»Erlauben Sie, daß ich das Kompliment erwidere und den Wunsch hinzufüge, daß die Geschäfte, die Sie nach Paris führten, den erfreulichsten Ausgang nehmen mögen.«
Und beide verneigten sich mit einem Lächeln und einer Höflichkeit voreinander, die leicht erraten ließen, daß nur ihre Lippen gesprochen hatten.
Sie kehrten einander den Rücken, und Philippe schritt den Boulevards zu, während Charny in Richtung des Seineufers davonging. Beide durchmaßen sie etliche Gassen und Straßen, um ihr Ziel zu erreichen. Wie erstaunt waren sie, einer dem andern am Eingang der Rue Neuve-Saint-Gilles aufs neue gegenüberzustehen.
»Herr de Charny«, sagte Philippe, nunmehr mit unverhohlener Schärfe, »ich habe Ihnen den Verkäufer überlassen, lassen Sie mir den Käufer.«
»Herr de Taverney«, sagte Charny, »wenn ich nicht irre, traten Sie zurück, weil ich als erster gekommen war, und aus keinem anderen Grund.«
»Gewiß, aber hier«, sagte Taverney, »treffen wir gleichzeitig ein, und ich werde Ihnen kein Zugeständnis machen.«
»Wer sagt Ihnen, daß ich darum bitten werde? Ich gedenke mein Recht zu verteidigen, das ist alles.«
»Und Sie nennen Ihr Recht ...«
»Herrn de Cagliostro die tausend Exemplare verbrennen zu lassen, die er dem Schurken abgekauft hat.«
»Wollen Sie sich freundlichst erinnern«, sagte Philippe, »daß ich es war, der in der Rue Montorgueil die Idee hatte, die Blätter zu verbrennen.«
»Gern«, erwiderte Charny, »so werde ich es sein, der sie in der Rue Neuve-Saint-Gilles zerreißen läßt.«
»Mein Herr, ich bin untröstlich, Ihnen allen Ernstes sagen zu müssen, daß ich als erster mit dem Grafen Cagliostro zu tun zu haben wünsche.«
»Alles, was ich für Sie tun kann, mein Herr, ist das Schicksal entscheiden zu lassen und eine Münze zu werfen.«
»Vielen Dank«, entgegnete Philippe, »aber da ich im allgemeinen wenig Glück habe, würde ich vermutlich verlieren.« Damit machte er Anstalt vorwärtszugehen.
Charny trat ihm in den Weg.
»Mein Herr«, sagte er in einem drohenden Ton, der Philippe zu gefallen begann, »ein Wort, und ich glaube, wir werden uns verstehen.«
Charnys Wagen wartete Place Royale, also wenige Schritte weit. Die Herren einigten sich, einen kleinen Umweg über den Bois de Boulogne zu nehmen, ehe man den Grafen Cagliostro zur Rechenschaft zöge. Ein geeigneter Ort war bald in Sicht, der Kutscher wurde angewiesen zu warten, und beide Herren gingen unter den noch kaum belaubten Bäumen einem freien länglichen Wiesenstück zu, das unterm Fuß trocken, von dem Wagen her nicht mehr einsehbar und also zu dem Zweck, dessentwegen man gekommen, sehr geeignet war.
Philippe warf Hut und Rock zu Boden und zog die Waffe.
»Mein Herr«, sagte Charny, dessen Degen noch in der Scheide stak, »zu jedem anderen würde ich sagen: Chevalier, ein Wort, wenn nicht der Entschuldigung, so doch der Begütigung, und wir sind wieder Freunde . aber Ihnen, einem Helden, der aus Amerika kommt, wo man sich so trefflich schlägt, kann ich nur.«
»Und ich«, versetzte Philippe, »würde zu jedem anderen sagen: Mein Herr, es könnte aussehen, als wäre ich vor Ihnen im Unrecht, aber Ihnen, dem tapferen Seemann, der kürzlich die Bewunderung des ganzen Hofes durch ein so ruhmvolles Wagestück errang, Ihnen, Herr de Charny, kann ich nichts anderes sagen als: Herr Graf, erweisen Sie mir die Ehre, mir Bescheid zu tun.«
Der Graf verneigte sich und zog seinerseits den Degen.
»Ich glaube«, sagte er, »keiner von uns hat bisher die wahre Ursache dieses Streits berührt.«
»Ich verstehe Sie nicht, Graf«, antwortete Philippe, »en garde, bitte!«
»Sie verstehen sehr gut, sonst wären Sie nicht errötet.«
»En garde!« wiederholte Philippe, und die Degen kreuzten sich.
Schon bei den ersten Ausfällen merkte Philippe, daß er seinem Gegner bedeutend überlegen war. Diese Gewißheit kühlte ihn rasch ab. Er focht wie auf dem Fechtboden, parierte lediglich und führte keinen einzigen Coup.
»Sie schonen mich, Taverney«, rief Charny mit wachsender Erregung, deren er sich schämte, und er versuchte, seinen Gegner aus der Ruhe zu bringen.
»Ich sagte bereits, wir haben die wahre Ursache dieses Duells nicht genannt.«
Taverney schwieg.
»Ich will sie Ihnen nennen«, fuhr Charny fort, »Sie suchten Streit aus Eifersucht.«
Philippe schwieg.
»Spielen Sie mit mir?« fragte Charny wütend. »Wollen Sie mich ermüden? Töten Sie mich, wenn Sie können, aber tun Sie es, solange ich kampffähig bin.«
Philippe schüttelte den Kopf.
»Ihr Vorwurf, mein Herr, ist berechtigt«, sagte er, »ich habe Streit gesucht, und ich bedaure es.«
Aber Charny war zu leidenschaftlich erregt, um Philippes Aufrichtigkeit zu begreifen.
»Ich verstehe«, rief er, »Sie wollen den Großmütigen spielen, um einigen schönen Damen heute abend zu berichten, Sie hätten mir das Leben geschenkt.« »Graf«, sagte Philippe, »ich beginne, für Ihren Verstand zu fürchten.«
»Wollten Sie Cagliostro nicht töten, um der Königin gefällig zu sein? Und wollen Sie, um der Königin noch sicherer zu gefallen, nicht mich töten, indem Sie mich der Lächerlichkeit preisgeben?«
»Das ist zuviel!« rief Philippe stirnrunzelnd. »Ihre Worte beweisen, daß Sie nicht so edelmütig sind, wie ich glaubte.«
»Dann stoßen Sie doch zu«, rief Charny und gab seine Brust frei, als Philippe, zornig geworden, eben ausfiel. Sein Degen glitt an Charnys Rippen hin und öffnete eine blutige Furche.
»Endlich bin ich verwundet«, triumphierte Charny, »wenn ich Sie jetzt töte, fällt die schöne Rolle mir zu.«
»Sie sind tatsächlich verrückt, mein Herr«, sagte Taverney, »Sie werden mich nicht töten, und niemand wird je erfahren, warum wir uns geschlagen haben.«
Er sah Charny wanken und erbleichen und führte, vielmehr trug den halb Bewußtlosen zu seinem Wagen.
Als Philippe die Kutsche in Richtung Versailles langsam davon-rollen sah, sagte er sich voll tiefer Trauer: Sie wird ihn beklagen.
Das Haus in der Rue Neuve-Saint-Gilles
Eine Mietdroschke brachte Philippe de Taverney bald vor das Haus des Grafen Cagliostro, ein Gebäude von schöner Einfachheit und klarer Linienführung, wie sie die Bauten aus der Zeit Ludwigs XVI. auszeichnete.
Eine Equipage samt Kutscher und Gespann wartete im Hof, offensichtlich zur Ausfahrt bereit.
Philippe eilte die Freitreppe hinan und ließ sich melden.
»Herr Philippe de Taverney?« hörte er im Salon eine männliche Stimme von auffallender Sanftheit sagen. »Lassen Sie eintreten.«
Die Ruhe dieser Stimme beeindruckte Philippe sonderbar.
»Entschuldigen Sie, mein Herr«, sagte er, indem er einen hochgewachsenen, beleibten Herrn von ungewöhnlicher Lebenskraft begrüßte. Dieser Mann war niemand anders als der aufwieglerische Fremde in Mesmers Salon, der Besucher Fräulein Olivas und ihr Begleiter im blauen Domino auf dem Opernball.
»Weshalb entschuldigen Sie sich? Gewiß, Sie wollten schon vor einer Stunde hier sein, aber ein unerwartetes Ereignis hat Sie aufgehalten, nicht wahr? Sehen Sie, ich habe Ihnen bereits einen Lehnstuhl bereitstellen lassen. Nehmen Sie doch Platz, Chevalier.«
Philippe begriff nicht, wie ihm zumute wurde.
»Genug der Scherze, Graf«, sagte er mit mühsam erzwungener Ruhe, »da Sie ein Wahrsager zu sein scheinen, werden Sie wohl auch wissen, warum ich komme, und Ihre Maßregeln getroffen haben.«
»Allerdings«, lächelte der Graf, »Sie suchen mit mir Streit wegen der Königin. Sprechen Sie.«
»Nun, es ist da ein Pamphlet erschienen .«
»Es gibt viele Pamphlete.«
»Verfaßt von einem gewissen Zeitungsschreiber ...«
»Es gibt viele Zeitungsschreiber.«
»Moment, mit dem Schreiber befassen wir uns später.«