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»Das will viel heißen bei einer so schönen jungen Frau.«

»Und auch wieder nichts, Monseigneur, wenn Sie bedenken, daß diese Frau in jeder anderen Gesellschaft als der, von der ihre Armut sie fernhält, nicht an ihrem Platz wäre.« »Madame«, begann der Kardinal nach kurzem Schweigen, indem er seinen Lehnstuhl näher rückte, »ich wüßte gern, wie ich Ihnen dienlich sein könnte.«

»Gar nicht, Eminenz, Sie überhäufen mich mit Ehre.«

»Reden wir offen. Soeben beklagten Sie sich noch.«

»Ich sehe, Monseigneur, sie wollen mir Almosen anbieten. Ich habe Almosen empfangen, aber ich will keine mehr. Ich bin genug gedemütigt worden.«

»Ihr Stolz gefällt mir!« rief der Kardinal. »Aber Unglück entehrt nicht. Nun, wie ist es, Sie sind doch nicht am Ende Ihrer Mittel?«

Jeanne antwortete nicht.

»Gewiß verfügen Sie noch über diesen oder jenen Besitz, Familienschmuck zum Beispiel?« Und er wies auf die goldene Dose, die Jeanne in ihrer weißen Hand gleichmütig spielen ließ. »Ein originelles Stück«, fuhr er fort, »erlauben Sie? - Ah, ein Porträt!« rief er überrascht.

»Kennen Sie die Person, die es darstellt?« fragte Jeanne.

»Es ist Maria Theresia, die Kaiserin von Österreich.«

»Wirklich?« rief Jeanne. »Sind Sie sicher, Monseigneur?«

»Woher haben Sie diese Dose?«

»Von einer Dame, die gestern hier war.«

Der Kardinal betrachtete Jeanne, betrachtete die Dose und wieder Jeanne.

»Richtig gesagt, waren es zwei Damen, Monseigneur.«

»Und eine der beiden hat Ihnen dieses Stück hiergelassen?« fragte der Kardinal mißtrauisch.

»Sie hat es vergessen. Leider weiß ich den Namen der Dame nicht, sonst hätte ich ihr die Dose umgehend zurückgeschickt. Sie wird sie bestimmt vermissen.«

»Sie kennen die Dame nicht?«

»Ich weiß nur, daß sie die Vorsteherin einer Versailler Wohlfahrtsstiftung ist. Sehen Sie, Frauen empfange ich, sie demütigen uns nicht, wenn sie uns helfen. Diese Dame hat hundert Louisdor auf meiner Kommode hinterlassen.«

»Hundert Louisdor!« rief der Kardinal überrascht. »Verzeihen Sie, Madame, ich staune nicht, daß man Ihnen eine so große Summe gab. Im Gegenteil, Sie verdienen auf Grund Ihrer Abstammung jegliche Unterstützung. Mich wundert nur, daß die Dame von einer Wohlfahrtsstiftung kam; für gewöhnlich spenden sie entschieden kleinere Almosen. Könnten Sie die Dame wohl beschreiben?«

Und nun, da Jeanne die Neugier ihres Besuchers geweckt hatte, da sie ihn im Zweifel sah, ob Jeanne ihm nur etwas vorspiele oder ob sie tatsächlich den Besuch der Königin erhalten und ob sie die Königin wirklich nicht erkannt hatte oder sich nur den Anschein gab, ließ sich die kleine Gräfin jedes Wort, mit dem sie die hohe Besucherin beschrieb, aus dem Munde ziehen. Als Jeanne schließlich angab, die begleitende jüngere Dame sei mit dem Taufnamen Andree angeredet worden, blieben dem Kardinal keine Zweifel mehr. Der in Versailles umlaufende Klatsch hatte ihn bereits gestern über den Ausflug Marie-Antoinettes und den anschließenden morgendlichen Streit mit dem König unterrichtet.

Um sicherzugehen, erkundigte sich der Kardinal noch, an welche Personen des Hofes sie Bittgesuche gerichtet habe. Jeanne nannte mehrere und erklärte, daß sie keinen Erfolg gehabt hätte.

»Seltsam, daß Sie sich nie an die Königin gewendet haben!« fragte er forschend.

»An die Königin habe ich mich nie gewandt«, entgegnete Jeanne schlicht. »Ich habe mich lediglich um eine Audienz bemüht, doch vergeblich.«

Während Jeanne lauernd die Reaktionen des Herrn de Rohan beobachtete und sich fragte, welche Beweggründe er haben mochte, für die Handlungen Marie-Antoinettes ein so deutliches Interesse zu bekunden, begriff sie immerhin mit Genugtuung, daß sie dem Kardinal mittlerweile nicht allein vollkommen unverdächtig und aufrichtig; sondern auch sehr anziehend erschien. Er betrachtete sie jetzt mit unverhohlenem Wohlgefallen, hinter dem ein besonderes Interesse sich verbarg.

»Nun, Gräfin«, sagte er endlich, »ich selbst werde Sie, wenn nötig, nach Versailles bringen und Ihnen alle Türen öffnen.«

»Wie gütig von Ihnen, Monseigneur!« rief Jeanne entzückt.

Der Kardinal rückte näher, dann versank er neuerlich in Schweigen.

»Monseigneur«, sagte Jeanne, »Sie wahren bisweilen ein Stillschweigen, das mich beunruhigt. Ein Mann wie Sie läßt die Höflichkeit nur gegen zwei Arten von Frauen außer acht.«

»Was meinen Sie, Gräfin? Sie erschrecken mich.«

Er nahm ihre Hand.

»Nun, gegen Frauen, die er zu sehr liebt, und gegen solche, die er zu wenig achtet.«

»Gräfin, Sie machen mich erröten. Sie sprechen, als wären Sie mir gram.«

»Nein, Monseigneur, bisher haben Sie meinen Zorn noch nicht verdient.«

Damit warf sie ihm einen Blick zu, von dem der Kardinal, ein Kenner der Frauen, sich gestehen mußte, selten einen verführerischeren auf sich gezogen zu haben.

»Und ich will ihn auch niemals verdienen, Madame, von diesem Tag an, der mir das Vergnügen beschert hat, Sie kennenzulernen.«

Und der Kardinal drückte einen langen Kuß aufJeannes schlanke Hand.

»Wenn ich wüßte«, fuhr die Sirene fort, »daß ich in einem so erhabenen Geist wie dem Ihrigen den mindesten Platz einnehmen könnte, würde mich das ein Jahr lang trösten.«

»Ein Jahr! Das ist wenig ... Hoffen wir auf länger, Gräfin.«

»Nun gut, ich sage nicht nein, Herr Kardinal«, antwortete sie lächelnd.

Die einfache Anrede »Herr Kardinal« hätte den stolzen Mann verletzen können, aber die Dinge standen inzwischen so, daß er sie vielmehr als eine Gunst aufnahm. Und der Kuß, den Herr de Rohan jetzt aufJeannes Finger drückte, war respektvoll, zärtlich und kühn zugleich. Mit einem Rest Zeremonie verneigten sie sich lächelnd voreinander und tauschten einen Blick, der künftige Vertraulichkeit versprach.

Endlich, dachte Jeanne, wird die große Welt sich mir öffnen.

Ich habe doppelten Gewinn gemacht, dachte der Kardinal, als er seine Kutsche bestieg. Diese Frau ist nicht nur bezaubernd, sie ist auch klug. Sie wird die Königin zu erobern wissen, wie sie mich erobert hat.

Mesmer

Mesmerismus war 1784 das Wort, das vor allen anderen die Köpfe erhitzte. Es bezeichnete eine geheimnisvolle Wissenschaft, aus der ihr Erfinder eine neuartige Heilmethode abgeleitet hatte. Sie populär zu machen bemühte er sich indes nicht. Wozu? Das Volk, das von den Regierenden seit hundertfünfzig Jahren nicht mehr zu Rate gezogen worden war, galt nichts im Staat; es war der fruchtbare Boden, der reichen Ertrag abzuwerfen hatte; Herr über den Boden war der König; die Ernte aber führte der Adel in die Scheuer.

Doktor Mesmer, 1777 aus Deutschland, dem Land der nebligen Träume, gekommen, hatte dort zunächst mit einer These über die astralen Einflüsse auf das Nervensystem aufgewartet. Aber seine Theorie war zu abstrakt und zu schwierig gewesen, um Erfolg zu haben, eine Vermischung kompliziertester astronomischer Fakten und astrologischer Phantastereien. Also wandte er sich dem Studium der Magnete zu. Der Magnetismus stand derzeit im Vordergrund des wissenschaftlichen Interesses, denn seine sympathischen und antipathischen Wirkungen schienen den Mineralen ein Leben, ähnlich dem menschlichen, zu verleihen. Sah es nicht aus, als reagierten sie gemäß den großen menschlichen Leidenschaften, Liebe und Haß? Man war folglich bereit, dem Magnetismus erstaunliche Heilwirkungen zuzugestehen. Mesmer verband den Magnetismus mit seiner Astraltheorie und erhoffte sich davon den großen Durchbruch. Leider traf er in Wien auf einen etablierten Rivalen, einen gewissen Hall, der behauptete, Mesmer habe sein Verfahren schlechthin gestohlen.

Als phantasievoller Mann gab Mesmer den mineralischen Magnetismus sofort auf und verfiel, dem Wirken des uns bereits bekannten Joseph Balsamo nachspürend, auf den animalischen Magnetismus. Das Wort klang neu, die Geheimnisse des animalischen Magnetismus jedoch waren schon den ägyptischen und griechischen Priestern bekannt gewesen. Doch wie dem sei, als Doktor Mesmer nach Paris kam, heilte er binnen drei Monaten ein siebzehnjähriges Mädchen von einer Leberkrankheit und einer Lähmung des Sehnervs. Und nach etlichen Widrigkeiten, die aus dem Neid von Kollegen sowie aus der Knauserigkeit des Königs und seines Finanzministers erwuchsen, konnte Mesmer schließlich in Paris festen Fuß fassen.