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»Und wenn Sie angehalten werden?«, fragte Hawkwood, als er vom Wagen zurücktrat. »Ist das nicht eine merkwürdige Tageszeit, um mit Särgen durch die Gegend zu fahren?«

Der Totengräber schüttelte den Kopf. »Die Toten wissen nicht, wie spät es ist. Die halten sich nicht an Geschäftszeiten. Zumindest nicht in dieser Gegend. Außerdem halten wir uns an die Nebenstraßen.«

»Aber wenn Sie angehalten werden und jemand will mal hineinsehen?«

»Dann sag ich, ich hab hier zwei Pockenfälle. Dann wollen die nichts mehr sehen. Mein Gott, Sie stellen aber viele Fragen für einen Franzmann.« Higgs’ Augen zogen sich zusammen. »Aber Sie sind ja gar kein Franzmann, stimmt’s?«

»Da sind Sie falsch informiert«, sagte Hawkwood.

Tom Gadd verdrehte die Augen.

»Na ja, es wäre auch nicht das erste Mal«, sagte Higgs düster. »Ist ja auch ganz egal. Ich mach einfach das, was man mir sagt. Und jetzt, sind Sie soweit oder nicht?«

»Wofür?«, fragte Hawkwood.

»Die Fässer sind nicht das Einzige, weswegen ich gekommen bin«, sagte Higgs. »Wenn Sie noch Sachen haben, die Sie mitnehmen wollen, dann holen Sie sie jetzt. Wir haben ein ganzes Stück zu fahren.«

»Fahren?«, sagte Lasseur.

»Sie haben doch nicht gedacht, dass Sie für immer und ewig hierbleiben, oder? Es ist Zeit, weiterzureisen.«

»Wohin?«, fragte Hawkwood.

»Ein kleines Häuschen auf dem Land; hübsch versteckt, wo’s keine neugierigen Augen gibt.«

»Ich dachte, hier sind wir schon auf dem Land«, sagte Hawkwood und dachte, wenn das hier nicht versteckt liegt, was dann?

»Es gibt noch andere Orte.«

»Asa?«, sagte Jess Flynn.

»Ach komm, Jess, du weißt doch, dass du nicht fragen sollst. Ich liefere sie ab, und ich nehme sie wieder mit, wenn mir’s aufgetragen wird. Den Rest brauchst du nicht zu wissen.«

»Quatsch, Asa«, sagte Gadd, »komm mir nicht damit. Wohin bringst du sie?«

Higgs seufzte, biss sich auf die Lippe und sagte: »Gut, also ich fahre mit ihnen zum Haunt. Zufrieden?«

Gadd runzelte die Stirn. »Warum dorthin?«

»Mein Gott, Tom, das kannst du dir doch denken, verdammt noch mal!«

»Was ist der Haunt?«, fragte Hawkwood.

»Die Frage ist nicht, was es ist«, sagte Gadd, und seine Stimme klang rau. »Es geht darum, wer es ist.«

Hawkwood wartete.

Endlich beantwortete der Totengräber die Frage selbst: »Mr. Morgan möchte Sie kennenlernen.«

Nun, das dürfte interessant werden, dachte Hawkwood.

Die Sonne stand schon tief über dem Tal, als der Totengräber mit dem beladenen Wagen über den tiefzerfurchten Weg in Richtung auf die Bäume zu fuhr. Es war ein seltsames Gefühl, die Farm zu verlassen, die drei Tage lang ihr Zuhause gewesen war. Hawkwood war kein Mensch, der lange damit verbrachte, zurückzuschauen, aber diesmal konnte er nicht anders, obwohl er schon wieder voller Ungeduld war, weiterzukommen. In weniger als einer Stunde würde die Sonne untergehen, am Waldrand waren die Schatten bereits lang. Haus und Scheune waren in ein warmes rotes Abendlicht getaucht. Hawkwood merkte, dass Lasseur neben ihm auch zurücksah, aber auf seinem Gesicht war ein Ausdruck, als sehe er viel weiter als nur auf das, was jetzt hinter ihnen lag.

Der Abschied war kurz gewesen.

Tom Gadd hatte ihnen nacheinander die Hand geschüttelt und ihnen guten Wind gewünscht, worauf er wegen dieser Wortwahl etwas verlegen geworden war.

Jess Flynn hatte sich im Hintergrund gehalten und trat schließlich vor, um Lasseur ein säuberlich in ein Tuch gewickeltes Päckchen zu überreichen. »Etwas Proviant für die Reise. Es ist nicht viel, nur ein wenig Brot und Käse.«

Als sie zurücktrat, sah Hawkwood, wie ihre Finger Lasseurs Handgelenk berührten. Die Geste war so unauffällig, dass er sich fragte, ob er sie sich nur eingebildet hatte; doch instinktiv wusste er, dass es nicht der Fall war und dass diese kurze Berührung und der Ausdruck in Jess Flynns Augen mehr gesagt hatten als tausend Worte.

Dann hatte sie sich an Hawkwood gewandt. »Gute Reise, Captain Hooper.«

»Madame«, sagte Hooper.

Mit einem kurzen Nicken und einem letzten Blick zu Lasseur drehte sie sich um und ging ins Haus, aufrecht und mit erhobenem Kopf. Hinter ihr trottete gehorsam der zottelige Vierbeiner.

Lasseur hatte mit ruhigem Gesicht hinter ihr hergesehen.

»Es wird Zeit, Captain«, murmelte Tom Gadd neben ihm.

Lasseur nickte.

Der Seemann blieb noch stehen, während Hawkwood und Lasseur auf den Wagen kletterten. Im letzten Moment wandte Lasseur sich an ihn. »Geben Sie gut auf sie acht, Thomas«, sagte er leise, »damit ihr nichts passiert.«

Gadd nickte. »Ich werde mein Möglichstes tun, Captain.« Er sah zu, wie Lasseur seinen Platz einnahm und wartete, bis Asa Higgs das Pferd angetrieben hatte, ehe er der Frau und dem Hund ins Haus folgte.

»Ja, und wenn Sie kein Franzmann sind, was zum Teufel sind Sie dann?«

Asa Higgs kratzte einen Aschepfropf aus seinem Pfeifenkopf und klopfte ihn an seinem Stiefel aus.

»Amerikaner«, sagte Hawkwood.

»Tatsächlich?« Der Totengräber dachte über diese Antwort nach. »Und deshalb kämpfen Sie lieber für Boney als für den König?«

»Er ist nicht mein König«, sagte Hawkwood. »Deshalb hatten wir ja auch eine Revolution.«

Der Totengräber saugte an seiner kalten Pfeife. »Und Kaiser bezahlen gut, was?«

»Besser als Könige.«

Der Totengräber grinste. Seine knotigen Hände fassten die Zügel fester. »Ich hab’nen Vetter drüben bei Rochester, der sagte mir, dass dort Hunderte von Ihren Leuten hinter Gittern sitzen. Er sagte, die Crown Prince, die vor Chatham liegt, ist bis zum Rand voll mit gepressten Yankee-Matrosen, die sich geweigert haben, für unseren Farmer George zu kämpfen.«

Aus genau diesem Grund war Hawkwood weiter flussabwärts auf die Rapacious geschickt worden, wo das Risiko geringer war, dass seine falsche Identität auffliegen würde.

Der Totengräber fuhr fort: »Hab gehört, die Armee soll Rekrutierungsoffiziere auf die Schiffe geschickt haben, die jedem Amerikaner, der bereit war, umzuschwenken, sechzehn Guineen geboten haben. Nach allem, was ich über die Hulks gehört habe, hätte man denken sollen, die würden Schlange stehen, aber kein Mensch hat sich bereiterklärt. Sie haben Glück, dass Sie von diesem Ding runter sind.«

Sie waren schon eine ganze Weile unterwegs, seit sie die Farm verlassen hatten. Auf den Sonnenuntergang war die Dämmerung gefolgt, die in ein dunkelblaus Zwielicht übergegangen war. Jetzt war es Nacht. Am klaren, wolkenlosen Himmel stand der Mond, und die Sterne sahen aus, als seien sie auf schwarzem Samt verstreut.

Soweit Hawkwood es beurteilen konnte, hatte Asa Higgs sein Versprechen wahrgemacht und sie von allem ferngehalten, was nach einer offiziellen Straße aussah. Der größte Teil der Fahrt war über schmale Landwege und Trampelpfade gegangen, versteckte Nebenwege, auf denen über Jahrhunderte hinweg die Farmer ihr Vieh zu Markte trieben. Manche dieser Wege waren so dicht von Bäumen überwachsen, dass man das Gefühl hatte, als fahre man durch einen Tunnel. Auf solchen Strecken hatte Higgs das Pferd einfach laufen lassen, das nicht vom Weg abwich. Offenbar kannte das Tier sich genauso gut aus wie der Kutscher, was auch ein Glück war, denn selbst bei Tageslicht hätte hier ein Mensch auch mit guten Augen leicht vom Wege abkommen und in dem tiefen Graben landen können, der sich daneben befand.

Einmal hatten sie einen Fluss überquert. Als der Wagen über die alte Steinbrücke ratterte, hatte Hawkwood gesehen, wie der Mond sich im Wasser spiegelte.

Nur selten sah man eine menschliche Behausung. Ab und zu schien ein Licht durch die Bäume, ein Anzeichen für eine abgelegene Farm oder ein Cottage. Sie waren keinen anderen Reisenden begegnet. Hawkwood, Lasseur und der Totengräber hätten gut die einzigen Menschen sein können, die unterwegs waren.