Ein weiterer Teller fiel vom Küchenschrank und zerbrach hinter ihm. In der anderen Hälfte des Hauses brannte der Wohnraum schon lichterloh, die Flammen hatten bereits die Decke erreicht. Von den Wänden platzte der Putz. Der Rauch wurde immer dicker und beißender.
»In den Keller!« rief Hawkwood.
Lasseur schob den Tisch zur Seite. Jess Flynn riss die Falltür auf. Sofort kam der Hund herausgeschossen wie eine zottelige braune Kanonenkugel, doch sie hatte ihn schon mit beiden Händen am Fell gepackt und hielt ihn mit aller Kraft fest. Der Hund jaulte laut auf und versuchte zu entkommen, aber sie hielt ihn mit grimmiger Entschlossenheit fest und bugsierte das laut protestierende Tier, dessen Krallen hilflos auf dem Steinboden abrutschten, wieder in den Keller zurück, wohin sie ihm folgte. Lasseur beugte sich zu Tom Gadd hinab und hob ihn auf. Der verwundete Mann stöhnte, als Lasseur ihn hinunter in die Dunkelheit trug.
Hawkwood wollte Lasseur gerade folgen, als er unter dem Spülstein einen Eimer sah. Er vermutete, dass Jess damit Wasser aus dem Bach holte, aber er wusste nicht, ob er jetzt voll war. Er zögerte nur den Bruchteil einer Sekunde, als er Lasseur rufen hörte. Dann riskierte er es und holte den Eimer. Er war halbvoll. Hawkwood ergriff ihn und ging in die Vorratskammer. Er glaubte, einen Schuss hinter sich zu hören. Pepper oder einer seiner Männer musste gesehen haben, dass sich im Rauch noch etwas bewegte. Mit tränenden Augen, die Flammen dicht hinter sich, stieg er die Kellertreppe hinunter und schloss die Falltür.
»Wir dachten schon, Pepper hat dich erwischt«, sagte Lasseur. Er klang ungehalten. »Was hast du denn noch gemacht? Was hast du da?« Sein Ton wurde jedoch ruhiger, als er sah, was in dem Eimer war.
Jess Flynn hatte eine Kerze angezündet. Sie gab sie Lasseur, der sie über Gadds Wunde hielt. »Halt sie still«, sagte sie.
Vorsichtig zog sie das blutgetränkte Hemd von der Wunde und untersuchte die Einschussstelle, die die Pistolenkugel in dem Stoff hinterlassen hatte. Sie schob die zerrissenen Ränder zusammen. Hawkwood wusste, dass sie prüfte, ob von dem Stoff etwas in die Wunde eingedrungen war. Wenn das der Fall war, dann war die Gefahr einer tödlichen Infektion durch den schmutzigen Stoff größer als durch die eigentliche Verletzung und den Blutverlust. Die blutigen Ränder des Risses passten genau aneinander. Sie atmete erleichtert auf. Die Wunde sah sauber aus.
Hawkwood zog sein Messer heraus und schnitt einen Streifen Stoff von Gadds Hemd ab. Jess nahm es, machte es im Eimer nass und fing an, das Blut von Gadds Schulter abzuwaschen. Gadd stöhnte und öffnete kurz die Augen. »Es war Jed Cooper, der auf mich geschossen hat.« Er blinzelte Lasseur an. »Hoffe, Sie kriegen den Bastard.«
»Ganz ruhig, Tom«, sagte Hawkwood. »Nicht reden.«
Gadd verstummte und zuckte nur kurz zusammen, als der nasse Lappen seine Wunde streifte.
Hawkwood sah sich um. Der Keller war nicht groß, er hatte etwa die Größe der Küche darüber. Körbe mit Obst und Gemüse standen auf Regalen ringsum an den Wänden.
»Ich weiß nicht, ob wir hier besonders sicher vor dem Feuer sind. Der Keller ist aus Stein, also wird er nicht brennen, aber wenn zu viel Rauch hier eindringt, sind wir verloren. Uns wird die Luft ausgehen, und dann wäre es besser gewesen, wenn Pepper uns erschossen hätte. Wenn du unter deinem Rock noch ein paar Unterröcke anhast, Jess, dann könnten wir die in Streifen schneiden und nass machen und uns ums Gesicht binden.« Er lächelte. »Ich glaube, so machen Heldinnen das immer.«
Sie tupfte das letzte Blut von Gadds Schulter, machte den Lappen wieder nass und drückte ihn aus. Dann streckte sie die Hand aus. »Das Messer.«
Sie schnitt vier Streifen von ihrem Unterrock ab und ließ sie in den Eimer fallen.
Hawkwood stand auf und untersuchte die Unterseite der Falltür. Sie war aus schwerem Holz und mit Eisenbändern verstärkt. Wenn sie auch sehr gut eingepasst war, einem wirklich schweren Brand würde sie nicht standhalten. Wenn die Temperatur hoch genug war, würde das Metall sich verziehen und das Holz verbrennen. Der Rauch würde in den Keller eindringen und sie alle töten. Bis jetzt gab es allerdings noch keine Anzeichen dafür, aber der Rauch war über ihnen und würde sie finden.
Von oben kam ein lautes Krachen. Hawkwood vermutete, dass ein Teil der Decke heruntergekommen war. Er ging wieder zu den anderen. Der Hund lief winselnd hin und her und stieß ab und zu ein ängstliches, leises Jaulen aus. Er sah Hawkwood an und probierte ein zaghaftes Wedeln, ehe er sich, den Kopf auf den Vorderpfoten, neben Jess Flynn niederlegte. Doch er blieb nicht still liegen, immer wieder hob er den Kopf und sah trübsinnig zur Kellerdecke hoch.
Aus dem brennenden Haus kamen weitere Geräusche. Der Hund spitzte die Ohren.
Sie löschten die Kerze, um keinen Sauerstoff zu verbrauchen und um ihre einzige Lichtquelle zu schonen. Und so saßen sie da, in Dunkelheit und Stille, und warteten.
Hawkwood wusste nicht genau, ob er geschlafen hatte oder nicht. Er war sich nicht bewusst, dass er die Augen zugemacht hatte, und im Dunkel des Kellers hätte es sowieso keinen Unterschied gemacht, aber er fühlte sich merkwürdig entspannt und ausgeruht. Er wusste, dass die Einbildung einem im Dunkeln merkwürdige Streiche spielen kann, besonders was das Zeitgefühl betraf. Nachdem die Kerze gelöscht war, war sein Kopf voll von merkwürdigen, unzusammenhängenden Bildern gewesen, aber ohne Ausnahme hatten alle mit Gewalt, Blut und Schrecken zu tun. Aber nach einiger Zeit hatte die Dunkelheit beruhigend gewirkt. Sein Körper fühlte sich schwer und müde an, aber er hatte keine Schmerzen. Lag es daran, dass er die Unvermeidlichkeit des Todes akzeptiert hatte? Sein Schicksal war besiegelt, also warum sollte er noch kämpfen?
Doch solange er noch denken konnte, war er auch Herr seines Schicksals und nichts war unvermeidlich.
Er merkte, dass sich neben ihm etwas bewegte, und hörte ein Hecheln. Es war der Hund, der plötzlich auf die Füße gesprungen war und leise jaulte. Dann bellte er laut. Hawkwood hörte, wie ein Feuerstein angeschlagen wurde, es gab einen Funken und die Kerze brannte. Jess Flynns Gesicht erschien aus dem Schatten.
Lasseur sagte unruhig: »Ich rieche Rauch.«
Hawkwood konnte es auch riechen. Er fragte sich, warum er es nicht eher gemerkt hatte. Hatten seine Sinne ihn wieder genarrt? Er sah hoch, doch er konnte nichts Auffälliges entdecken. Die Steine hinter ihm fühlten sich noch immer kühl an. Er nahm einen der Stoffstreifen aus dem Eimer, band ihn um Mund und Nase und nahm die Kerze in die Hand.
Der Hund fing an, wie wild zu bellen. In der Enge des Kellers war der Lärm so unerträglich, dass Hawkwood dachte, sein Trommelfell müsse platzen.
Als er zur Falltür ging, wurde das Gebell trotz Jess Flynns Beruhigungsversuchen immer eindringlicher.
Der Rauchgeruch wurde intensiver. Er vermutete, dass er im Laufe der Zeit, die sie hier unten waren, langsam immer stärker geworden war, woraus er schloss, dass sie einige Zeit hier zugebracht haben mussten.
Die Unterseite der Falltür zeigte keine Brandspuren, aber der Brandgeruch war durchdringend. Als er die Hand ausstreckte, um den Metallbeschlag zu prüfen, hörte er über sich ein Kratzen, dann ein lautes Poltern.
Er zog die Hand zurück.
Pepper! Er war zurückgekommen, um die Sache fertig zu machen.
Er wusste, er hatte keine Waffe außer dem Messer, und das war hinter ihm bei Jess.
Doch was tat es, dachte er müde. Sie waren ja ohnehin schon so gut wie tot.
Die Falltür wurde hochgezogen. Ein Schatten fiel über die Öffnung. Hawkwood spürte, wie jeder seiner Muskel sich spannte.
»Mensch, du siehst ja aus wie’ne aufgewärmte Leiche«, sagte Jago.
21
»Rasier dir bloß den Bart ab«, sagte Jago. »Der macht dich zehn Jahre älter.«