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Immer noch bestand die Gefahr, dass jemand im Boot getroffen wurde, aber diese Aussicht verringerte sich mit jedem Ruderschlag. Dennoch hielten die Männer die Köpfe geduckt.

Und dann hörte man vom Klippenweg her aufs Neue Schüsse. Keine Musketen diesmal, wusste Hawkwood, sondern Pistolen. Abraham hatte Verstärkung bekommen. Der Lärm nahm weiter zu.

»Mistkerle!«, zischte jemand hinter Hawkwood.

Das Vorland hallte von Gewehrschüssen wider. An der Art und Weise, wie die Lichtpunkte sich trafen, sah Hawkwood, dass sich die Laternenträger an einem Ort versammelt hatten und nicht weiter als bis zum Fuß der Klippe gekommen waren. Es sah aus, als seien sie zwischen Abrahams Leuten und der Verstärkung eingeschlossen. Langsam ließen die Schüsse nach und hörten endlich ganz auf.

Hawkwood starrte immer noch auf die Küste, wo ein Licht nach dem anderen verlosch. Er horchte angestrengt in die Dunkelheit. Es klang wie das Aufeinanderschlagen von Säbelklingen, vermischt mit dem Wiehern eines Pferdes, aber es war bereits sehr weit weg. Schließlich hörte man nichts mehr außer dem Geräusch der Ruder.

Hawkwood merkte, dass ihm das Herz bis zum Halse schlug.

»Mein Gott!«, murmelte jemand, als sei er dankbar, noch am Leben zu sein.

»Was denkst du, hatten die es auf uns abgesehen?«, fragte Lasseur leise.

Hawkwood schüttelte den Kopf. »Viel wahrscheinlicher war es der Zoll, aber es sah aus, als seien die anderen in der Überzahl.«

»Wieder einmal sind wir davongekommen, um weiterzukämpfen«, murmelte Lasseur.

Aber ziemlich knapp, dachte Hawkwood. Als er sich umdrehte, sah er vor sich in der Dunkelheit einen Schiffsbug auftauchen. Es war nicht die Größe des Schiffes, die ihn erschreckte, sondern seine Nähe. Es war nicht schwer zu erklären, warum das Schiff so lange unsichtbar geblieben war. Es war dunkel gestrichen und hatte keinerlei Beleuchtung, und selbst im Mondlicht war es nichts weiter als ein Schatten auf dem Wasser.

Das Ruderboot machte an dem pechschwarzen Schiffsrumpf fest, und an der Reling erschienen einige bleich aussehende Gesichter. Helfende Hände wurden nach unten ausgestreckt. Auf ein Signal des Steuermanns kletterten Hawkwood und Lasseur an Bord. In wenigen Minuten war das Boot hochgewinscht und die Mannschaft stand wieder an den alten Plätzen.

»Willkommen auf der Starling, meine Herren.« Die Begrüßung kam in annehmbarem Französisch, wenn auch mit starkem Akzent. »Wenn Sie beiseitetreten würden, bis wir Fahrt aufgenommen haben, wäre ich Ihnen dankbar.«

Hawkwood und Lasseur drehten sich um. Vor ihnen stand ein untersetzter Mann, das Gesicht von Wind und Wetter gegerbt. Er hatte eine ziemlich platte, breite Nase und hätte dringend eine Rasur nötig gehabt.

»Captain?«, sagte Lasseur.

»Zu Diensten, Sir. Nennen Sie mich Gideon.«

Er wartete nicht auf Antwort, sondern wandte sich um und gab das Signal, die Segel zu setzen.

Innerhalb weniger Minuten blähte sich das Großsegel, der Bugspriet zeigte auf das offene Wasser, und das Segel am Klüver wurde losgemacht. Alles ging sehr ruhig vonstatten; ohne Beschimpfungen, ohne gebellte Befehle. Lasseur beobachtete das Zusammenspiel der Mannschaft und nickte anerkennend, eine Geste, die auch dem Skipper der Starling nicht entging.

»Sie sind Seeleute, meine Herren?«

»Ich schon«, sagte Lasseur. »Mein Freund hier ist eher eine Landratte.«

»Das will ich Ihnen nicht weiter übelnehmen, Sir, jedem das Seine.«

»Ich bin Captain Lasseur. Mein Freund heißt Captain Hooper.«

»Tatsächlich? Na ja, jeder muss irgendeinen Namen haben. Und jetzt - kann ich Ihnen etwas zum Aufwärmen anbieten? Ich habe einen guten Brandy an Bord.«

»Ich wäre schwer enttäuscht gewesen, wenn das nicht der Fall wäre, Captain.« Lasseur grinste, während er und Hawkwood dem Skipper nach unten folgten. Die Kajüte war klein und eng und roch nach feuchter Kleidung, Schweiß und Tabak. Es war nicht ganz so eng wie auf dem Hulk, aber dennoch etwas klaustrophobisch nach der weiten, hügeligen Landschaft, dem offenen Boot und dem endlosen Nachthimmel.

Nachdem die Flasche geöffnet und der Brandy ausgeschenkt war, hob Lasseur seinen Becher. »Auf Ihre Gesundheit, Captain.«

Gideon nickte dankend. »Und Verwirrung dem Feind … wer immer das sein mag.«

Sie tranken.

Die Welt ist doch völlig verrückt geworden, dachte Hawkwood. Ich befinde mich mitten in einem blutigen Krieg und sitze hier mit dem Kapitän eines französischen Kaperschiffs und einem englischen Schmuggler, die sich noch nie im Leben gesehen haben, und sie prosten sich zu, als hätte keiner von ihnen auch nur das geringste Problem. Warum zum Teufel hören wir eigentlich noch auf Politiker und Generäle?

Gideon hatte, was die Qualität des Branntweins betraf, nicht übertrieben.

»Mein Kompliment, Sir.« Lasseur leckte sich anerkennend die Lippen. »Sie haben einen ausgezeichneten Geschmack.«

Gideon nahm einen weiteren Schluck, schmatzte genießerisch und zwinkerte vertraulich. »Die kleinen Vergünstigungen, die dieser Job so mit sich bringt. Ganz abgesehen von dem Vergnügen, den Zoll an der Nase herumzuführen.« Das wettergegerbte Gesicht wurde plötzlich ernst.

»Was glauben Sie, was das vorhin war?«, fragte Hawkwood, als hätte er die Gedanken des Captains gelesen.

Der zuckte die Schultern. »Sieht aus, als ob irgendein Schuft ihnen einen Hinweis gegeben hat. Wir können von Glück sagen, dass kein ganzer Kutter involviert war. Wenn diese Ware verloren ist, holen wir das beim nächsten Mal wieder auf. Wir sind im Vorteil. So eine lange Küste … und längst nicht genug Zollbeamte.

»Sie denken, Abraham und seine Leute sind davon gekommen?«

»Wahrscheinlich. Abraham ist ziemlich gerissen. Wenn hier jemand fertiggemacht worden ist, dann war es der Zoll. Die könnten doch nicht mal ein Scheunentor aus einem Fuß Entfernung treffen. Und selbst wenn Abraham und seine Leute festgenommen werden, kommt nichts dabei heraus. Es kommt nie etwas dabei heraus.«

»Warum nicht?«, fragte Hawkwood.

»Weil der Amtsrichter einer von uns ist.«

Lasseur zwinkerte ungläubig.

»Was glauben Sie denn, wodurch Abraham gewusst hat, dass wir auf dem Weg sind?«, sagte Gideon.

»Er hat Ihr Signal gesehen«, sagte Hawkwood.

Gideon schüttelte den Kopf. »Damit haben wir ihnen doch nur unsere Position bekanntgegeben. Er wusste schon vorher, dass wir kommen. Ein kleiner Vogel hat es ihm erzählt.«

Hawkwood und Lasseur warteten.

»Das Herrenhaus vom Squire liegt doch am selben Weg wie der Pub, nicht weit davon entfernt. Der Squire hat einen Taubenschlag in seinem Rauchsalon. Wir lassen den Vogel fliegen, wenn wir zwei Meilen vor der Küste sind. Sobald er ankommt, weiß er, dass wir die Ware haben und gibt Abraham Bescheid.«

»Und der Squire ist zufällig auch …«

»Der Amtsrichter. Alles in allem eine wunderbar praktische Regelung.«

Mein lieber Schwan, dachte Hawkwood. Kein Wunder, dass die Schmuggler die Küste beherrschten.

Lasseur grinste übers ganze Gesicht, was Hawkwood gar nicht überraschte. Als Kapitän eines Kaperschiffs, ein Menschenschlag, der nicht gerade wegen seiner Gesetzestreue berühmt ist - egal, ob es sich dabei um maritime oder andere Gesetze handelte -, war der Franzose ganz offenbar überzeugt, dass er es hier mit einem Gleichgesinnten zu tun hatte.