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»Zwanzig.«

»Lass ihn in Ruhe, Chavasse! Du hast doch gehört, er will sie nicht verkaufen.« Murat hob die Hand. »Und außerdem sind sie zehnmal so viel wert. Hau ab und geh jemand anderem auf die Nerven.«

Hawkwood zog seinen Arm weg. Der Gefangene ging davon.

Der Dolmetscher wandte sich an Hawkwood. »Passen Sie auf Ihre Sachen auf, bis Sie sich hier besser auskennen, sonst sehen Sie sie nie wieder. Kommen Sie jetzt, ich zeige Ihnen, wo es hingeht.«

Murat schob sich an ihnen vorbei und stieg die fast senkrechte Treppe hinab. Hawkwood und Lasseur folgten ihm. Es kam ihnen vor, als stiegen sie in ein schlecht beleuchtetes Bergwerk. Als sie drei Viertel der Treppe hinter sich gebracht hatten, musste Hawkwood den Kopf einziehen, um nicht gegen den Balken über sich zu stoßen. In seinem Rücken knackte es. Er hörte, wie Lasseur leise lachte, was in dieser Situation grotesk wirkte.

»Daran werden Sie sich auch gewöhnen«, sagte Murat trocken.

Hawkwood konnte nichts sehen. Der plötzliche Übergang vom Tageslicht in diese Grabesfinsternis war abrupt und beängstigend. Wenn Murat nicht seine gelbe Jacke getragen hätte, wäre es in dieser Dunkelheit unmöglich gewesen, ihm zu folgen. Es war, als hätte jemand die Sonne ausgelöscht. Hawkwood blieb stehen und wartete, bis seine Augen sich an das Dunkel gewöhnt hatten.

»Weitergehen!« Der Befehl kam von hinten.

»Hier lang«, sagte Murat und zeigte die Richtung an. »Und ziehen Sie den Kopf ein.«

Die Warnung war unnötig. Hawkwood hatte bereits einen steifen Hals. Die Höhe vom Deck bis zu den Balken über ihnen konnte nicht mehr als fünfeinhalb Fuß betragen.

Murat sagte: »Man merkt sofort, dass Sie Soldat sind und kein Seemann, Captain. Sie gehen ganz anders. Aber wie ich schon sagte, daran werden Sie sich gewöhnen.«

Jetzt nahm Hawkwood undeutlich ein paar gebückte Gestalten wahr, die sich vor ihm bewegten. Sie erinnerten eher an Höhlenbewohner als an zivilisierte Menschen. Und der Gestank hier unten war noch viel schlimmer; eine Mischung aus Schweiß und Pisse. Hawkwood versuchte, durch den Mund zu atmen, aber er stellte fest, dass das auch nicht viel half. Vorsichtig ging er weiter. Die undeutlichen Umrisse nahmen langsam Gestalt an. Jetzt konnte er auch auf beiden Seiten helle Vierecke erkennen, wo das Tageslicht durch die offenen, vergitterten Geschützöffnungen fiel.

»Das wär’s«, sagte Murat. »Das Geschützdeck.«

Allmächtiger, dachte Hawkwood.

Im grauen, wässrigen Dämmerlicht konnte er sehen, dass das Deck ungefähr vierzig Fuß breit war. Wie lang es war, konnte er nur grob schätzen, denn er konnte die Enden kaum sehen, sie verschwanden vorn und achtern in der Dunkelheit. Man kam sich eher wie in einem Keller vor als in einem Schiffsrumpf. Hier, wo sie standen, waren sie zu weit von den Geschützöffnungen entfernt, als dass das Tageslicht sie erreicht hätte, aber mit etwas Mühe konnte er erkennen, dass auch in der Mitte, genauso wie an den Seiten, Bänke entlangliefen. Und es schien, dass sie alle belegt waren. Der größte Teil des Fußbodens war ebenfalls von Menschenkörpern bedeckt. Trotz des schwachen Lichtes schienen viele der Männer mit irgendetwas beschäftigt zu sein. Einige strickten, andere flochten Hüte aus etwas, das wie Stroh aussah. Mehrere von ihnen schnitzten kleine Figuren aus Knochen, Hawkwood vermutete, dass es sich vielleicht um Schachfiguren handelte. Er fragte sich nur, wie hier überhaupt jemand sehen konnte, was er tat. Das Gefühl von Klaustrophobie war fast überwältigend.

Er sah, dass entlang der Schotten mehrere Laternen hingen, die aber nicht angezündet waren.

»Wir versuchen, Kerzen zu sparen«, erklärte Murat. »Außerdem brennen sie hier unten nicht besonders gut; zu viele Menschen, nicht genügend Sauerstoff.«

Einen Moment dachte Hawkwood, der Dolmetscher mache einen Witz, aber dann sah er, dass es Murat ernst war.

Das Licht reichte gerade aus, dass Hawkwood die Haken und Klampen an den Balken erkennen konnte, an denen die Hängematten befestigt wurden. An vielen der Haken hingen Gegenstände; keine Hängematten, sondern Säcke und Kleidungsstücke, die an riesige Samenkapseln erinnerten.

Murat folgte seinem Blick. »Die Langzeitgefangenen gewöhnen sich an einen bestimmten Platz. Sie markieren ihr Territorium. Sie können jeden freien Haken nehmen. Es werden oben und unten Hängematten aufgehängt, also wird für Sie beide Platz sein. Am besten ist es, Sie hängen sie jetzt schon auf. Die anderen Hängematten sind noch auf dem Vorderdeck, dort werden sie jeden Morgen hingebracht und verstaut. Wenn die abends zurückkommen, können Sie sich hier nicht mehr bewegen. Jeder hat etwa sechs Fuß Platz. Nachts sind vierhundert von uns hier eingepfercht. Sie sind neu, deshalb können Sie nicht groß wählen. Wenn Sie eine Weile hier sind, bekommen Sie vielleicht einen Dauerplatz an einem Fenster.

»Wie lange sind Sie schon hier?«, fragte Hawkwood.

»Zwei Jahre.«

»Und wie dicht sind Sie an den Fenstern?«

Murat lächelte.

»Was ist, wenn wir schon jetzt einen Platz dort haben wollen?«, sagte Lasseur. Es war klar, was er meinte.

Vierhundert Mann?, dachte Hawkwood.

»Das dürfte etwas kosten«, sagte Murat ohne zu zögern. Er wusste, was Hawkwood dachte. »Schätzen Sie sich glücklich. Sie hätten auf dem Orlopdeck landen können. Dort unten sind vierhundertfünfzig, und es ist längst nicht so geräumig wie hier.«

»Wie viel?«, fragte Lasseur.

»Für zwei Louis kann ich Ihnen einen Platz bei einer Geschützöffnung besorgen. Für zehn, eine Koje in der Kabine des Commanders.«

»Die Geschützöffnung reicht«, sagte Lasseur. »Vielleicht unterhalte ich mich später mal mit dem Commander.«

Mit zusammengekniffenen Augen sah Murat Hawkwood an. »Und Sie?«

»Wie viel in englischem Geld?«

»Es kostet zwei Pfund.« Der Dolmetscher musterte sie beide. »Bar. Kredit gibt’s nicht.«

Hawkwood nickte.

»Warten Sie hier«, sagte Murat und verschwand.

Lasseur sah sich um. »Ich war mal auf einem Sklavenschiff, vor Mauritius. Das konnte einem auch den Magen umdrehen. Aber das hier ist fast noch schlimmer.«

Hawkwood glaubte ihm ohne weiteres.

Lasseur war Privateer gewesen, Kapitän auf einem Kaperschiff. Diese Schiffe hatten die Franzosen über Hunderte von Jahren benutzt. Sie wurden durch private Gelder finanziert, und es war eine der Maßnahmen gewesen, mit der Bonaparte den Beschränkungen durch die britische Blockade begegnen konnte. Im Laufe der letzten Jahre war ihre Anzahl rückläufig, ein Ergebnis der britischen Dominanz auf den Meeren nach der Schlacht von Trafalgar.

Die enge Beziehung zu Lasseur war Ludds Vorschlag gewesen, obwohl die einleitende Strategie Hawkwoods Idee war.

»Ich brauche jemanden, der von meiner Person ablenkt«, hatte er zu James Read und Ludd gesagt. »Wenn ich dort aufkreuze und gleich anfange, verfängliche Fragen zu stellen, geht es mir wie Ihrem Mann Masterson. Das kann ich nur vermeiden, wenn ich mich im Schatten eines anderen verstecke. Ich muss mich mit einem echten Gefangenen verbünden, jemand, der für mich arbeitet, so dass ich unter seinen Rockschößen mit hineinschlüpfen kann. Sie sagten, Sie würden mich nach Maidstone schicken. Suchen Sie mir dort jemanden aus, der sich dafür eignet.«

Einen Tag vor seiner Ankunft im Gefängnis hatte Ludd sich mit Hawkwood getroffen.

»Ich glaube, ich habe Ihren Mann«, sagte Ludd. »Ein Privateer namens Lasseur. Wurde nach einem Gefecht mit einer britischen Patrouille vor Kap Gris-Nez festgenommen. Der freche Kerl hat danach zweimal versucht, vom Schiff zu türmen; er hatte sogar den Nerv, noch während seines Transfers nach Ramsgate einen Ausbruchsversuch zu machen. Wenn jemand eine Fluchtmöglichkeit sucht, dann er, darauf können Sie sich verlassen. Er hat geprahlt, dass kein englisches Gefängnis ihn halten kann. Halten Sie sich an den, und das Problem dürfte schon halb gelöst sein.«