»Rue Dauphine«, rief der Lakai dem Kutscher zu.
Die kleine Frau bedauerte, nicht am Jardin des Plantes zu wohnen, als die Kutsche bald darauf den Pont-Neuf überquerte und in ihre Straße einbog.
Im zweiten Stock, in ihrer nicht reichen, aber erträglich ausgestatteten Wohnung angelangt, erfuhr sie von der Alten, die ihr die Wirtschaft führte, daß »der Herr« schon auf sie warte.
»Welcher Herr?«
»Der, den Sie heute abend sprechen wollten.«
Sprachlos blickte die junge Frau vom Vorzimmer durch eine Art Glaswand in den Wohnraum. Auf ihrem verschossenen alten Sammetsofa saß in sichtlicher Gemütsruhe ein Mann Mitte Vierzig, wohlbeleibt, und spielte mit der schönen weißen Hand in seinem kostbaren Spitzenjabot.
Wenn die junge Person ihn auch nicht kannte, unsere Leser sahen ihn bereits im Saal des Doktors Mesmer eifrig am Werk. Er war es, der viel Geld für ein Pamphlet bezahlt und die Zuschauer zur Begrüßung der vorgeblichen Königin aufgewiegelt hatte. Sein lebhafter Blick richtete sich voller Wohlwollen auf die Eintretende.
»Ich weiß«, eröffnete er das Gespräch, »was Sie mich fragen wollen, Fräulein Oliva - so ist doch Ihr Name? -, aber erlauben Sie, daß ich mit den Erklärungen selbst beginne. - Nun setzen Sie sich doch; wenn Sie weiter so stehenbleiben, muß ich auch aufstehen, und unsere Unterhaltung verliefe entschieden unbequemer.«
»Sie dürfen sich schmeicheln, ziemlich ungewöhnliche Manieren zu haben, mein Herr«, erwiderte Oliva, indem sie Platz nahm.
»Mein Fräulein, ich sah Sie vorhin bei Herrn Mesmer und fand Sie, wie ich Sie zu finden wünschte. Erschrecken Sie nicht, ich mache Ihnen keine Liebeserklärung, das ist nicht meine Absicht.«
»Was wollen Sie dann von mir?« fragte Oliva naiv.
»Was hielten Sie von einem kleinen Geschäft zwischen uns?«
»Einem Geschäft?«
»Sie mißverstehen noch immer, Mademoiselle. Hier ist nicht von Liebe, sondern von Geld die Rede.«
Oliva bekundete ihre Neugier.
»Ich vermute«, fuhr der Fremde fort, »Sie gehen gern aus, Sie leben gern gut, ohne etwas dafür zu tun; wenn ich Ihnen monatlich fünfundzwanzig Louisdors bieten würde, wäre Ihnen das angenehm?«
»Mein Herr!«
»Sie zweifeln schon wieder, Mademoiselle. Wir wollen uns doch aber beide nicht ärgern. Im übrigen würde ich auch fünfzig sagen, wenn Sie das lieber hörten.«
»Ich zöge fünfzig vor«, entgegnete Oliva, »aber noch mehr wert ist mir die Freiheit, meine Liebhaber selbst zu wählen. Wenn Sie nicht bald gehen, werden Sie mit dem meinigen die unerquicklichste Bekanntschaft machen.«
»Werfen Sie ihn hinaus.«
»Beausire wirft man nicht ohne weiteres hinaus, Monsieur. Außerdem liebe ich ihn.«
»Ah, Beausire also! Gut, den nehmen wir in Kauf.«
»Wenigstens sind Sie nicht unbequem. - Aber was müßte ich denn tun, um die fünfzig Louisdors zu verdienen?«
»Sie werden mich hier empfangen, mit dem freundlichsten Gesicht, wenn ich bitten darf, Sie werden mit mir ausfahren oder ausgehen, wenn ich es wünsche, oder mich dort erwarten, wohin ich Sie bestelle. Das ist alles.«
»Ehrenwort?«
»Ehrenwort! Allerdings könnte es bisweilen erforderlich sein, daß Sie meine Mätresse spielen, aber nur zum Schein, vor der Öffentlichkeit. Abgemacht?«
Fräulein Oliva dachte nicht ohne Schrecken an die Eifersucht ihres Freundes, aber ein solches Angebot erhielt man nicht alle Tage, und Beausire verspielte oft mehr Geld, als er nach Hause brachte. Sie und die fünfzig Louisdors würden ihn schon zähmen.
»Gut, abgemacht«, sagte sie, »und wann soll die Sache steigen?«
»Heute nacht auf dem Opernball.«
»Wissen Sie, daß es bald Mitternacht ist und daß man dazu Dominos benötigt?«
»Beausire wird welche ausleihen gehen. Hier die erste Monatsrate und hier zehn Louisdors für die Dominos.«
Lächelnd wurde das Geld gereicht, lächelnd wurde es eingestrichen. Krachend fiel unten die Haustür ins Schloß.
»Das ist er«, sagte Oliva, »warten Sie im oberen Stock, bis er herein ist. Um zwei Uhr also in der Oper. Ich werde einen weißen Domino tragen und ein blaues Seidenband auf der linken Schulter.«
Amüsiert verfolgte der fremde Herr nach kurzem von der Straße aus den torkelnden, wild gestikulierenden Schatten, den zweifellos Herr Beausire auf die gelben Vorhänge im zweiten Stockwerk warf. Dann schien eine Prügelei zwischen den Liebesleuten stattzuhaben. Darauf eilte der Soldat Beausire mit abgerissenen Rockschößen aus dem Haus, wahrscheinlich, um die Dominos zu besorgen und nebenbei gleich ein paar der neuen Taler in einer Spelunke aufs Spiel zu setzen.
Das kleine Haus
Madame de La Motte - wir verließen sie, als sie im Hochgefühl des Erfolgs dem entschwindenden Wagen der Königin nachblickte - war entschlossen, den verheißungsvoll begonnenen Abend weiter auszukosten. Sie fuhr nach Hause, um sich zu verkleiden und zum Opernball zu gehen.
Daheim jedoch erwartete sie ein Billett Seiner Eminenz.
»Frau Gräfin, Sie haben sicherlich nicht vergessen, daß wir einige Dinge miteinander zu regeln haben. Sollten Sie auch ein kurzes Gedächtnis haben, ich vergesse nie, was mir gefallen hat.
Ich habe die Ehre, Sie zu erwarten, wohin der Briefbote Sie führen wird.«
Verärgert zunächst, daß ihr Vorsatz durchkreuzt werden sollte, faßte Jeanne nach kurzer Überlegung ihren Entschluß.
»Nennen Sie meinem Kutscher die Adresse!« befahl sie dem Überbringer des Billetts.
Zehn Minuten darauf fuhr sie im Faubourg Saint-Antoine vor einem jener reizenden Häuser vor, das hohe Bäume, alt wie der Vorort selbst, vor aller Augen verbargen und das, unter Ludwig XV. erbaut, im Äußeren den Geschmack des 16. Jahrhunderts bezeugte und dennoch mit dem unvergleichlichen Komfort des 18. Jahrhunderts ausgestattet war.
Der hohe Herr bestellt mich in eines seiner Lusthäuser, schau an, sagte sich Jeanne, die kleine Valois wird es ihm heimzahlen.
Und kaum hatte sie die Schwelle des Palais überschritten, stand ihr Plan fest.
Sie wurde von Raum zu Raum, das heißt von Überraschung zu Überraschung geführt, bis sie in ein Speisezimmer von erlesenstem Geschmack gelangte.
Dort erwartete sie der Kardinal.
»Ah, da sind Sie; ich danke Ihnen, Frau Gräfin.« Und der Fürst erhob sich und küßte ihr die Hand.
Jeanne wich mit gekränkter Miene zurück.
»Was denn?« rief der Kardinal. »Was haben Sie, Madame?«
»Eure Eminenz sind offenbar eine solche Miene nicht gewohnt bei Frauen, denen Sie die Ehre erweisen, sie hierher zu bestellen?«
»Madame, ich bitte Sie.«
»Wir befinden uns in einem Ihrer kleinen Lusthäuser, nicht wahr, Eminenz?« sagte Jeanne, indem sie einen verächtlichen Blick um sich warf. »Ich hatte gehofft, Monseigneur, daß Eure Eminenz geruhen würden, sich zu erinnern, in welchem Rang ich geboren wurde.«
»Aber Gräfin, Gräfin, ich hatte Sie für eine Frau von Geist gehalten«, sagte der Kardinal.
»Anscheinend nennen Sie, Monseigneur, Frauen von Geist gewisse Geschöpfe, denen ich einen anderen Namen geben würde.«
»Eine Frau von Geist nenne ich jede Frau, die zuhört, wenn man mit ihr spricht, und die nicht spricht, ehe sie gehört hat.«
»Gut denn, ich höre.«
Und mit den galantesten Komplimenten eröffnete ihr der Kardinal, daß dieses kleine Haus, das er durchaus nicht als ein Lusthaus betrachte, von nun an ihr, Jeanne de La Motte, gehören solle und daß er hoffe, sie werde ihn hier »bisweilen nicht allzu ungern« empfangen.
Jeanne zierte sich eine Zeitlang, ein solches Geschenk anzunehmen, doch konnte sie ihr heißes Glück, dieses bezaubernde Haus ihr eigen zu nennen, nicht verhehlen. Sie sagte kein Wort mehr von »Lusthaus« und versicherte dem Kardinal, sie werde nie vergessen, daß er hier zu Hause sei. Und obwohl fast von Sinnen vor Freude, tat sie dem Souper alle Ehre an und entzückte Herrn de Rohan durch ihr Lachen und ihr Geplauder.