»Du scheinst über Deal gut informiert zu sein«, sagte er zu Lasseur.
Der Privateer lachte. »Ich bin nie in der Stadt gewesen, aber britische Handelsschiffe ankern gern vor den Downs, und deshalb ist es ein Stück Küste, wo man reichlich Beute machen kann, wenn man starke Nerven und ein schnelles Schiff hat.«
»Und die Scorpion ist ein schnelles Schiff«, sagte Hawkwood.
»Das ist sie, und die Festung ist ein guter Orientierungspunkt für die Navigation. Aber ich muss gestehen, mir sind auch schon ein paar von diesen Sechsunddreißigpfündern um die Ohren geflogen. Und ich hatte ein paar Zusammenstöße mit den Einheimischen. Es sind gute Seeleute. Und sie haben schon so manchen Privateer von seinem Ziel abgebracht und verjagt.«
»Sind sie gut bewaffnet?«
»Pistolen und Säbel gewöhnlich, aber ihre Boote sind … waren … so verdammt schnell. Die waren schon da und unter deiner Nase, ehe du überhaupt die Chance hattest, wegzukommen. Mut haben die Jungs, das muss man ihnen lassen.«
»Deshalb sind sie auch so gute Schmuggler«, sagte Hawkwood. »Bei den meisten ist es wohl eine Familientradition, vermute ich, und es gibt keine festeren Bande als die Familie.«
Außer das Regiment für den Mann, da standen Waffenbrüder sich oft so nahe wie Blutsbrüder, manchmal sogar näher, erinnerte sich Hawkwood.
»Eine Wagenladung Gold zu klauen ist nicht dasselbe, wie ein Dutzend Brandyfässer den Strand hinaufzuschleppen«, gab Lasseur zu bedenken.
»Nein, das stimmt«, gab Hawkwood zu. »Aber es ist ein verdammtes Stück profitabler.«
»Richtig!«, sagte Lasseur und sein Gesicht hellte sich auf. »Ich habe im Leben schon so manches Geld verdient, aber so was ist mir noch nicht passiert. Mein Gott, Matthew, du kannst über Morgan sagen, was du willst, aber der macht keine halben Sachen!«
Hawkwood musste zugeben, dass Lasseur Recht hatte. Und es schien, als würde der Privateer sich langsam für den Mann erwärmen. Und warum auch nicht? Morgan gab ihm ein Dach über dem Kopf, er verpflegte ihn und würde für seine Heimreise sorgen, ganz zu schweigen von der Beteiligung am Gewinn, der beim Schlag gegen den verhassten Feind abfallen würde, und hierbei würde Lasseur sich auch noch auszeichnen. Von Lasseurs Standpunkt aus war es seine Pflicht, die Feinde Frankreichs zu schikanieren und ihnen Schaden zuzufügen, und dasselbe galt für Masson, Le Jeune und alle anderen. Für sie war Morgans Vorhaben eine goldene Gelegenheit.
Was man ruhig wörtlich nehmen konnte.
Hawkwood merkte, wie Lasseur vom Jagdfieber gepackt war. Er hörte, wie freudig erregt seine Stimme klang, und wusste, dass hier ein Urinstinkt zum Vorschein kam. Es erinnerte ihn an einen Wolf, der Blut gewittert hatte, und er wusste, dass aus Lasseur, dem Gefangenen, wieder Lasseur, der Privateer geworden war, die Rolle, die seinem Charakter entsprach. Hawkwood fiel die Geschichte von dem Skorpion ein, der den Frosch bat, ihn über den Fluss zu tragen, und versprach, ihn auch nicht zu stechen. Doch als sie den Fluss zur Hälfte überquert hatten, brach der Skorpion sein Versprechen und stach den Frosch, so dass er starb und der Skorpion damit auch seinen eigenen Tod herbeigeführt hatte. Als der Frosch noch fragen konnte, warum, hatte er geantwortet: »Weil ich ein Skorpion bin, es ist meine Bestimmung, zu stechen.«
Lasseurs Bestimmung war es, auf der Suche nach Beute über die Meere zu segeln und dabei jede Möglichkeit zu nutzen, die sich ihm bot. Vielleicht war der Name seines Schiffes nur ein Zufall, dachte Hawkwood. Mit wachsendem Unbehagen stellte er fest, dass Lasseur wieder sein Feind geworden war.
Und das hieß, dass er auf sich allein gestellt war.
Plötzlich bemerkte er, dass Lasseur etwas entdeckt haben musste. Hawkwood folgte seinem Blick und erstarrte. Es war Thaddäus, der Stallbursche.
Er zeigt mit dem Daumen auf das Wohnhaus.
»Mr. Morgan möchte Sie sprechen«, sagte er.
Morgan saß an seinem Schreibtisch, als Hawkwood und Lasseur eintraten. Er trug dieselben Kleider wie bei seinem Morgenspaziergang, eine dunkle Hose und Jacke und eine blaue Weste. Hawkwood hielt nach den beiden Mastiffs Ausschau und war erleichtert, als er sah, dass sie nicht da waren. Der Schwarzdornstock jedoch lehnte an der Seite des Schreibtisches.
Morgan nickte dem Stallburschen zu, der sich zurückzog und die Tür hinter sich schloss. Pepper, der hinter Morgan stand und aus dem Fenster sah, drehte sich um, den guten Arm auf dem Rücken.
Morgan trat hinter dem Schreibtisch hervor und ging zu einem runden Tisch, auf dem eine Flasche und vier Gläser standen. »Einen Drink, meine Herren?« Er wartete nicht auf Antwort, sondern ergriff die Flasche.
»Ich glaube, Captain Lasseur wird das mögen. Es ist vom Weingut Bertin. Man sagt, es sei Kaiser Bonapartes Lieblingsmarke.« Er sah seinen Leutnant an. »Cephus?«
Pepper kam auf seinen langen Beinen angestelzt. Morgan verteilte die Gläser und hob das seine. »Auf den Profit!«
Die vier Männer tranken. Hawkwood sah sich im Raum um. Er war bemerkenswert nüchtern und zweifellos von einem Mann eingerichtet. Bis auf ein bequemes Sofa vor dem Kamin war es eher ein Büro als ein Wohnzimmer. Der erste Eindruck erinnerte Hawkwood an Hellards Wohnraum auf der Rapacious. Bei näherem Hinsehen jedoch sah er, dass die Möbel, auch wenn sie einfach waren, von bedeutend besserer Qualität waren. Und im Gegensatz zu Hellards Quartier gab es hier Bilder an den Wänden, die meisten mit Pferdemotiven. Er fragte sich, ob Morgan wohl Familie hatte. Mit dem Weinglas in der Hand sah der Schmuggler jeder Zoll wie ein wohlhabender Gutsherr aus, während Pepper, der ganz in Grau gekleidet war, sein effizienter, aber ebenfalls respektgebietender Verwalter hätte sein können.
Morgan wandte sich an Lasseur. »Haben Sie gut geschlafen, Captain? Captain Hooper meinte, dass er in der neuen Umgebung nur schwer einschlafen konnte.«
»Ich nicht«, sagte Lasseur. »Obwohl ich eher an schaukelnde Betten gewöhnt bin.«
»Ach, natürlich. Und auf den Hulks gibt es auch Hängematten, nicht wahr? Übrigens, habe ich es schon erwähnt, dass Sie und Cephus hier etwas gemeinsam haben? Cephus ist auch zur See gefahren, ehe wir uns trafen. War’s nicht so, alter Freund?«
Lasseur betrachtete Pepper mit neuem Interesse. »Sie waren in der Navy, Mr. Pepper?«
»Das ist lange her«, sagte Pepper.
Er machte keinerlei Anstalten, ausführlicher zu werden. Lasseur warf einen schnellen Blick auf Peppers linken Arm, sagte aber nichts. Hawkwood wusste nicht, ob er aus Höflichkeit oder aus Rücksicht auf Peppers Verhalten schwieg.
»Das war, ehe er eine lukrativere Beschäftigung fand«, fügte Morgan hinzu.
»Der Handel?«, fragte Lasseur.
»Richtig.« Morgan lachte. »Schmeckt Ihnen der Wein, Captain?«
»Ich freue mich, bestätigen zu können, dass Seine Majestät einen ausgezeichneten Geschmack haben«, sagte Lasseur.
»Und wozu ist man denn im Geschäft, wenn man seine Ware nicht probieren kann, nicht wahr?« Morgan nahm einen Schluck aus seinem Glas und schmatzte genießerisch. »Setzen Sie sich doch. Machen Sie sich’s bequem.«
Hawkwood nahm sich einen Stuhl. Lasseur setzte sich auf das Sofa.
Morgan stellte das Glas hin und öffnete ein furniertes Holzkästchen. »Eine Manila?«
Mit einem Ausdruck der Freude nahm Lasseur sich eine Zigarre. Er hielt das fest gewickelte Blatt unter die Nase und sog genüsslich den Duft ein.
Hawkwood lehnte ab. Morgan nahm sich ebenfalls eine Zigarre und bot Pepper das Kästchen an, doch der schüttelte den Kopf.