In dem Moment stieß Lasseur das geöffnete Brandyfass um und Hawkwood berührte die auslaufende Flüssigkeit mit der Kerzenflamme.
Croker stieß einen lauten Schrei aus, als blaue Flammen über den Fußboden, seine Stiefel und seine Hose leckten.
Hawkwood wusste, dass das Feuer nicht lange brennen würde, je nachdem wie stark der Alkohol war, aber er verließ sich darauf, dass Croker zunächst in Panik geraten würde, was ihm einen Vorsprung verschaffte. Er stieß sich von der Wand ab und rammte Croker das Messer in den Hals. Die Klinge drang mit tödlicher Wucht ein. Croker riss vor Überraschung die Augen weit auf. Als er zu Boden stürzte, die Pistole noch immer in der Hand, zog Hawkwood die Klinge seitlich noch weiter, ehe er sie wieder herauszog. Den Rest erledigte die Schwerkraft.
Sol drehte sich zu spät um und schrie auf, als Lasseur ihm die leere Flasche auf die Nase schmetterte. Die Laterne fiel ihm aus der Hand. Als Sol zu Boden ging, entwand Lasseur ihm die Pistole und versetzte ihm einen Fußtritt in den Schritt. Sol lag neben Croker auf den Steinen. Lasseur schleuderte die Flasche zur Seite und ignorierte das laute Klirren. Croker, der in Brandy getränkt und brennend auf dem Boden lag, versuchte noch, mit der Pistole zu zielen, aber er starb, indem er in seinem eigenen Blut erstickte.
Hawkwood steckte das Messer wieder in seinen Stiefel und nahm Croker die Pistole aus der Hand. Das Feuer ging langsam aus.
Lasseur war schon draußen im Gang. Hawkwood warf die Tür zu und schob den Riegel vor. Am Fuß der Treppe holte er Lasseur ein.
»Wenn wir zu den Ställen kommen könnten«, sagte Lasseur hastig, »könnten wir zwei Pferde stehlen.«
Aber Hawkwood schüttelte den Kopf. »Keine Zeit. Wenn von Morgans Leuten jemand im Stall ist, müssten wir mit denen fertig werden und die Pferde satteln. Und selbst wenn wir dort wegkämen, müssten wir noch an den Wachen im Tor vorbei. Wir müssen davon ausgehen, dass Morgan seine Leute vorbereitet hat. Die würden uns hören und einkreisen. Bisher weiß noch keiner, dass wir ausgebrochen sind. Je länger wir das hinauszögern können, desto besser. Es ist besser, wenn wir hinten über die Mauer klettern und uns dann in Richtung auf die Wälder zu halten.«
»Morgan hat auch draußen an der Mauer Männer.«
»Aber in großen Abständen. Mit denen werden wir fertig.«
Hawkwood dachte an die Palisaden. Es waren die einzigen Schwachpunkte, die er gesehen hatte. Sie würden über offenes Gelände laufen müssen, aber wenn er das abwog gegen das Risiko, gut sichtbar auf laut trappelnden Pferden zu fliehen, schien das immer noch die vernünftigere Lösung. Und eigentlich hatten sie auch gar keine andere Wahl.
Lasseur betrachtete Sols Pistole. »Dann hoffen wir mal, dass die geladen ist.«
Oben an der Treppe blieben sie stehen. Der Hof war leer. Die Stalltür war nur angelehnt, es war verführerisch und Hawkwood hatte leise Zweifel.
»Fertig?«, murmelte Lasseur.
Er sprach zu sich selbst. Hawkwood war schon weg.
»Was machen Croker und Sol bloß so lange, um Himmelswillen?« Morgan schüttelte den Kopf halb ärgerlich, halb ratlos. »Es wäre ja fast schneller gegangen, wenn ich Del geschickt hätte.«
»Wir hätten selber gehen sollen«, sagte Pepper. »Wenn es ein Gemetzel gibt, dann ist der Keller leichter sauberzukriegen als der Teppich.«
Sie waren im Hauptgebäude. Morgan saß an seinem Schreibtisch, Pepper lehnte am Kamin.
Morgan dachte nach. Er starrte auf den Teppich. Was Pepper gesagt hatte, machte Sinn. Er nickte. »Du hast Recht.« Er nahm seinen Schwarzdornstock. »Gehen wir.«
Pepper nahm eine Pistole vom Tisch und folgte Morgan aus dem Zimmer.
Sie gingen auf den Wirtschaftshof, wo die Ställe waren.
Auch unterwegs war nirgendwo ein Zeichen von Croker und Sol. Morgan versuchte, die Zweifel zu verdrängen, die in ihm aufkamen. Er fragte sich, ob Pepper sich wohl auch Sorgen machte. Wenn ja, dann ließ er sich nichts anmerken. Aber so war Pepper: Er zeigte selten seine Gefühle. Egal, ob die Nachricht gut oder schlecht war, Peppers Gesichtsausdruck veränderte sich fast nie.
Die beiden Männer gingen über den Hof und stiegen die Kellertreppe hinunter. Es war Pepper, der es zuerst merkte.
»Was ist?«, fragte Morgan.
Pepper zog die Pistole und näherte sich der Kellertür. Vorsichtig zog Morgan den Riegel zurück und öffnete die Tür.
»Himmelherrgottnochmal!« Morgans Gesicht verzog sich in ohnmächtiger Wut, als er auf das Schlachtfeld starrte. Die Knöchel an der Hand, die den Stock hielt, waren weiß. »Diese verfluchten, unbrauchbaren Idioten!«
Croker lag auf dem Rücken. Seine Kleidung war versengt, seine Augen waren offen, aber sie sahen nichts mehr. Es war viel Blut geflossen. Sol lag mit angezogenen Beinen auf der Seite, umklammerte mit verbrannten Händen sein Gemächte und wimmerte. Eines seiner Augen war zugeschwollen. Aus seiner gebrochenen Nase tropften Blut und Rotz auf den Boden. Im Keller herrschte ein furchtbarer Gestank. Pepper sah das geöffnete Brandyfass, die Scherben der zertrümmerten Flasche, die weggeworfene Laterne und den Kerzenstummel.
Sehr klug, dachte er. Er warf einen Blick auf die anderen Fässer an der Rückwand des Kellers. Es war ein Glück, dass Hawkwood und Lasseur ihre Tätigkeit auf diesen Teil des Kellers beschränkt hatten und dass das Feuer ausgegangen war, ehe es sich auf die anderen Fässer ausgebreitet hatte.
»Läute die Glocke«, sagte Morgan. »Sie können noch nicht weit sein.« Pepper rannte bereits zur Treppe.
Hawkwood und Lasseur konnten die Außenmauer schon sehen, als sie den Lärm hörten. Sie hatten Glück gehabt. Mit den Ruinen als Deckung waren sie bis zu dem fensterlosen Gebäude gekommen, in dem Hawkwood Morgans Hunden begegnet war.
Vorsichtig hob Hawkwood den Kopf und sah durch eine der leeren Fensterhöhlen zum Hauptgebäude hinüber, wo mehrere Männer dem Läuten folgten, das mit jedem Schlag dringender klang.
»Wir müssen wohl davon ausgehen, dass sie Croker und Sol gefunden haben«, sagte Lasseur trocken.
»Und sie werden hinter uns herkommen, sobald das verdammte Gebimmel aufgehört hat«, sagte Hawkwood. Er drehte sich um und musterte die Mauer, wobei er sich zu erinnern versuchte, wo er die Lücke gesehen hatte.
Er entdeckte sie und zeigte darauf. »Dort, dicht bei den Bäumen. Dort ist das Mauerwerk kaputt. Morgan hat die Lücke zwar geschlossen, aber dort liegt Werkzeug, damit können wir sie durchbrechen.«
Geduckt und im Schutz der Ruine rannten sie darauf zu. Als sie etwa zwanzig Schritt von der Mauer entfernt waren, hörte das Läuten auf. Nach weiteren zehn Schritten fiel der erste Pistolenschuss. Er war nicht hinter ihnen gefallen, sondern kam von einem der beiden Männer, die ungefähr hundert Schritte rechts von Hawkwood zwischen den Bäumen hervortraten.
Als er sah, wie die Männer aus der Deckung kamen und er ihren Ruf hörte, merkte Hawkwood, dass er und Lasseur die Disziplin von Morgans Wachen an der Mauer unterschätzt hatten. Morgan musste seine Wachen angewiesen haben, auch bei Alarm auf ihren Posten zu bleiben, falls es sich um einen Durchbruch der Verteidigungsmauer handelte. Während alle anderen von Morgans Getreuen dem Läuten der Glocke gefolgt waren, hatten die Wachen draußen ihre Positionen eingenommen. Ihre Bereitschaft, sofort zu schießen, war ein Beweis, dass Morgan sie darüber aufgeklärt hatte, dass Hawkwood und Lasseur ein Risiko waren.
Hawkwood taumelte zur Seite, doch er wusste, dass der Wachmann in seinem Eifer zu früh und aus zu großer Entfernung geschossen hatte. Es hatte keine Gefahr bestanden, dass die Kugel ihr Ziel erreichen würde.
Er rannte weiter.
Ein weiterer Schrei ertönte, diesmal aus der Richtung der Hauptgebäude. Dort hatte man den Pistolenschuss gehört, das Zeichen für Morgans Leute, dass man die Flüchtenden gesehen hatte. Jetzt gab es keinen Grund zur Vorsicht mehr. Hawkwood riskierte einen Blick nach hinten. Von der anderen Seite der Ruine sah er ein Dutzend Männer, die auf sie zu rannten. Manche trugen Schlagstöcke, andere waren mit Pistolen bewaffnet. Zwei hatten Musketen dabei. Es war beruhigend, dass sie noch in einiger Entfernung waren.