»Nichts lag uns ferner«, sagte Lasseur. »Sie sind in Sicherheit, und das ist das Wichtigste.«
Sie nickte. »Trotzdem war es nachlässig von mir. Sie haben Ihr Leben riskiert.«
»Sie haben ihn beim Namen genannt«, sagte Lasseur. »Kennen Sie ihn?«
Sie antwortete nicht sofort. Schließlich sagte sie: »Er ist der Mann meiner Schwester.«
Lasseur zögerte, diese Antwort hatte er nicht erwartet. »Ist das schon einmal passiert?«
Sie zog seine Jacke fester um sich und schüttelte den Kopf. »Nein.«
Es entstand eine peinliche Pause.
»Wir sollten Ihnen Gelegenheit geben, sich zu erholen«, sagte Lasseur sanft. »Es sei denn, wir können etwas für Sie tun …?«
Etwas mühevoll richtete sie sich auf. »Vielen Dank, nein. Sie waren sehr freundlich.«
»Es war nichts, Madame. Jeder hätte dasselbe getan.«
Sie sah ihn an. »Es war nicht Nichts, Captain. Und nein, nicht jeder würde es tun.«
Sie drehte sich um und ging ins Haus, dann rief sie den Hund und schloss die Tür hinter sich.
Die Männer standen auf der Schwelle. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als ebenfalls zu gehen.
Als sie zur Scheune zurückgingen, sagte Lasseur: »Ich hätte ihn wahrscheinlich umgebracht, wenn du mir nicht die Axt abgenommen hättest.«
»Das glaube ich auch«, sagte Hawkwood.
Lasseur schüttelte den Kopf. »Aber du hattest Recht. Es wäre Wahnsinn gewesen.«
»Ja, das wäre es.«
»Selbst wenn er jetzt jemandem erzählen könnte, dass er uns hier gesehen hat?«
»Glaubst du das? Er hat versucht, eine Frau zu vergewaltigen. Ich würde sagen, er hat genauso viel zu verbergen wie wir.«
»Er könnte es als einen Weg sehen, sich an ihr zu rächen, weil sie ihn abgewiesen hat, und an uns, weil wir eingeschritten sind.«
»Das ist möglich«, sagte Hawkwood. »Aber mit dem zerkratzten Gesicht wird er es bestimmt vorziehen, erst mal eine Weile in Deckung zu gehen, und bis dahin sind wir wahrscheinlich schon wieder unterwegs.«
»Trotzdem sollten wir die Augen offen halten«, sagte Lasseur.
»Stimmt«, sagte Hawkwood, »das kann nicht schaden.«
Sie kamen in die Scheune.
»Ah«, sagte Lasseur, »es ist doch schön, wieder zu Hause zu sein.«
Als es dämmerte, tauchte der Hund wieder auf. Schwanzwedelnd ging er zuerst zu Lasseur, dann zu Hawkwood. Es war das erste Mal, dass das Tier sich in seiner Nähe wohlzufühlen schien. Hawkwood fühlte sich fast geschmeichelt.
Der Hund war nicht allein gekommen. Ein Schatten fiel aufs Stroh, und die Männer erhoben sich. Sie hatte sich umgezogen und wirkte wesentlich ruhiger als am Nachmittag, als sie ins Haus gegangen war. Ihre widerspenstige Haarsträhne jedoch hatte sie immer noch nicht unter Kontrolle. Sie trug in einer Hand einen Korb, in der anderen ein Kleiderbündel. Sie stellte den Korb hin.
»Ihre Jacke, Captain«, sagte sie und hielt ihm das säuberlich gefaltete Kleidungsstück hin. Ein Zucken lief über ihre Wange. »Ich hatte bemerkt, dass ein Riss im Ärmel war und habe ihn repariert. Ich will zwar nicht behaupten, dass ich eine gute Näherin bin, aber ich glaube, es ist besser als vorher.«
Lasseur nahm die Jacke. »Das war sehr liebenswürdig, Madame. Vielen Dank.«
Sie nickte. »Na ja, das war das Mindeste, was ich tun konnte.« Sie strich die Haarsträhne hinters Ohr.
»Haben Sie sich etwas erholt?«, fragte Lasseur leise.
»Ja, danke.« Verlegen strich sie ihren Rock glatt und zeigte auf den Korb. »Ich bringe Ihnen auch Ihr Abendessen. Da ist Brot und etwas Wurst, und hier ist noch eine Stachelbeertorte. Ich hoffe, es schmeckt Ihnen.«
Sie wandte sich zum Gehen, dann zögerte sie. »Ich habe Ihnen auch dies mitgebracht. Ich dachte, dass Sie und Captain Hooper es vielleicht benutzen möchten … das heißt, wenn Sie es nicht für anmaßend von mir halten.« Sie griff in eine Kleidertasche und nahm einen Gegenstand heraus, der in ein kleines Handtuch gewickelt war. Sie gab ihn Lasseur und trat zurück. Lasseur wickelte ihn aus. Sein Gesicht strahlte vor Freude. Er hielt das Rasiermesser hoch und fuhr mit der Hand über seine dunklen Bartstoppeln. »Vielen Dank, Madame. Wir werden ausgezeichneten Gebrauch davon machen!« Er zeigte es Hawkwood und zog lakonisch eine Augenbraue hoch, was die Frau aber nicht sah.
»Es gehörte meinem verstorbenen Mann. Ich hatte ganz vergessen, dass es noch da war. Haben Sie die Seife noch?«
»Entschuldigung«, sagte Lasseur. »Die wollte ich Ihnen ja zurückgeben.«
»Das ist nicht nötig. Bitte, behalten Sie sie.«
»Vielen Dank.«
Sie nickte, zögerte wieder und dann, als hätte sie einen Entschluss gefasst, sagte sie: »Seth Tyler … der Mann, der vorhin hier war …« Sie holte tief Luft. »Seit mein Mann tot ist, hat er mir … seine Gefühle für mich … zu erkennen gegeben. Ich habe ihm aber niemals, trotz allem, was er behauptete, Grund zu der Annahme gegeben, dass ich für seine Annäherungsversuche empfänglich bin …«
Ihr Hals hatte sich zart gerötet.
Sie strich sich eine nicht vorhandene Haarsträhne aus dem Gesicht. »Und deshalb wollte ich Ihnen sagen - ich heiße Jess. Mein Mann hieß Jack - Jack Flynn. Ich bin seit drei Jahren Witwe. Ich habe, seit mein Mann tot ist, die Farm allein bestellt, und wie Sie vielleicht bemerkt haben, bin ich keine Besuche gewohnt. So, jetzt ist es raus.«
Ihre Hände hatten sich zu Fäusten geballt.
»Wir freuen uns, Sie kennenzulernen, Jess Flynn«, sagte Lasseur.
Ihr Unterkiefer wirkte angespannt. »Danke, Captain. Ich hoffe, Sie sind mit dem Abendessen zufrieden. Im Krug ist auch Wein, ich glaube, es ist französischer.« Sie öffnete die verkrampften Hände und drehte sich abrupt um. »Komm, Rab!«
Den Hund an der Seite, wollte sie ins Haus gehen.
»Madame Flynn?«, rief Lasseur.
Sie blieb stehen, dann drehte sie sich um. »Captain?«
»Wenn dieser Mann, Seth, zurückkommen sollte, was dann?«
Hawkwood wusste, worauf Lasseur hinauswollte. Die Frau wusste es auch. Beim nächsten Mal wäre vielleicht niemand da, um zu helfen. An ihrem Hals pulsierte ein Nerv.
»Er wird nicht zurückkommen.«
»Er hat Captain Lasseur sprechen hören«, sagte Hawkwood. »Er weiß jetzt, wer wir sind. Er könnte uns verraten.«
»Das wird er auch nicht machen.«
»Wie können Sie da so sicher sein?«
»Wenn er nüchtern ist, wird er wissen, dass ich Beschützer habe. Er weiß, was beim nächsten Mal mit ihm passiert.«
Hawkwood erinnerte sich an ihre Drohung, das Gewehr zu nehmen.
»Sie meinen, weil Sie bewaffnet wären?«
»Das auch.«
Die Antwort stand im Raum. Sie wollte gehen.
Lasseur starrte ihr nach. Sie war bereits an der Tür, als er sich besann.
»Da wäre noch etwas, Madame. Mir ist vorhin aufgefallen, dass es auf der Farm verschiedene Dinge gibt, die ausgebessert werden müssten. Captain Hooper und ich möchten Ihnen unsere Dienste anbieten, als Dank für Ihre Gastfreundschaft. Wenn Sie das nötige Werkzeug haben, könnten wir uns nützlich machen, es würde uns auch die Zeit verkürzen. Das heißt, wenn Sie den Vorschlag … annehmen würden.«
Sie blieb stehen und sah ihn überrascht an. »Danke, Captain, das ist ein sehr großzügiges Angebot. Aber wie ich schon sagte, ich habe einen Mann, der mir hilft …«
»Na ja … also, da wir den noch nicht gesehen haben, haben wir gedacht, vielleicht …« Lasseur verstummte.
Sie hob den Kopf. »Sie dachten, ich hätte ihn nur erfunden, um Sie einzuschüchtern?« Ihre Stimme klang scharf.
»Ja, an diese Möglichkeit hatten wir tatsächlich gedacht.«
»Aha. Nun, ich versichere Ihnen, Thomas existiert wirklich. Obwohl seine Besuche … manchmal etwas … unregelmäßig sind.« Sie zwang sich zu einem Lächeln.
»Ah …«, sagte Lasseur und nickte.