»Gold?«, sagte Gadd. »Was für’n verdammtes Gold?«
»Dann bist du auf Morgans Seite?«, sagte Hawkwood, der Gadds verwirrtes Gesicht ignorierte. »Das tust du, wo du doch weißt, dass er Männer hinter uns herschickt? Zwei deiner eigenen Landsleute haben versucht, dich umzubringen! Wie passt das zu deiner Auffassung von Patriotismus?«
»Jessie?«, sagte Gadd. »Weißt du, wovon die reden?«
Jess Flynn stand stumm da, ihre Augen wanderten zwischen den Männern hin und her. Offenbar war sie von dieser plötzlichen Entwicklung genauso irritiert wie Gadd.
Lasseur schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht wichtig. Hier geht es um die große Sache.«
»Also deshalb warst du so besorgt um meine Gesundheit«, sagte Hawkwood. »Deshalb wolltest du mich überreden, hierzubleiben. Denn wenn Morgan den Überfall heute Nacht durchzieht, dann käme jede Nachricht, die ich morgen von Barham schicken würde, zu spät.«
Wütend schob er den Stuhl zurück und sah zur offenen Tür. In zwei Stunden würde die Sonne untergehen. Noch war Zeit, zur Telegrafenstation in Barham zu reiten und der Admiralität und den Behörden in Deal eine Warnung zu schicken, ehe die Dunkelheit es vereitelte.
Doch würde Morgan seine Pläne heute Nacht ausführen? Würde er es riskieren, obwohl er wusste, dass die Männer, die er jagte, noch auf freiem Fuß waren? Hawkwood wusste, dass er nichts riskieren durfte, falls Morgan es tatsächlich machte.
Er drehte sich zu Jess Flynn um, die die beiden Männer immer noch völlig ratlos ansah. »Ich brauche ein Pferd, Jess! Jetzt sofort!«
»Würde vielleicht jemand so gut sein und uns erzählen, was zum Kuckuck hier los ist?«, verlangte Gadd. »Was bedeutet dieses ganze Gefasel von Gold?«
»Morgan hat vor, die Admiralität in Deal zu überfallen und die Geldkisten der Armee zu rauben«, sagte Hawkwood. »Das Gold will er den Franzosen verkaufen. Und möglicherweise macht er es heute Nacht. Captain Lasseur hier möchte, dass es ihm gelingt. Ich möchte ihn daran hindern.«
»Oh, verflucht!« Gadd machte einen Schritt rückwärts. Hawkwood wandte sich an Lasseur. »Was jetzt, Captain? Werden Sie jetzt versuchen, mich daran zu hindern?«
Lasseur lächelte traurig. »Ich hatte nicht erwartet, dass es dazu kommt, mein Freund.«
»Ich auch nicht«, sagte Hawkwood ehrlich.
Lasseur stand vom Tisch auf. »Tut mir leid, Matthew.«
»Nein!«, rief Jess Flynn.
Hawkwood fühlte, wie seine Muskeln sich anspannten, er dachte an das Messer in seinem Stiefel und überlegte, wie schnell er es erreichen konnte.
»Am besten bleiben Sie, wo Sie sind, Captain. Ich möchte Sie nicht erschießen müssen.«
»Tom!«, sagte Jess Flynn schockiert.
Hawkwood sah sich um. Gadd hatte die Vogelflinte in der Hand. Die Mündung war auf Lasseurs Brust gerichtet und Tom Gadds Finger lag am Abzug.
»Sie ist geladen, Captain, falls es Sie interessiert. Ich hab sie immer geladen, weil ich Wild für den Kochtopf schieße und man nie weiß, was im nächsten Moment aus dem Kornfeld aufsteigt. Also, ehe Sie’ne Dummheit machen, bedenken Sie, dass Sie nicht so schnell hinter dem Tisch vorkommen können, wie ich abdrücken kann.«
Lasseur hielt die Handflächen hoch und setzte sich wieder, immer noch das halbe Lächeln um den Mund.
»So ist’s besser«, sagte Gadd. »Machen Sie sich’s bequem, und wir anderen müssen mal überlegen. Die Geldkisten der Armee, sagten Sie?«
»Für Wellingtons Truppen in Spanien«, sagte Hawkwood.
»Und Morgan will sie Bonaparte geben?«
»Nein, er will sie ihm verkaufen.«
Gadd fummelte mit der Zunge an einem hohlen Zahn.
»Kann nicht behaupten, dass ich das gut finde, Old Noseys Gold den Franzosen zu geben. Ich hab in meinem Leben auch schon ein paar Guineen geschmuggelt, aber wir haben nie was von unseren Jungs geklaut. Irgendwo hört’s doch auf. Und wenn Morgan die Hand im Spiel hat, dann müsste man verdammt blöd sein, um nicht zu wissen, dass er gleichzeitig sein eigenes Nest damit polstert. Sie hatten Barham erwähnt. Meinten Sie den Telegrafen?«
»Richtig.«
Gadd richtete sich hoch auf. »Dann reiten Sie am besten sofort los. Wenn Sie jetzt gehen, schaffen Sie es, ehe es dunkel ist. Im Stall sind zwei Pferde. Nehmen Sie die Stute, die ist schneller. Das kleinere Pferd geht besser vor dem Wagen. Sie müssen auf die Straße nach Dover; nehmen Sie den Weg durch den hinteren Wald bis zur Kirche, dann weiter nach Süden. Die Straße geht direkt nach Barham Downs. Sie werden die Telegrafenstation schon sehen, sie ist oben auf dem Berg. Man kann’s gar nicht verfehlen. Den Captain behalten wir hier, solange Sie weg sind. Vielleicht kriegen wir ja auch was zu essen und zu trinken, wie wär’s damit, Jessie?« Ehe Jess Flynn Zeit hatte, zu antworten, drehte Gadd sich um. »Sind Sie immer noch da, Constable? Jetzt sprinten Sie mal los, Sie verschwenden kostbare Zeit!«
Hawkwood sah zu Lasseur. »Reisen Sie sicher, Captain«, sagte der Franzose, und es klang, als ob er es ehrlich meinte.
Hawkwood rannte aus der Küche.
Als er den Weg zum Stall einschlug, sah er auf der Anhöhe einen Lichtblitz.
Verflucht, zu spät, dachte er. Er wusste, dass es die Sonne war, die von einem Fernglas reflektiert wurde. Er hatte es zu oft gesehen, als dass es etwas anderes sein konnte.
Er reagierte ganz instinktiv. Geduckt lief er zurück ins Haus, als der erste Reiter sich lautlos vom Waldrand löste.
Dann fing der Hund an zu bellen.
20
Pepper hatte das Farmhaus gut fünfzehn Minuten beobachtet, ehe er irgendein Lebenszeichen sah. Er ließ die Zügel hängen und hob das Fernrohr ans rechte Auge.
Eine schmächtige Gestalt ging zur Hintertür, und Pepper erkannte, dass es Thomas Gadd war. Dieser hinkende Gang war unverwechselbar. Er fragte sich, was in dem Sack war. Er schien ziemlich voll, wahrscheinlich war es Wild. Pepper konnte auch erkennen, dass Gadd eine Flinte trug.
Der Hund stand auf. Er wedelte mit dem Schwanz und Pepper sah, wie Gadd dem Hund durchs Fell fuhr und mit ihm ins Haus ging. Der Hund war Peppers Hauptsorge gewesen. Er wusste, dass das Tier nicht mehr jung war, aber deshalb war sein Geruchssinn nicht weniger gut. Pepper und seine Männer hatten sich zwar auf der windabgewandten Seite versteckt, aber Windrichtungen waren nicht sehr zuverlässig. Sie konnten jeden Moment drehen.
»Worauf warten wir?« Seth Tyler spuckte auf den Boden und seine Hand fuhr immer wieder zur Pistole, die in seinem Gürtel steckte. »Gehen wir jetzt dort runter oder nicht?«
»Wir gehen, wenn ich es sage«, erwiderte Pepper, ohne das Fernrohr vom Auge zu nehmen.
Tyler wurde rot vor Ärger über diese Zurechtweisung, die er umso demütigender empfand, weil Pepper es nicht einmal für nötig befunden hatte, das Fernrohr abzusetzen. Aber er wusste nur zu gut, dass es keinen Zweck hatte, zu widersprechen.
Die Wunden in Tylers Gesicht schmerzten noch immer. Auf einigen der oberflächlicheren Kratzer hatte sich Schorf gebildet, die tieferen schmerzten noch immer bei jeder Berührung. Tylers Erklärung, dass er auf seinem Rückweg vom Duke’s Head in ein Dornengebüsch gefallen war, wirkte glaubhaft, denn es war bekannt, dass er gern einen über den Durst trank. Er hatte Ezekiel Morgan und Cephus Pepper dieselbe Geschichte erzählt, als er ihnen die Information wegen der beiden Männer überbrachte, die Morgan suchte.
Tyler hatte vor Wut gekocht seit dem Tag, als er von der Farm gejagt worden war und seine Schwägerin, diese Schlampe, ihm gedroht hatte, zur Flinte zu greifen, wenn er ihr Eigentum wieder betreten würde. Was dachte sie eigentlich, wer sie war? Diese eingebildete Ziege! Verführte einen mit ihren koketten Blicken, nur um dann ein großes Geschrei anzufangen, wenn man zur Sache kam. Es war doch klar, dass sie hinter ihm her war. Und sie musste sich ja auch nach Zärtlichkeit sehnen, schließlich war ihr Mann schon drei Jahre unter der Erde. Tyler fand, dass er ihr eigentlich einen Gefallen tat. Sie müsste ihm doch eigentlich dankbar sein, verdammt nochmal! Stattdessen war sie widerspenstig und warf ihn raus. Und wahrscheinlich war sie auch daran schuld, dass Annie jetzt jedes Mal ein Theater machte, wenn er etwas von ihr wollte. Er vermutete, dass Jessie versuchte, ihre Schwester gegen ihn aufzuhetzen, und das machte Tyler noch wütender. Aber sie würde für den Ärger büßen, den sie ihm bereitet hatte, dafür würde er sorgen.