»In Deal.«
»In Deal?« Lasseur sah Morgan ungläubig an.
»Das ist schon seit Jahren der Umschlagplatz für Gold.« Morgan lächelte spöttisch. »Sie müssen zugeben, es entbehrt nicht einer gewissen Ironie.«
»Und wo in Deal?« Le Jeune klang misstrauisch.
»Dort gibt’s eine Festung«, sagte Lasseur und sah Morgan an, damit der es bestätigte.
»Ja, die gibt es dort, aber dort wird das Gold nicht gelagert, Captain. Das ist ja das Schöne an der Sache.«
Lasseur runzelte zweifelnd die Stirn. »Wo dann?«
»In der Residenz der Admiralität.«
»Warum in aller Welt sollten sie es denn dort lagern?«
»Weil sie dort alles Gold lagern, das durch die Stadt fließt. Ehe die Regierung das Haus kaufte, gehörte es einem Bankier. Es gibt noch immer einen Tresorraum dort, und alles Hartgeld sowie die Goldbarren liegen dort. Entweder es kommt mit dem Schiff, um unter Bewachung nach London transportiert zu werden, oder es kommt von einer Londoner Bank, um ins Ausland geschickt zu werden, meist geht es nach Spanien, um dort die Truppen zu bezahlen.«
»Und wie wollen Sie an das Gold kommen? Wollen Sie anklopfen und bitten, dass man es Ihnen aushändigt?« Lasseur sah äußerst skeptisch aus.
»Ich hatte mir etwas vorgestellt, was sie vielleicht schneller überzeugen würde.«
Hawkwood stellte fest, dass bisher noch keiner die wichtigste Frage gestellt hatte. Es sah aus, als müsse er es tun.
»Warum wir? Was ist mit Ihrer eigenen Mannschaft? Sie sagten mir heute Morgen, wenn es etwas gäbe, woran es Ihnen nicht mangele, dann seien es Arbeitskräfte.«
Morgan nickte. »Das ist richtig, Captain, und es entspricht auch der Wahrheit. Aber es kann nie schaden, Extrakräfte zu rekrutieren, besonders Männer, die gezeigt haben, dass sie sich vor einer Herausforderung nicht fürchten und die gewillt sind, etwas zu riskieren, um ihr Ziel zu erreichen. Diesen Anforderungen entsprechen Sie alle. Sie haben auf den Gefängnisschiffen die Hölle erlebt, und trotzdem haben Sie sich durch Ihre Gefangennahme nicht unterkriegen lassen. Sie sind durch Scharfsinn entkommen und sind noch am Leben. Das zeigt mir, dass Sie über den nötigen Charakter verfügen. Sie sind alle erfahrene Seeleute und Soldaten. Das bedeutet, dass Sie Disziplin gewohnt sind und im Team arbeiten können. Doch noch wichtiger, Sie haben keinerlei Treuepflicht gegenüber König George, deshalb bezweifle ich, dass Sie unsere Absicht verraten werden. Um es kurz zu machen, meine Herren, mein Angebot ist wie folgt: Ich biete Ihnen die Gelegenheit, sich an dem Land zu rächen, das Sie schlimmer behandelt hat als Ratten im Käfig. Man sagt, Rache sei süß. Was sagen Sie? Wollen Sie davon kosten?«
Morgans Augen blitzten. »Denken Sie an den Ruhm. Statt mit eingekniffenem Schwanz als Kriegsgefangene nach Hause zu kommen, kommen Sie als freie Bürger, mit Reichtümern beladen. Bei Gott, meine Herren, man wird Sie wie Helden willkommen heißen! Wenn Ihr Kaiser hört, was Sie für ihn getan haben, haben Sie für immer ausgesorgt!«
»Und Sie machen das, weil man Ihre Boote beschlagnahmt hat?«, sagte Lasseur, wobei er Morgan fest ansah.
»Ich tue es aus zwei Gründen, Captain. Der erste ist, dass ich ihnen heimzahlen will, was sie mir und den Einwohnern von Deal weggenommen haben. Der zweite ist - nun, wie ich vermute, würde mir Ihr Kaiser für zwölf Millionen Francs so manchen Gefallen tun. Er wird seine Häfen offen halten und ich werde weiterhin meine Geschäfte machen, mit etwas Glück kann ich neue Galeeren bauen. Das Letzte, was ich brauchen kann, ist, dass der Nachschub zum Erliegen kommt. Ich will meiner Konkurrenz keine Tür öffnen.«
»Ich dachte, Sie hätten keine Konkurrenz«, sagte Hawkwood.
Morgan sah ihn scharf an. »Es gibt überall einen Platzhirsch. Im Moment bin ich das, und ich werde dafür sorgen, dass es so bleibt. Sehen Sie es als Speziallieferung an. Eine Geste meines guten Willens.«
»Sie erwähnten eine Begleitung«, sagte Hawkwood.
»Das ist nichts, womit wir nicht fertig werden«, sagte Morgan zuversichtlich.
»Vielleicht sollten Sie uns erlauben, darüber zu urteilen«, sagte Lasseur trocken.
Morgan sah Pepper an.
Der schien endlich aufzuwachen. »Eine kleine Einheit von Navysoldaten.«
»Ist das alles?«, sagte Lasseur. »Sie hatten mir einen Moment Angst gemacht, ich dachte, es würde schwierig sein.«
»Wie klein?«, fragte Hawkwood.
»Sollen nicht mehr als dreißig Mann sein. Aber die werden kein Problem sein.«
»Warum nicht?«
»Weil sie nicht dauernd auf das Gold aufpassen werden.«
»Wie meinen Sie das?«
Morgan antwortete. »Weil es in der Admiralität keine Möglichkeit gibt, Truppen unterzubringen. Sie ist zu klein, und außerdem ist es ein Wohnhaus. Wenn das Gold erst im Tresor ist, werden die Wachen auf der Festung stationiert sein.«
»Ich dachte, in Deal gibt es eine Kaserne«, sagte Lasseur.
»In der Stadt sind auch Truppen stationiert?«, fragte Le Jeune dazwischen.
»Die haben mehr symbolische Bedeutung. Gewöhnlich waren es zwei Kompanien aus Freiwilligen, aber die sind aufgelöst worden. Die Pläne für eine Miliz sind nie in die Wirklichkeit umgesetzt worden, weil die Stadtbewohner sich dagegen wehrten. Die Kaserne wird meist als Unterkunft für durchreisende Truppen benutzt. Und sie liegt sowieso fast näher bei Walmer als bei Deal. Auf der Festung ist eine Kompanie Bombardiere für die Kanonen. Davon abgesehen …«
»Kanonen?«, unterbrach Hawkwood. »Sagten Sie Kanonen?«
»Neun Sechsunddreißigpfünder, aber die sind alle aufs Meer gerichtet. Die erwarten keinen Überfall vom Land her.«
»Also keine weiteren Truppen?«
»Außer denen auf der Festung sind die nächsten dann zwei Meilen weiter im Norden. Auf der Straße nach Sandwich liegt noch ein Küstenbataillon, aber das ist keine Bedrohung. Die werden wir schon beschäftigen.«
»Und was ist mit den Truppen auf der Festung?«, fragte Le Jeune.
»Auch die werden beschäftigt sein, genau wie die Navy. Ich plane ein Ablenkungsmanöver, damit sie ausgeschaltet sind.«
»Und wie wollen Sie fortkommen?«, fragte Hawkwood.
»Vor der Küste wird ein Schiff liegen, das uns über den Kanal bringt.«
»Direkt unter der Nase dieser Bombardiere mit ihren Sechsunddreißigpfündern«, gab Hawkwood zu bedenken.
Morgan schüttelte den Kopf. »Die werden genug mit ihrer Rückseite zu tun haben, und selbst wenn sie das nicht täten, würden sie uns nicht sehen.«
»Warum nicht?«
»Weil wir den Überfall bei Nacht machen werden. In der Dunkelheit werden wir nicht zu sehen sein. Es wird auch leichter sein, ein großes Durcheinander zu veranstalten, und wir können die Flut nutzen.«
»Wie ist es mit dem Gewicht?«, fragte Lasseur.
»Mehr oder weniger vier Tonnen. Zwei stabile Wagen mit besonderer Verstärkung werden ausreichen.«
»Es wird aber immer noch ganz schön zu tragen geben.« Lasseur spitzte die Lippen, als er darüber nachdachte, was das bedeutete.
»Wir müssen nicht weit gehen. Von der Tür der Admiralität bis zum Strand sind es keine vierhundert Yards. Es ist ein gerader Weg ohne Hindernisse. Und selbst wenn wir nur die Hälfte von dem verdammten Zeug mitnehmen, werden wir einen schönen Gewinn machen.«
»Wie wollen Sie in den Tresor kommen?«, fragte Hawkwood.
»Das ist auch kein Problem.«
Doch mehr als das sagte Morgan zu diesem Thema nicht. Er wollte offenbar zu diesem Zeitpunkt nicht zu viel verraten.
Er hat den Haken meisterhaft geködert, dachte Hawkwood. Er sah auf die vor Eifer geröteten Gesichter der Männer. Morgan hatte ihnen geschmeichelt, und es hatte gewirkt.
Rousseau nahm seine Brille ab. Seine Augen blitzten spitzbübisch. »Und unsere Kommission, wie viel hatten Sie sich da vorgestellt?« Er hielt Morgans Blick stand. »Denn Sie werden dem Kaiser das Gold ja nicht schenken, nicht wahr? Auch wenn Sie nicht direkt dafür bezahlt haben, werden Sie es ihm aber verkaufen, genau wie die anderen Waren, die Sie liefern.«