Hawkwood löschte den Zunder, steckte die Utensilien zum Feuerschlagen wieder in die Büchse und ließ sie in seiner Tasche verschwinden. »Wir brauchen einen Weg nach draußen oder etwas, womit wir kämpfen können. Am besten beides.«
»Du hast doch noch dein Messer?«, erinnerte Lasseur sich.
»Das wird nicht ausreichen«, sagte Hawkwood. Er sah Lasseur an. »Warum hast du nicht versucht, mich zu erschießen. Du hättest die Chance gehabt, dich zu retten.«
Lasseur, vom Kerzenlicht beleuchtet und mit dieser Frage konfrontiert, schien überrascht. »Du schuldest mir noch viertausend Francs, hast du das vergessen? Ich habe nur meine Interessen gewahrt.«
»Und wer ist jetzt der Optimist?«, sagte Hawkwood und verzog schmerzhaft das Gesicht. Die Geste blieb Lasseur nicht verborgen. Er runzelte die Stirn. »Ich dachte, du sagtest, du bist nicht verletzt.«
»Nein, ich habe gesagt, ich werde es überleben. Es tut aber höllisch weh.«
»Du kannst es Croker nicht verdenken. Du hast seinen Freund umgebracht.«
»Vielleicht bringe ich Croker auch noch um«, knurrte Hawkwood. Er schwieg. Dann sagte er: »Warum hast du es getan? Was war der wirkliche Grund?«
Lasseur lächelte, dann wurde sein Gesicht ernst. »Ich sagte doch, du bist ein Ehrenmann. Ich sagte auch, um dich sei etwas Dunkles, Ungewisses. Ich halte beide Feststellungen noch immer für richtig. Das hast du bewiesen, als du an meiner Seite um den Jungen gekämpft hast und als du am Strand mein Leben gerettet hast. Wegen dieser beiden Vorfälle allein werde ich dich immer als meinen Freund betrachten. Und meine ganz allgemeine Regel ist, dass ich meine Freunde nicht umbringe. War das wahr, was Morgan gesagt hat? Du bist eigentlich Polizist?«
Hawkwood nickte.
»Da hast du mir einen ganz schönen Bären aufgebunden.«
»Aber ich habe dich nie für dumm gehalten«, sagte Hawkwood. »Das ist ein gewaltiger Unterschied.«
»Ja«, sagte Lasseur. Er sah nachdenklich aus. »Wahrscheinlich hast du Recht.«
Im Kerzenlicht bestätigte es sich: Der Keller hatte nur die eine Tür. Es gab nichts, was man als Waffe hätte benutzen können. Ein Dutzend Half-Anker Fässer waren an einer Wand gestapelt. Daneben lagen sechs größere Fässer. Neben den großen Fässern standen mehrere Korbflaschen, deren Inhalt, soweit es sich im trüben Kerzenlicht feststellen ließ, eine farbige Flüssigkeit war. Neben den Korbflaschen standen Kästen mit Dutzenden von leeren Flaschen. Der Geruch genügte, um ihnen zu verraten, was in den Fässern war. Hawkwood hob eines der kleinen Fässchen an, es war voll. Er vermutete, dass die sechs Fässer, die Asa Higgs von Jess Flynns Farm mitgebracht hatte, auch darunter waren, obwohl man es nicht genau sagen konnte, da sie alle gleich aussahen. Morgan nahm schon ein großes Risiko auf sich, wenn er sie auf seinem Grundstück lagerte, dachte Hawkwood, wenn es tatsächlich mal eine Razzia durch den Zoll geben sollte. Doch das schien unwahrscheinlich, wenn man die Wachen, sowie die vielen offiziellen Hüter des Gesetzes bedachte, die Morgan ebenfalls bezahlte.
An jeder der großen Tonnen war ein Zapfhahn. Hawkwood hielt die Hand unter einen davon und drehte auf. Er ließ etwas von der klaren Flüssigkeit laufen und kostete. Er hatte es für Gin gehalten, aber es war offenbar klares Wasser.
»Wenigstens werden wir nicht verdursten«, sagte Lasseur.
»Kommt drauf an, von welchem Fass du trinkst«, sagte Hawkwood. »Wenn du dir das falsche aussuchst, könntest du eher an Alkoholvergiftung sterben.«
»Was?« Lasseur zog die Augenbrauen hoch.
»Nicht alles, was hier an Brandy hergebracht wird, ist trinkbar. Vieles davon hat über siebzig Prozent, das müssen sie mit Wasser verdünnen. Und manches ist völlig farblos, also setzen sie Karamellsirup hinzu, um es dunkler zu machen. Ich vermute, der ist dort drin.« Hawkwood deutete auf die Korbflaschen und die Fässer. »Wenn du das Zeug unverdünnt trinkst, bringt es dich um.«
»Vielleicht gibt’s schlimmere Todesarten«, sagte Lasseur. Sehnsüchtig sah er die Fässer an. Dann wanderte sein Blick zu einer großen Teekiste. »Was glaubst du, was da drin ist?«
Mehr Schmuggelware, vermutete Hawkwood, aber wahrscheinlich kein Tee, da der Zoll auf Tee schon seit vielen Jahren stark gesunken war. Es war eher möglich, dass es sich um Spitzen, Handschuhe oder Seide handelte. Die Kiste war nicht verschlossen. Er öffnete die Bügel und hob den Deckel an.
Nichts Aufregendes; Stoffbündel, aber weder Spitzen noch Seide. Hawkwood griff hinein, um zu sehen, ob darunter etwas versteckt war, als ihm der Stoff bekannt vorkam. Er hielt die Kerze näher, dann stellte er sie hin und nahm eines der Bündel ganz heraus. Als er es aufrollte, hielt er eine Jacke und eine Hose in der Hand. Die Jacke war dunkelblau, Kragen und Manschetten waren rot. Die Hose war ein schmutziges Weiß.
Ein Laut der Überraschung kam von Lasseur. »Das ist ja eine französische Infanterieuniform.«
Hawkwood nickte. »Kompanie der Füsiliere.«
»Du kennst dich mit französischen Uniformen aus?«
»Das ist eine lange Geschichte«, sagte Hawkwood.
»Diese hier sind nicht neu.« Lasseur deutete auf ein Loch in der Jacke. »Das war eine Musketenkugel.«
Oder vielleicht sogar eine Kugel aus einer Bakerflinte, dachte Hawkwood.
Es waren mehr als ein Dutzend weiterer Uniformen in der Kiste. Was hatte Morgan damit vor? Er hatte keine Ahnung, aber er würde darüber keine schlaflosen Nächte verbringen. Er warf die Uniform in die Kiste zurück und machte den Deckel zu.
»Ich glaube, wir haben alle Möglichkeiten erschöpft«, sagte Lasseur. »Es sieht aus, als sei dein Messer die einzige Waffe, die wir haben.«
Hawkwood sah sich um.
»Nicht unbedingt.«
Lasseur sah ihn fragend an. »Woran hattest du denn gedacht?«
Hawkwood sagte es ihm.
Lasseur dachte darüber nach.
»Das Dunkle kommt wieder zurück«, sagte er grimmig.
Schritte, gefolgt vom harten Klang von Metall auf Metall.
Sofort war Hawkwood hellwach und öffnete die Augen. Doch es machte keinen Unterschied, er konnte nicht das Geringste sehen. Er überlegte, ob es schon Morgen sein könnte. Hatte er geschlafen? Es schien kaum fünf Minuten, seit sie eingeschlossen worden waren.
Er hörte Stimmen hinter der Tür, aber er konnte nichts verstehen. Er nahm an, dass Lasseur es auch gehört hatte. Schnell nahm er Feuerstein und Stahl, setzte den Zunder in Brand und entzündete damit die Kerze. Er steckte das Feuerzeug wieder ein und hockte sich hin, den Rücken zur Wand, die flackernde Kerze neben seiner Hand auf dem Boden. Er sah hinüber, wo Lasseur hockte. Der Privateer döste.
Das Geräusch wiederholte sich; ein Türriegel wurde zurückgezogen. Die Tür flog auf. Auf der Schwelle stand Croker, die Pistole in der Hand. Hinter ihm stand Sol, ebenfalls bewaffnet und mit einer Laterne.
Hawkwood sah, dass es Morgen war. Im Gang sah man graues Licht, das von draußen hereinfiel.
Croker machte eine kurze Kopfbewegung. »He, du - Ordnungshüter - auf die Beine! Der Froschfresser bleibt hier.«
Hawkwood blieb, wo er war.
Croker hob die Pistole. »Verdammt, bist du taub? Raus, hab ich gesagt! Mr. Morgan will dich sehen.«
»Das glaube ich nicht«, sagte Hawkwood. »Ich bleibe lieber hier.«
Croker kam herein. Zum ersten Mal schien er das Kerzenlicht zu bemerken. »Jetzt sieh dir das an, Sol! Sie haben sich ein Kerzchen angezündet! Wohl im Dunkeln Angst gehabt, was? Wie süß. Behalt den Froschfresser im Auge, ich kümmere mich derweil um seine Hoheit hier.«
Croker kam näher, Sol dicht auf seinen Fersen. Er hielt die Laterne hoch und wirkte unsicher.
Im Keller hatte es immer nach dem Inhalt der Fässer gerochen. Das war nichts Neues, aber erst als Croker auf den Boden sah und merkte, dass er im Laternenschein nass glänzte und dass auch seine Stiefel feucht waren, kam ihm der Verdacht, dass der Geruch vielleicht intensiver als sonst war.