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»Jemand muss Tom Gadd zum Arzt bringen«, sagte Hawkwood.

»Das macht Jethro. Hast du gehört, Jethro? Ich habe auf der anderen Seite einen Wagen gesehen. Nimm die Laterne und spann an. Dann hol Mrs. Flynn und den alten Mann und fahre sie, wohin sie möchte.«

Garvey nickte. Er nahm die Laterne und ging.

»Er ist’n guter Kerl.« Jago sah Hawkwood an. »Es war mir ernst, als ich sagte, du siehst aus wie’ne aufgewärmte Leiche. Hältst du das auch durch? Es ist ein ziemlicher Weg.«

»Kennst du die Straße?«

»Natürlich kenn ich die verdammte Straße!«

Jago war in einem kleinen Dorf im Marschland von Kent aufgewachsen. Als junger Mann hatte er sich im ganzen Land in verschiedenen Berufen versucht - manche legal, andere von eher zweifelhafter Art -, ehe er schließlich auf dem Jahrmarkt von Maidstone für eine Prämie von zwei Guineen bei einem Rekrutierungsoffizier unterschrieben hatte.

»Wie lange?«

Jago dachte nach. »Kommt drauf an, wie schnell du die Pferde laufen lässt. Der Himmel ist klar, und wir haben Mondlicht. Am besten nehmen wir die Straße nach Dover bis Green Street. Dann über Land durch Eythorne. Ein Spaziergang wird das nicht. Ich schätze, es wird’ne gute Weile dauern.«

»Die Pferde, die Peppers Männer hiergelassen haben, dürften ausgeruht sein.«

»Das ist richtig. Aber wir werden trotzdem einen Teil des Weges im Schritt reiten müssen.«

»Ich gehe und suche die besten aus«, sagte Lasseur.

Jago sah Hawkwood an und zog eine Augenbraue hoch.

»Es ist besser, wenn wir ihn auf unserer Seite haben«, sagte Hawkwood.

»Wie du meinst«, sagte Jago. Er sah hinter Lasseur her, der das Tor zur Koppel öffnete.

»Er ist ein guter Kerl«, sagte Hawkwood.

»Du meinst, für einen Franzosen?«

Zum ersten Mal seit langer Zeit musste Hawkwood lächeln.

Micah kam mit seinem und Jagos Pferd zurück. Es gab keine Diskussion darüber, ob Micah mit ihnen reiten würde. Hawkwood hatte schon früher mit Jagos Leutnant zu tun gehabt und war von der Besonnenheit und Effizienz des Mannes beeindruckt gewesen.

Jago und Micah behielten ihre Pferde. Lasseur hatte die besten von Peppers Tieren ausgesucht: eine Fuchsstute und einen schwarzen Wallach.

Inzwischen hatte Garvey Jess Flynns kleineres Pferd aus dem Stall geholt und vor den Wagen gespannt, sein eigenes Pferd band er hinten an. Er saß auf dem Bock und hielt die Zügel. Gadd lag hinten im Wagen, bis zum Kinn mit einer Pferdedecke zugedeckt. Der Hund lag neben ihm, den Kopf auf seinen Oberschenkeln.

Hawkwood ging zum Wagen und nahm Gadds Hand. »Das hast du gut gemacht, Tom. Du hast uns sehr geholfen, das werde ich dir nie vergessen.«

»Ich werd Sie auch nicht so schnell vergessen, Capt’n.« Gadd lächelte schwach, aber in seinen Augen war schon wieder etwas von dem alten Funkeln.

»Zahlen Sie’s ihnen jetzt heim?«

»Darauf können Sie sich verlassen«, sagte Hawkwood.

»Besonders Pepper.«

»Dem besonders.« Hawkwood beugte sich dicht über ihn. »Ich habe noch eine Frage, Tom: Morgan erwähnte ein Schiff, das vor Deal auf ihn warten würde. Haben Sie’ne Ahnung, welches Schiff das sein könnte?«

»Das wird die Sea Witch sein. Die nimmt er für ganz besondere Transporte. Sie ist’n früherer Navykutter, sehr schnell, getakelt wie’n Schoner und pechschwarz gestrichen. Die können Sie nicht übersehen.«

Bei Nacht wahrscheinlich doch, dachte Hawkwood. Er sah zum Himmel.

»Klingt, als ob’s das sein könnte. Danke, Tom. Und passen Sie gut auf Jess auf, ja?«

»Mach ich, Cap’n. Und viel Glück auch.«

Hawkwood schwang sich auf die Stute. Die anderen saßen bereits im Sattel. Lasseur stand bei Jess Flynn.

»Übrigens«, sagte Jago, »Ich dachte, vielleicht kannst du das gebrauchen …« Er griff in seine Satteltasche und zog Hawkwoods Schlagstock heraus, den Kommandostab, in dem sich seine Ermächtigung als Runner befand.

»Wo zum Teufel hast du den her?«

»Frag lieber nicht«, sagte Jago und kniff ein Auge zu.

Hawkwood nahm den Stab, es war ein gutes Gefühl, ihn in der Hand zu spüren, fast als begrüßte man einen alten Freund. Er sah zu Lasseur hinüber. »Wir müssen gehen, Captain.«

Er sah, wie Lasseur und die Frau sich umarmten. Lasseur flüsterte ihr etwas ins Ohr und wartete, bis sie neben Gadd auf den Wagen gestiegen war. Sie fuhren los, und sie hob die Hand zu einem stummen Lebewohl. Lasseur sah ihr einen Augenblick nach, dann saß er auf.

Während der Wagen langsam die Straße entlangrumpelte, wendeten Hawkwood, Jago, Micah und Lasseur ihre Pferde und ritten in Richtung Deal.

Es war nach Mitternacht, als sie endlich ankamen.

Es war ein anstrengender Ritt gewesen. Sie hatten in Blean südlich der Kirche die Straße nach Dover genommen und waren die zehn Meilen bis Dean Hill gut vorangekommen. Die Straße war gut, und es war eine gerade Strecke, obwohl sie ihre Geschwindigkeit in Canterbury drosseln mussten und teilweise im Schritt durch die Stadt ritten. Jago hatte die Gelegenheit benutzt, um Hawkwood zu fragen, was eigentlich los sei, und Hawkwood hatte ihn informiert.

»Man kann dich auch nicht eine verdammte Minute aus den Augen lassen, stimmt’s?«, war Jagos Kommentar gewesen.

Sie waren weiter nach Süden und durch die Barham Downs geritten. Es war zu dunkel und zu spät, um ein Signal mit der Klappenanlage zu schicken, doch Hawkwood hatte beim Vorbeireiten die Signalstation gesehen, die sich oben auf dem Berg gegen den Nachthimmel abhob.

Bis Wooten lagen sie gut in der Zeit, aber dann ging es wesentlich langsamer voran. Die Straße war nicht viel mehr als ein schmaler, gewundener Weg, kaum breit genug für einen Wagen, und sie mussten einzeln hintereinanderreiten. Ab und zu ging der Weg auch querfeldein über mondbeschienene Felder und Wiesen. Hawkwood meinte, dass es schneller wäre, bis Dover auf der Straße zu bleiben und dann die Hauptstraße nach Norden zu nehmen, aber Jago bestand darauf, dass der Weg, den er gewählt hatte, fünf Meilen kürzer sei.

Es war weit nach Mitternacht, als sie durch das westliche Zolltor von Deal in die Stadt ritten, und sowohl die Männer als auch ihre Pferde waren in Schweiß gebadet. Die Stadt war hell erleuchtet. Die fieberhafte Unruhe überall deutete darauf hin, dass sie zu spät kamen, doch eigentlich hatte Hawkwood auch mit nichts anderem gerechnet, seit sie die ausgebrannte Ruine des Farmhauses verlassen hatten.

Morgan hatte Rache genommen, genau wie er es angekündigt hatte. Und dabei hatte er eine Spur von Tod und Zerstörung hinterlassen.

Der Überfall war nicht gerade still und heimlich erfolgt. Wenn es Morgans Absicht gewesen war, größtmögliche Panik und Verwirrung zu stiften, dann war es ihm auf bemerkenswerte Weise gelungen. Der Angriff auf die Admiralität war von mehr als zwei Dutzend Männern ausgeführt worden, die mit sechs Wagen kamen. Das elegante zweistöckige Gebäude mit den großen Fenstern, die auf beiden Seiten eines von Säulen getragenen Eingangs lagen, sah nicht aus wie ein Haus, in dem man Goldbarren aufbewahren würde. Rechts unter dem Säulenvorbau stand ein Schilderhäuschen mit einem Wachtposten. Zur Straße hin war das Haus mit zwei schweren Türen verschlossen. Oder besser gesagt, es war verschlossen gewesen. Nach Morgans Angriff hingen sie nur noch in den Angeln, nachdem sie von einer Zwölfpfünder aus der kleinen Kanone getroffen worden waren, die auf den niedrigen Pferdewagen montiert war, der jetzt schräg über die Straße stand.

Diese kleine Kanone war eine wirksame Waffe: ein kurzes, gedrungenes Rohr, das sich für verschiedene Kaliber eignete - von denen die Zwölfpfünder das kleinste war -, aber sie hatte auch ihre Nachteile. Ein Nachteil war, dass sie einen gewaltigen Rückstoß hatte. Das Geschützrohr, das jetzt neben dem Wagen lag, sagte genug.