac sich hin. Er entfernte einen Ziegelstein aus der Kirchenwand, griff in das Loch und holte einen Schlüssel heraus. Lasseur und Hawkwood sahen erstaunt zu. »Der Pfarrer ist nicht zu Hause.« Er setzte den Stein wieder an seinen Platz und fügte hinzu: »Der Pfarrer ist nie zu Hause, wenn jemand geflohen ist.«

Sie traten durch die Sakristei ein, dann verschloss Isaac die Tür hinter ihnen und ging voran in den Kirchenraum. Hier drinnen war es kühl und trocken; es roch nach Stein und Holz, nach Wachskerzen und Staub. Die späte Nachmittagssone schien durch die Fenster und warf bunte Muster auf Wände und Steinfußboden.