Der Kardinal, als Diplomat an den Umgang mit den herrschenden Frauen seiner Epoche gewöhnt, lächelte im stillen voll Überlegenheit über das Gebaren der kleinen Gräfin, die er noch vor wenigem in ihrer Armut gesehen, vor ihm wie eine Provinzlerin Ehrbarkeit zu spielen und auf ihren Rang zu pochen, dessen Echtheit er nach wie vor bezweifelte. Die Besitzgier in ihren Augen war ihm nicht entgangen, und er glaubte, diese Frau durch sein großzügiges Präsent ganz in der Hand zu haben. So durchschaute er die Manöver der kleinen Dame nicht und hegte keinerlei Argwohn. Das war sein Verderben.
Tatsächlich übertraf dieses Haus jegliche Erwartungen Jeannes, nur konnte der Kardinal nicht erraten, daß ihr Ehrgeiz über seine Person hinaus zielte. Ihrer scheinbaren Unterlegenheit wohl bewußt, fuhr sie also fort, das begrenzte kokette Weibchen zu spielen, um den hohen Herrn desto leichter in Sicherheit zu wiegen.
»Übrigens«, begann mit einemmal der Kardinal, als ginge ihm zufällig ein ganz entlegener Gedanke durch den Sinn, »was berichteten Sie mir doch neulich über diese Damen von der Versail-ler Wohlfahrt?«
»Die Damen mit dem Porträt?« entgegnete Jeanne. »Nun, Eminenz, ich wette, Sie kennen sie ebenso gut und sogar besser als ich.«
»Ich? Oh, Gräfin, Sie tun mir unrecht.«
»Leugnen Sie noch einmal, und ich nenne Sie Lügner.«
»Dann räche ich mich für die Beschimpfung.«
»Und wie denn, bitte?« »Indem ich Sie küsse.«
»Herr Botschafter am Wiener Hof, Vertrauter Maria Theresias, mir scheint, sofern das Porträt nicht ganz unähnlich war, müßten Sie Ihre kaiserliche Freundin erkannt haben.«
»Wie! Sie meinen wirklich, das war das Bildnis Maria Theresias?«
»Ach, spielen Sie nicht den Unwissenden, Herr Diplomat!«
»Nun denn, und wenn ich die Kaiserin erkannt hätte, was wäre daraus zu folgern?«
»Daß Sie sehr wohl erraten haben, wem das Porträt gehört. Schließlich ist es nicht üblich, das Bild der Mutter - denn Sie werden bemerkt haben, daß es weit eher das einer Mutter als das einer Kaiserin ist - in anderen Händen zu sehen als ...«
»Vollenden Sie.«
»Als in denen der Tochter .«
»Die Königin!« rief Louis de Rohan mit so echter Verwunderung, daß Jeanne nicht wußte, woran sie war.
»Wie, Monsieur, Sie hätten wirklich nicht erraten, daß sie es war?«
»Mein Gott, nein«, sagte der Kardinal schlicht, »schließlich trage ich, der ich weder Sohn noch Tochter, noch überhaupt ein Verwandter Maria Theresias bin, auch ein Porträt von ihr in der Tasche. Da, sehen Sie«, sagte er, indem er eine Tabakdose hervorzog und sie vor Jeannes staunenden Augen öffnete. »Nun ja«, fuhr er nachdenklich fort, »wenn Sie wirklich sicher sind, daß Ihre Majestät Ihnen einen Besuch abgestattet hat, könnten Sie auf die Protektion der Königin rechnen.«
»Das glaube ich, Eminenz.«
»Hat sie Ihnen ein besonderes Interesse bezeigt?«
»Ein ziemlich lebhaftes, ja.«
»Dann läuft alles gut«, sagte der Prälat, mehr im Gedanken an die Gönnerin als an die Begünstigte. »Es bliebe also nur noch eins.«
»Was denn?«
»Zutritt in Versailles zu finden.«
Die Gräfin lächelte.
»Machen wir uns nichts vor, Gräfin, das ist die entscheidende Schwierigkeit.«
Die Gräfin lächelte wiederum, aber bedeutungsvoller diesmal. Der Kardinal lächelte auch, und ein wenig herablassend suchte er sie darüber zu belehren, wie viele Hindernisse einem solchen Vorhaben entgegenstünden, daß man dort nicht einfach die Parktore öffnen und die Treppen hinaufgehen könne, so leicht das für einen Außenstehenden aussähe. Aber unbeirrt versicherte ihm Jeanne, daß sie bereits einen Schlüssel zu den Gemächern der Königin besitze.
»Gräfin«, erklärte der Kardinal, »Sie sind mir ein lebendiges Rätsel!«
Jeanne ließ sich jedoch keine weiteren Auskünfte entlocken, und Herr de Rohan kehrte zu Scherz und Galanterie zurück. Sein Werben wurde dringlicher. Jeanne begegnete ihm kühl.
»Monseigneur, ich bitte Sie inständig, sich zu erinnern, daß ich weder eine Grisette noch ein Operndämchen bin; das heißt, wenn ich nicht meinem Gatten gehöre, gehöre ich ganz allein mir; ich fühle mich jedem Mann in diesem Königreich ebenbürtig und werde, wenn es mir gefällt, frei, aus eigenem Entschluß, den Mann erwählen, der mir gefällt. Ich fühle mich jung und anziehend genug, um nicht fürchten zu müssen, daß ein Ehrenmann mich abweisen würde.«
»Gräfin, Sie sind eine Frau ...«
»Was für eine?«
»Die ich anbeten würde, wenn Sie es erlaubten.«
»Vielleicht werde ich es erlauben, Monseigneur, wenn das Glück mir lange genug gelächelt hat, daß ich nicht mehr von Ihren Wohltaten abhängig bin; wenn Sie nicht mehr vermuten, daß ich Ihre Besuche irgendeines Interesses halber erwarte. Glauben Sie mir, Herr Kardinal, ich würde dadurch in ihren Augen um einiges gewinnen, und Sie würden nichts verlieren.«
»Also schließen Sie mich in Unmöglichkeiten ein?«
»Durchaus nicht: Ich will Ihnen gern gewähren, was mit meinen Vorlieben, meinen Pflichten und meinen Launen vereinbar ist.«
»Ich bin verloren. Sie nennen die drei unbestimmtesten Bereiche, die es auf der Welt gibt.«
»Sie weichen zurück?«
»Nein.«
»Beweisen Sie es?«
»Sprechen Sie.«
»Ich möchte heute nacht zum Opernball.«
»Das ist Ihnen unbenommen, Gräfin, Sie sind frei wie der Wind.«
»Einen Augenblick, Herr Kardinaclass="underline" ich wünsche, daß Sie mich dorthin begleiten.«
»Aber Gräfin, nein! Ein Kardinal auf dem Opernball; das wäre ja, als wollte ich Sie auffordern, eine Kneipe zu betreten.«
Doch Jeanne ließ in ihrem Drängen nicht nach; schließlich brauchten Eminenz doch nur in einen Domino zu schlüpfen und eine Maske umzutun. Der Kardinal ergab sich, die Idee entzückte ihn sogar, und bald trug die zwei eine Kutsche ohne Wappen in scharfem Trab nach den Boulevards.
Der Opernball
Der Ball hatte seinen Höhepunkt erreicht, als der Kardinal Louis de Rohan und Madame de La Motte unter die Tausende Dominos und Masken aller Art sich mischten.
Seite an Seite, soweit es möglich ist, in einem solchen Gewoge sich Seite an Seite zu halten, bahnten sich ein schwarzer und ein weißer Domino, groß und männlich der erste, von mittlerem Wuchs und weiblich der zweite, einen Weg nach dem ruhigeren Platz unter der Loge der Königin. Der schwarze fuchtelte wild mit den Armen und redete auf den weißen ein.
»Gib's zu, Oliva, du wartest hier aufjemand. Dein Kopf ist eine Wetterfahne, die sich in jede Richtung dreht.«
»Na und?«
»Was heißt, na und?«
»Kann ich meinen Kopf nicht drehen, wohin ich will? Dazu geht man doch hierher, oder? Also gib Ruhe.«
»Oliva!«
»Schrei hier nicht und nenn mich nicht beim Namen.«
In dem Augenblick näherte sich den beiden ein blauer Domino, ziemlich groß, ziemlich dick, und raunte dem schwarzen Worte zu, die ihn veranlaßten, nicht ohne Zögern und dennoch mit sichtlicher Hast davonzueilen.
Der blaue Domino nahm Mademoiselle Olivas Arm, nachdem der schwarze verschwunden war, und führte sie durch das Gedränge.
»Was müssen Sie dem armen Beausire erzählt haben, daß er so aufgeregt weggelaufen ist? Ich hoffe, Sie haben zu meiner Unterhaltung eine hübschere Geschichte bereit.«
»Ich kenne keine hübschere Geschichte als Ihre eigene, liebes Fräulein Nicole«, erwiderte der Blaue, indem er vertraulich den runden Arm der jungen Frau drückte, die bei dem Namen, den die Maske genannt, leise aufschrie.