»Da würde ich zu gern dabei sein«, sagte Croker.
»Mach kein so enttäuschtes Gesicht, mein Junge. Wenn du dich benimmst, bekommst du deine Chance schon noch. Alles zu seiner Zeit. Aber jetzt hat Thaddäus gerade frisch eingestreut, da wäre es schade, das schon wieder schmutzig zu machen. Außerdem würde es die Pferde wieder aufscheuchen, und die haben wir schon genug erschreckt. Ich will nicht riskieren, dass die Stute in Panik gerät und das Fohlen tritt, nach allem, was wir durchgemacht haben.«
Zu Hawkwood sagte Morgan: »Da haben wir Sie wohl ein bisschen erschreckt, was?«
»Hat sich anscheinend in die Hose gemacht«, sagte Croker höhnisch.
Hawkwood schüttelte den Kopf. »Ich nicht. Das wird Del sein. Ich habe Misthaufen erlebt, die besser riechen als der. Ich dachte, Sie sagten, der darf nicht rein?«
Del zog die Nase kraus. »Wovon faselt der eigentlich?«
»Sein Boss findet, dass du stinkst«, sagte Hawkwood. Er sah verstohlen auf die Pistole in Dels Hand. Es wäre nicht schwer, ihm die abzunehmen, aber Croker wirkte äußerst dienstbeflissen, und Sol war auch nicht zu unterschätzen. Hawkwood wollte kein Spiel mit zwei Unbekannten riskieren. Außerdem musste man auch noch Pepper in Betracht ziehen, und der war eine völlig unbekannte Größe. Dann das Mädchen. Die hatte bewiesen, wozu sie fähig war, indem sie Jilks umgebracht hatte. Hawkwood fragte sich, wie sie das wohl gemacht hatte. Er erinnerte sich wieder an die Pistolen auf dem Schrank.
»Kümmere dich nicht um ihn, Del«, sagte Morgan, der erschöpft wirkte. »Er wollte wohl bloß’nen Witz machen.«
»Ich stinke auch gar nicht«, sagte Del gekränkt. »Das ist die verdammte Farbe. Wie oft soll ich das noch sagen?«
»Du hast ja jetzt gar keine Farbe an dir«, sagte Hawkwood.
»Sehr komisch«, sagte Del, noch immer verunsichert. Er wandte sich an Morgan. »Wo sollen wir sie hinbringen?«
»Mir aus den Augen. Schließt sie in einen Keller ein, dort können sie eine Weile schmoren. Jack, geh du mit. Es ist besser, wenn ihr zu mehreren seid. Und gebt keinem auch nur einen Zoll - das meine ich ernst. Und sowie sie eingeschlossen sind, will ich dich, Del, wieder draußen auf der Straße sehen. Und schickt Asa Higgs eine Nachricht, am besten nehmt ihr eine Brieftaube. Sagt ihm, es gibt’ne Beerdigung.« Er sah Hawkwood und Lasseur an. »Vielleicht sogar drei.«
Morgan warf Pepper seine leere Pistole zu und sah das Mädchen an. »Esther, du reitest jetzt Jilks’ Stute wieder in ihren Stall zurück, ehe es hell wird. Und vergiss nicht, sie trockenzureiben. Es ist besser, man sieht ihr nicht an, dass sie lange geritten worden ist. Wenn du das gemacht hast, warte bis zum Morgen und dann behaupte, du hast ihn gerade gefunden. Nicht zu viele Tränen, nur so viele, dass es glaubwürdig aussieht. Du weißt schon. Wenn du jetzt aufbrichst, müsstest du es gerade schaffen. Thaddäus hilft dir beim Satteln.«
Das Mädchen nickte.
»Also gut«, sagte Morgan. »Jetzt weiß jeder, was er zu tun hat.«
Croker nahm die Laterne. »Auf, bewegt eure Ärsche.« Er hielt den Pistolenlauf an Hawkwoods Wange. »Und sowie du mir nur den geringsten Anlass gibst …«
»Jetzt reicht’s erst mal, Jack«, sagte Morgan. »Deine Chance kommt schon noch.«
Croker machte ein Gesicht, als könne er nicht so lange warten.
Sol, der ebenfalls eine Laterne hatte, ging voran über den Hof und mehrere Treppen hinunter in einen feuchten, gruftähnlichen Gang unter den Fundamenten der alten Klostergebäude.
Croker ließ sie vor einer verschlossenen Tür anhalten und zog den Riegel zurück. Er öffnete die Tür und bedeutete Hawkwood, einzutreten. Als Hawkwood halb an ihm vorbei war, trat Croker ihn mit aller Kraft von hinten gegen die Wade, worauf Hawkwood einknickte und auf dem harten Steinboden landete.
»Passt auf den Froschfresser auf«, knurrte Croker, der sich gerade anschickte, Hawkwood zwischen die Beine zu treten. Hawkwood rollte auf die Seite und fing den Tritt mit dem Oberschenkel ab. Aber auch so war es schmerzhaft genug. Er schrie auf. Es folgten noch zwei weitere schnelle Tritte, ehe Croker sich zurückzog; er hatte endlich auf Sols Mahnung gehört, dass ihr Boss nicht sehr erbaut sein würde, wenn der Mistkerl verrecken würde, ehe er verhört worden war.
Er hielt die Laterne hoch und sah hinunter auf Hawkwood, seine Augen waren finster vor Hass. »Du bist schon so gut wie tot«, sagte er.
Er drehte sich um. »Bringt den anderen rein.«
Del schubste Lasseur in den Keller, und Croker ging hinaus. Lasseur hatte gerade noch Zeit, festzustellen, wo Hawkwood sich befand, ehe die Tür zugeschlagen wurde und sie im Stockdunkeln saßen, in dem nur Hawkwoods schmerzhaftes Stöhnen zu hören war.
Es dauerte einige Minuten, ehe der Schmerz nachließ und Hawkwood sich aufsetzen konnte. Er tat es sehr vorsichtig, wobei er froh war, dass Croker sich auf seine untere Körperhälfte konzentriert hatte. Keiner seiner Tritte war auf die Verletzungen getroffen, die er sich bei dem Kampf auf dem Hulk zugezogen hatte.
Er konnte nichts sehen. Im Keller war es dunkel wie in einer Gruft.
»Matthew?«, kam Lasseurs Stimme aus der Finsternis.
»Bin noch da«, sagte Hawkwood.
Er spürte eine Hand auf seinem Arm. »Bist du verletzt?«
»Ich werde es überleben.«
»Ich sollte Charbonneau zitieren. Was sagte der gleich wieder? ›Der Herr liebt Optimisten.‹«
Hawkwood ignorierte die Schmerzen in Bauch und Oberschenkel und stand auf, er hörte, wie Lasseur das Gleiche tat. Er streckte die Hand aus und fasste Lasseur beim Ärmel. »Die Tür ist auf unserer linken Seite, stimmt’s?«
Lasseur dachte einen Augenblick nach. »Ja.«
»Vergewissern wir uns«, sagte Hawkwood. »Gehen wir rückwärts, bis wir die Wand erreichen.«
Sie gingen fünf Schritte, ehe ihre Rücken die kalte Mauer berührten.
»Und was jetzt?«, fragte Lasseur neugierig.
Hawkwood lehnte sich gegen die Wand und versuchte, sich zu orientieren. Er versuchte, sich zu erinnern, was er in dem Keller gesehen hatte, ehe die Tür zufiel und es dunkel wurde. Crokers Bedürfnis, ihn zu quälen, hatte ihm wertvolle Sekunden geschenkt, in denen er einen Eindruck von seiner Umgebung gewinnen konnte, von der Größe des Raumes und von einigen der Gegenstände, die sich hier befanden.
Das Wichtigste waren die Lage der Tür und ein Bord auf der linken Seite, wo er einen Kerzenstumpf gesehen hatte und daneben etwas, das wie ein Feuerzeug aussah.
»Bleib, wo du bist«, sagte Hawkwood.
Mit ausgestreckten Händen humpelte er in Richtung der gegenüberliegenden Wand. Dabei musste er an die Soldaten denken, die im Krieg blind geworden waren und jetzt an den Straßenecken betteln mussten, für immer von Dunkelheit umgeben. Ich möchte lieber tot sein als blind, dachte er.
Als seine Hände endlich die Wand berührten, hielt er inne. Er wusste, dass er in der Dunkelheit vielleicht etwas desorientiert war und überlegte, ob er nach rechts oder nach links gehen sollte. Er entschied sich für links. Das Bord war niedrig angebracht, wusste er, etwa in Taillenhöhe. Vorsichtig tastete er sich an der Wand entlang. Nach einigen Schritten fühlte er Holz, er tastete weiter und hatte Metall in der Hand. Es war das Feuerzeug. Ungeschickt befühlte er den Deckel der Büchse, nahm ihn ab und untersuchte den Inhalt. Ja! Er atmete erleichtert auf, als er Feuerstein und Stahl fand, und etwas, das sich wie Distelwolle anfühlte. Er hörte, wie Lasseur einen Laut der Freude ausstieß, als er auf den Feuerstein schlug. Nicht nur enthielt die Büchse Zunder, sondern auf dem Bord daneben lagen auch noch zwei kurze Wachsstöcke neben dem Kerzenstummel.
Ein paar Sekunden später hatten sie Licht.