»Machen wir langsam damit«, sagte Lasseur und betrachtete die Fische und die Messer. »Die Nacht könnte noch lang sein.«
Die Farm lag inmitten von Wäldern. Sie hatte nichts Außergewöhnliches an sich; ein Farmhaus, halb aus Feldsteinen, halb aus Ziegeln gebaut, zwei Außengebäude, eine Scheune, ein Hühnerstall, ein Schweinestall, ein Pferch mit sechs Schafen, von einem Holzzaun umgeben, und eine Koppel, auf der ruhig und zufrieden zwei Pferde grasten. Auf einer Seite des Hauses lag ein Obstgarten, dahinter war ein gepflegter Nutzgarten, in dem Gemüse und Kräuter wuchsen. Vor dem Haus lag eine Wiese voller Wildblumen, durch die sich ein kleiner Bach schlängelte.
Als sie sich der Farm näherten, kam es Hawkwood vor, als sei es einer der friedlichsten Orte, die er jemals gesehen hatte. Sie lag auch bestens verborgen. Die Einheimischen kannten sich natürlich hier aus, aber ein Fremder hätte dieses Tal nur durch Zufall gefunden. Er nahm an, dass die Farm deshalb hier lag. Als Versteck war sie ideal.
Die Körbe mit den Makrelen auf der Schulter, hatten sie die Fischereiplattform kurz vor Sonnenaufgang verlassen, als gerade die ersten Boote und die Frühaufsteher unter den Stadtbewohnern ankamen. Unter diesen waren viele Frauen, deren Hauptvergnügen darin bestand, jeden Mann, der auch nur in Rufweite war, mit zweideutigen Bemerkungen zu bedenken. Außer dieser derben, aber nicht böse gemeinten Neckerei hatten Lasseur und Hawkwood die anderthalb Meilen über den Schlick ohne Zwischenfälle hinter sich gebracht.
Die Kirche war fünf Minuten vom Strand entfernt. Sie hatten den Totengräber sofort gesehen, einen kleinen Mann mit nussbraunem Gesicht, krummen Beinen und drei Fingern und Daumen an der rechten Hand, der, nachdenklich seine Tonpfeife rauchend, sein neuestes Werk betrachtete.
Er hatte hochgesehen und Hawkwoods und Lasseurs unrasierte Gesichter und schlammbedeckte Stiefel mit spöttischem Blick gemustert. »Sie werden die beiden Franzosen sein, die ich erwarte.«
Lasseur nickte. Hawkwood widersprach nicht. Es war einfacher, als sich erneut anhören zu müssen, dass er weit von zu Hause weg sei.
»Sie sprechen Englisch? In Ordnung, kommen Sie mit. Den Fisch lassen Sie am besten da.«
Er ging voran und verließ den Friedhof. Nicht weit davon entfernt standen angebunden Pferd und Wagen, und der Totengräber deutete auf den hinteren Teil des Wagens, auf dem sich zwei einfache Holzsärge befanden, die teilweise mit Säcken bedeckt waren.
»Normalerweise würden wir bei Nacht fahren, wenn weniger Leute unterwegs sind, aber ich glaube, es wäre nicht gut, wenn Sie den ganzen Tag hier rumhängen müssten. Am besten machen wir uns gleich auf den Weg. Es wird ganz bequem sein, und zunageln werde ich auch nicht. Sie müssen nicht lange drinnen bleiben. Ich lasse Sie raus, sobald wir von der Straße runter sind.« Er machte eine kurze Kopfbewegung. »Also bitte, steigen Sie ein.«
Hawkwood und Lasseur tauschten ungläubige Blicke. Hawkwood überlegte, ob Lasseur wirklich alles verstanden hatte, was der Totengräber gesagt hatte. Nicht dass es etwas geändert hätte. Sie waren beide einfach zu müde, um lange zu diskutieren. Und der Totengräber hatte Recht behalten. Es war eine ganz bequeme Art, zu reisen. Hawkwood wäre mehrmals beinahe eingenickt.
Sie waren längst wieder aus den Särgen heraus und saßen auf dem hinteren Ende des Wagens, wo sie die Beine baumeln ließen, als sie den Wald verließen und das Farmhaus sahen, das in einer Senke vor ihnen lag.
Der Totengräber schnalzte mit der Zunge und trieb die Pferde an. »Willkommen bei der Witwe.«
Lasseur runzelte die Stirn, während Hawkwood das Haus betrachtete, aus dessen Schornstein durchsichtiger Holzrauch stieg. Wer immer dieses Feuer angezündet hatte, hatte Apfelholz genommen. Der Geruch war unverkennbar und seltsam tröstlich und erinnerte Hawkwood an den Herbst.
»So wird sie hier genannt.« Nach einer kleinen Pause sagte Asa: »Unter anderem.«
»Wie denn noch?«, fragte Lasseur.
»Hier gibt es Leute, die sie für eine Hexe halten.«
Lasseur sah Hawkwood an und sagte auf Französisch: »Er sagt, hier wohnt eine Hexe.«
»Vielleicht lässt sie uns ja verschwinden«, sagte Hawkwood ebenfalls auf Französisch. »Und wir wachen auf und sind in Frankreich.«
Er überlegte, wie er James Read das wohl erklären würde.
Ich weiß jetzt, wie sie es machen, Sir. Sie werden in Leichensäcken vom Schiff geschmuggelt, dann werden sie zu dieser alten Frau mit den Warzen und der schwarzen Katze gebracht, und die verwandelt sie in Amseln und sie fliegen nach Hause.
Es gab keine Katze hier, aber es gab einen Hund. Er lag vor der offenen Scheune. Als der Wagen sich näherte, stand er auf und sah ihnen entgegen. Dann kam er zögernd angetrabt. Es war ein großer Hund, mit zotteligem braunem Fell, das ihm über die Augen fiel. Hawkwood sah, dass er nicht mehr jung war. Er war grau um die Schnauze, und er ging wie ein alter Mann mit leichtem Rheuma. Er wedelte kurz zur Begrüßung, bellte einmal und legte sich dann wieder hin, als hätte ihn das alles ziemlich erschöpft.
Das Bellen war weniger eine Warnung gewesen als ein Ruf. Eine Frau mit einem Eimer kam aus der Scheune. Hawkwoods erster Gedanke war, dass sie nicht so aussah, wie er sich eine Hexe vorgestellt hatte.
Er hörte, wie Lasseur leise den Atem anhielt.
Die schlanke Frau hatte dichtes dunkles Haar, das im Nacken von einem Band zusammengehalten wurde, dunkle braune Augen und ein energisches, von der Sonne gebräuntes Gesicht. Sie trug einen langen grauen Rock, eine weiße Bluse, die am Hals offen stand, und eine ausgebleichte blaue Weste. Die Kleider waren ausgebessert und hatten verschiedene Flicken. Der offene Kragen der Bluse ließ ein V-förmiges Stück sommersprossiger Haut frei, und auf der rechten Wange hatte sie einen Schmutzfleck. Über ihre linke Wange hing eine lose Haarsträhne bis zum Mundwinkel, und die Frau strich sie aus dem Gesicht und hinter ihr Ohr. Auf ihrer Oberlippe glänzte ein leichter Schweißfilm.
Sie sah dem Gefährt entgegen.
Der Wagen hielt.
»Morgen, Jess.«
Der Totengräber tippte an seine Mütze.
»Morgen, Asa.«
Die Frau beschattete ihre Augen mit der Hand und machte keine Anstalten, näher zu kommen.
»Du hast uns erwartet.« Der Totengräber bedeutete Hawkwood und Lasseur, vom Wagen zu steigen.
Die Frau sah die beiden Männer von oben bis unten an und schwieg.
Hawkwood wusste, wie sie beide aussahen: schmuddelig und unrasiert, Hose und Stiefel von Schlamm verkrustet und noch immer nass von ihrem Abenteuer im Wasser.
»Madame«, sagte Lasseur mit einer angedeuteten Verbeugung.
Sie sah ihn aufmerksam an, reagierte aber nicht auf seine Geste. Ihr Blick wanderte zu Hawkwood, verweilte einen kurzen Augenblick und wandte sich dann wieder an den Totengräber.
»Für wie lange ist es?«
»Das hat man mir nicht gesagt.«
Die Frau sah leicht irritiert aus, aber der Ausdruck verflog wieder. Sie nickte resigniert. »Sprechen die beiden Englisch?«
»Wir können beide Englisch, Madame.« Lasseur lächelte. »Ich heiße Lasseur; Captain Paul Lasseur. Dies ist mein Freund, Captain Matthew Hooper.«
Die Frau sah ihn an, erwiderte sein Lächeln aber nicht. Sie starrte Hawkwood an, dann wandte sie sich an den Totengräber, der Hawkwood merkwürdig ansah. »Sag Morgan, die Fässer sind immer noch hier. Mir wäre es lieber, wenn sie weg wären.«
»Das weiß er. Ich hole sie in ein bis zwei Tagen ab.«
»Gut.«
Der Totengräber nickte. »Ja, da sind sie also. Ich muss jetzt zurück.«
»Wie geht’s Megan?«, fragte die Frau.
Higgs kletterte auf den Wagen. »Der geht’s viel besser. Der Zaubertrank, den du mir gegeben hast, hat Wunder gewirkt.«
Die Frau seufzte leicht genervt. »Es war kein Zaubertrank, Asa. Nur ein Auszug aus Kräutern. Die könntest du in deinem Garten auch haben, wenn du wolltest.«