»Zum Glück war es nur dein Kopf«, sagte Lasseur lächelnd. »Wenn er dich woanders getroffen hätte, hätte ich mir Sorgen gemacht.«
Als Hawkwood sich bewegte, stellte er fest, dass ihm sonst nichts wehtat, was ihn ermutigte, sich aufzusetzen. Auch das gelang ihm mit nur geringen Schmerzen. Er sah sich um. Der Raum war klein und hatte eine schräge Decke. Durch das halbgeöffnete Fenster sah er die Unterseite des Dachvorsprungs. Im Zimmer war ein einfacher Frisiertisch mit einem Spiegel, auf dem eine weitere Schüssel und ein Krug standen. Vor dem Tisch war ein Stuhl, an der Wand stand ein schmaler Kleiderschrank.
Er sah an sich hinunter. Er hatte ein Nachthemd an, das ihm nicht gehörte. Seine eigenen Kleider waren verschwunden, jedoch standen seine Stiefel neben dem Kleiderschrank.
»Es gehörte meinem Mann«, sagte Jess Flynn und zeigte auf das Nachthemd. Sie wechselte einen Blick mit Lasseur und lächelte. »Ich lasse Sie jetzt allein, damit Sie reden können.« Sie drückte das nasse Tuch über der Schüssel aus und stand auf. Auf dem Weg zur Tür streifte ihre Hand die von Lasseur. Der sah ihr nach, dann zog er den Stuhl ans Bett und setzte sich hin.
Hawkwood konnte noch immer nicht glauben, wo er war.
»Wie in aller Welt sind wir denn hierher gekommen?«
Lasseur grinste. »Mit einem Boot.«
»Was?« Hawkwood spürte einen kurzen Schmerz.
Lasseur legte ihm die Hand auf den Arm. Sein Gesicht war besorgt. »Woran kannst du dich denn erinnern?«
»Ich sah, dass du auf Del geschossen hattest. Danach … nichts mehr. Wie meinst du das, mit einem Boot?«
»Das ist eine lange Geschichte. Erinnerst du dich, dass ich dich zum Fluss getragen habe?«
»Nein.«
Lasseur hatte ihn ans Ufer gelegt und dann Dels Leiche geholt und diese ebenfalls an den Fluss gelegt, um die Hunde von ihrer Fährte abzubringen. Es hatte funktioniert, aber es war knapp gewesen. Er hatte ihre Gesichter mit Schlamm beschmiert und Hawkwood ins Schilf gezerrt, und im nächsten Augenblick waren die Hunde aus dem Wald gekommen.
Lasseurs Gesicht verdüsterte sich bei der Erinnerung daran.
»Ich hörte, wie sie bellten und die Männer suchten. Du lagst neben mir, und ich wusste nicht, ob du tot oder lebendig warst. Ich wartete, bis der Suchtrupp sich verzog, dann zog ich dich ans Ufer; Gott sei Dank hast du noch geatmet. Und dann sah ich das Boot. Es lag fast völlig unter Wasser. Als ich sah, dass auch Ruder darunter lagen, dachte ich erst, ich träume. Dann habe ich mir das Boot genauer angesehen, ich konnte fast nicht glauben, dass es heil war. Ich glaube, der Eigentümer musste es absichtlich versenkt haben, damit man denken sollte, es lohnte sich nicht, es zu stehlen. Das war unser Glück, denn es lohnte sich doch.
Ich konnte noch immer die Hunde hören, aber die rannten flussabwärts. Morgans Männer hatten wohl gedacht, dass wir versuchen würden, an die Küste zu kommen. Ich wusste, dass wir die entgegengesetzte Richtung einschlagen mussten, also hob ich das Boot und ruderte flussaufwärts. Es war wesentlich einfacher, als dich zu tragen. Dels Leiche lag noch immer dort, als wir abfuhren. Ich hörte sie sagen, dass sie den Totengräber benachrichtigen wollten, der ihn später holen sollte.« Er sah Hawkwoods Gesicht. »Was ist denn?«
»Ich wollte dich gerade fragen, warum wir ausgerechnet hierher gekommen sind, aber ich glaube, das wäre eine ziemlich dumme Frage.«
»Wir waren ja ganz in der Nähe. Ich wusste, hier wären wir in Sicherheit und Jess Flynn hätte vielleicht etwas, um deine Verletzung zu behandeln. Und ich hatte Recht. Sie hat dich gepflegt, mit ihrer Medizin und mit Fleischbrühe.
Das war wohl der Geschmack, den ich auf der Zunge hatte, dachte Hawkwood. Zu Lasseur sagte er: »Bitte halte mich nicht für undankbar. Aber waren das wirklich die einzigen Gründe?« Und erst jetzt bemerkte er, was der Privateer anhatte. »Dieses Hemd habe ich noch nie an dir gesehen.«
Lasseur lachte. »Ich freue mich, dass die Kopfverletzung deine kombinatorischen Fähigkeiten nicht beeinflusst hat, mein Freund. Du hast Recht, auch ich bin dankbarer Nutznießer der Flynnschen Kleiderkiste, genau wie du.«
»Es passt dir gut«, stellte Hawkwood lakonisch fest. »Du weißt, dass unsere Anwesenheit hier ein großes Risiko für sie bedeutet. Wenn Morgan erfährt, dass sie uns aufgenommen hat, könnte das böse für sie ausgehen.«
Lasseurs Gesicht wurde ernst. »Das weiß ich, mein Freund. Glaub mir, das weiß ich nur zu gut.«
Hawkwood sah, wie die Sorgenfalten auf Lasseurs Stirn tiefer wurden. »Und wie zum Teufel hast du den Weg hierhergefunden? Als Higgs uns herbrachte, war es doch Nacht.«
Lasseurs Gesicht hellte sich auf. »Ich bin Seemann, Matthew. Hattest du gedacht, ich schlafe, als der Totengräber uns zum Haunt brachte? Ich habe mir die Sterne angesehen. Es war eine klare Nacht, weißt du noch? Ich wusste, auf welchem Kurs wir uns befanden. Ich wusste, wo und wann wir den Fluss überquerten, und ich wusste auch, dass die Farm flussaufwärts lag. Bei Tageslicht war es einfach. Eines Tages bringe ich dir die Feinheiten der Himmelsnavigation bei!«
»Und niemand hat uns gesehen?«
»Soweit ich weiß, nicht. Doch wenn unsere Verfolger die Hunde nicht gehabt hätten, dann hätte es anders ausgehen können. Dann hätte ich sie wahrscheinlich nicht kommen hören. Ich kann nur sagen, die Götter müssen auf unserer Seite gewesen sein.« Lasseur setzte sich auf. »Übrigens weiß Thomas Gadd, dass wir hier sind. Er hat mir geholfen, dich nach oben zu tragen. Er hat auch das Boot wieder zurückgebracht. Und seitdem sind wir hier.«
Im Zimmer war es warm, doch Hawkwood lief es plötzlich kalt über den Rücken. »Was meinst du damit, seitdem? Wie lange sind wir denn schon hier?«
Lasseur zögerte; in seinen Augen flackerte es. »Du bist jetzt etwas länger als vierundzwanzig Stunden hier im Bett.«
Hawkwood brauchte einen Moment, um diesen Schreck zu verdauen. »Was?« Dann rechnete er schnell nach und warf die Decke zurück. »Mein Gott!«
Lasseur riss vor Schreck die Augen auf. Er legte Hawkwood die Hand auf die Brust. »Was machst du denn?«
Hawkwood schob seine Hand beiseite. »Ich muss die Behörden benachrichtigen! Ich muss sie warnen, wegen dem Überfall auf die Admiralität! Es soll doch morgen Nacht passieren!«
Lasseur packte ihn am Arm. »Warte! Tom Gadd sagte mir, dass Morgans Leute uns immer noch suchen. Sie haben ein Kopfgeld ausgesetzt. Wenn einer von uns die Farm verlässt, besteht die Gefahr, dass wir gesehen werden. Außerdem«, fügte Lasseur bestimmt hinzu, »sieh dich doch mal an! Du bist in keiner Verfassung, irgendwo hinzugehen.«
»Das muss ich riskieren.« Hawkwood schob Lasseurs Hand erneut weg, schwang die Beine aus dem Bett und stellte sie auf den Boden. »Wo sind meine verdammten Klamotten?«
Lasseurs Augen wanderten zum Schrank.
Hawkwood stand auf. Der Raum fing an, sich zu drehen. Schnell setzte er sich wieder hin.
Lasseur hob verzweifelt die Hände. »Siehst du? Du kannst kaum laufen. Du musst erst zu Kräften kommen.«
»Dafür ist keine Zeit!« Hawkwood sah zum Fenster, ihm war, als sähe er durch einen Schleier. »Zum Teufel, wie spät ist es eigentlich?«
»Es ist später Nachmittag, fast sechs. Hast du keinen Hunger? Du hast eine ganze Weile nichts Vernünftiges gegessen.«
»Nein, verdammt, ich habe keinen Hunger!« Hawkwood stemmte sich wieder vom Bett hoch. Der Raum schwankte dramatisch, aber nur einen Moment, dann war alles wieder im Lot. Er holte tief Luft und ging etwas unsicher zum Kleiderschrank, wo Hemd, Jacke, Hose und Unterwäsche an Haken und Bügeln hing. Er lehnte sich an die Schranktür und betrachtete die Sachen. Wenn man berücksichtigte, dass sie im Fluss durchnässt worden waren und erst recht, wie sie davor ausgesehen hatten, als sie durch den Wald gerannt waren, kam ihm alles bemerkenswert sauber vor.