Cagliostro ließ sein durchdringendes Auge auf Philippe ruhen. »Da«, sagte er, »zählen Sie nach, die tausend Exemplare sind noch alle beisammen. Vernichten Sie sie.«
Philippe, nachdem er die Verbrennung der Blätter vollendet und dem Grafen aus übervollem Herzen Dank gesagt, entfernte sich.
Cagliostro aber murmelte, während er ihm nachblickte: »So wird dem Bruder vergolten, was die Schwester erlitten hat.«
Das Oberhaupt der Familie Taverney
Während Philippe in der Rue Neuve-Saint-Gilles weilte, ließ Herr de Taverney, sein Vater, von zwei Lakaien in seinem Lehnstuhl sich durch den Garten seines Hauses in Versailles fahren.
Es gab damals in Versailles und gibt vielleicht noch heute jene alten Häuser mit französischen Gärten, die in sklavischer Nachahmung die Formen des Schlosses und der Parkanlagen wiederholten. Etliche Hofleute hatten sich genaue Kopien der Orangerie, der Teiche, der Gebäude von Trianon errichten lassen, natürlich alles auf Mindestmaße reduziert. Die großen Bassins wurden durch spärliche Wasserzuber ersetzt.
Herr de Taverney war diesem Beispiel gefolgt. Seit Ludwig XVI. eine Schlosserwerkstatt und eine Drechselbank hatte, gab es im Hause Taverney eine Schmiede. Seit Marie-Antoinette englische Gärten mit künstlichen Flüssen hatte anlegen lassen, war Herr de Taverney erst glücklich, als in seinem Garten ein Trianon in Puppengröße stand und ein Bächlein für Enten floß.
Vergnügt genoß er jetzt den warmen Sonnenschein, als ihm sein Sohn gemeldet wurde.
»Ah, Philippe«, sagte der Alte, »du kommst mir gerade recht! Mein Kopf sprüht von Einfällen. - Was machst du für ein Gesicht? Du weißt wohl schon, was dabei herausgekommen ist?«
»Wobei, Vater?«
»Nun, bei deinem Abenteuer auf dem Ball.« Philippe errötete.
»Unvorsichtiger du! Setz dich, ich will dir ein bißchen Moral predigen.«
»Vater, ich ...«
»Höre, mein Sohn, du treibst Mißbrauch mit deinem Glück! Früher warst du zu schüchtern, jetzt kompromittierst du sie.«
»Von wem sprechen Sie, Vater?« rief Philippe und stand wieder auf.
»Herrgott, von ihr natürlich! Glaubst du, ich hätte deinen Streich nicht erfahren? Sehr hübsch, sehr hübsch, mein Junge, nur hättest du sorgen müssen, daß man dich nicht erkennt. Diesmal hat man dich mit ihr auf dem Opernball ertappt, das nächste Mal ist es sonstwo.« Und verschmitzt drohte der Alte dem Sohn mit dem Finger.
Für Philippe wäre es nun an der Zeit gewesen, seinem Vater begreiflich zu machen, daß er zwar auf dem Opernball gewesen war, aber keineswegs in der Rolle, die der Vater ihm zutraute; doch wußte er, wie schwieriges halten würde, dem Alten eine Idee auszutreiben, die sich einmal in seinem Schädel festgesetzt hatte. Zudem wollte er wissen. Sich in Geduld fassend, blickte er also zu Boden wie ein Schuldiger.
»Ja, ja, da nützt kein Leugnen«, fuhr der Alte eigensinnig fort, »der Marschall Richelieu - du weißt, wie gut er dich leiden mag -, er hat genau gesehen, wer der blaue Domino war, dem die Königin den Arm gereicht hat. Beneidenswert, daß er mit seinen achtundachtzig Jahren noch auf einen Ball gehen kann!«
»Daß er mich erkannt hat«, sagte Philippe ironisch, »scheint mir ja noch verständlich. Aber wie er die Königin erkannt haben will, ist mir ein Rätsel.«
»Kunststück, Junge! Kunststück, wenn sie selber die Maske lüftet! Allerdings, du mußt zugeben, das ist ein starkes Stück! Eine unfaßliche Verrücktheit. Die Frau muß völlig in dich vernarrt sein! Oder war's nur ein höchst peinliches Mißgeschick? Na, wie dem sei, derlei mußt du in Zukunft zu verhindern wis-sen. Sei vor den Neidern auf der Hut, mein Sohn. Günstling der Königin, das ist ein gar zu begehrter Posten, wenn die Königin der wahre König ist!«
Und der alte Taverney schnupfte gedankenvoll eine ausgiebige Prise Tabak.
»Du vergibst mir doch, daß ich dich warne? Siehst du, mein Lieber, ich weiß dir großen Dank für deinen Ehrgeiz, und ich möchte nicht, daß der blöde Zufall das Gebäude umbläst, das du so schlau und mannhaft errichtest.«
Philippe trocknete sich den Schweiß von der Stirn. Wie sehr verlangte ihn, dieses törichte Geschwätz kurzerhand zu unterbrechen; aber ein Gefühl schmerzlicher Neugier hielt ihn davon ab, die wilde Begier, das Schlimmste zu erfahren, jener erbarmungslose Stachel, der liebende Herzen treibt, sich noch tiefer in das Unglück zu stürzen, das sie zerstören wird.
»Ja, man beneidet uns, mein Sohn«, fuhr der Greis versonnen fort, »noch ist der Gipfel nicht erreicht, zu dem du uns führen willst. Aber dir wird der Name Taverney, der einen so bescheidenen Anfang genommen, einst seinen Ruhm verdanken. Jedenfalls mußt du fürs nächste einen anständigen Posten für dich verlangen. Daß du dich ja nicht mit einem Leutnantspatent irgendwo in der Provinz abspeisen läßt. Taverney-Maison-Rouge muß eine Pairschaft werden. Sorge, daß ich bei der künftigen Ordenspromotion auf der Liste stehe. Und du darfst dich unter einer Generalsstelle und einem Herzogstitel nicht zufriedengeben. Meine Tochter wird meinem Hause nie zu irgend etwas nütze sein. Aber du, Philippe, du sollst der große Taverney werden, der mich für die mittelmäßige Vergangenheit entschädigt. Ich hege für dich den höchsten Respekt. Deine Führung bei Hof ist ausgezeichnet. Du zeigst keine Eifersucht, läßt scheinbar jedem freie Bahn und behauptest im stillen das Feld. Das ist höchst geschickt, das nenne ich Beherrschung!«
»Ich verstehe kein Wort, Vater.«
»Keine falsche Bescheidenheit. Was du da tust, ist Punkt für Punkt die Taktik des Herrn Potjomkin, dessen Glück alle Welt in Erstaunen gesetzt hat. Er war so weise, Katharina von Blume zu Blume flattern zu lassen, er führte ihr selbst die neuen Liebhaber zu, aber dadurch blieb er der unbezwingliche Herr über alle.«
Der Greis schien in seine Ideen so verbohrt, daß Philippe den Vater für irre hielt und nur die Achseln zuckte.
»Ach, du glaubst, ich durchschaue dich nicht? Meinst du, ich sehe nicht, wie du ihr deinen Nachfolger an der Leine zuführst?«
»Meinen Nachfolger?« fragte Philippe erblassend.
»Charny ist ein netter Junge, ich mag ihn. Fahre nur so fort mit ihm, schmeichle ihm, hilf ihm, sich zu entfalten; er ist ein vollendeter Edelmann und wird dir eines Tages zu vergelten wissen, was du für ihn getan hast. Denn tätest du nicht so, könnte er dich eines Tages in Verbannung schicken, so wie du jetzt Vaudreuil und Coigny vom Hofe vertreiben könntest. Nein, nein, Philippe, ich zolle dir alle Achtung!«
»Hören Sie, Vater, alles, was sie da reden, ist der schändlichste Unsinn«, rief Philippe, indem er den Alten am Arm rüttelte, »und Ihr Herr de Charny ist so sehr mein Zögling, mein Liebling, mein gehätschelter Nachfolger, daß ich ihm mit dieser Klinge soeben die Rippen durchstoßen habe!«
»Philippe, Philippe, sag, daß das ein Scherz ist!« rief der Greis, aus seinen Träumen gerissen.
Aber der junge Taverney stürmte verzweifelt davon.
»Schnell, schnell, einen Berittenen!« rief der Greis einem Diener zu. »Man möge sich nach Herrn de Charnys Befinden erkundigen! Aber nicht vergessen zu sagen, daß ich nach ihm fragen lasse!«
Damit sank er enttäuscht in sich zusammen.
»Ach, du Kuckucksei Philippe!« murmelte er. »Der ungeratene Bruder seiner ungeratenen Schwester. Ich bin in dieser Familie doch der einzige strategische Kopf!«
Das übriggebliebene Pamphlet
Stets eifrig, wenn es um Gerüchte über den Lebenswandel seiner Schwägerin ging, legte der Graf de Provence dem König ein Exemplar jenes Pamphlets vor, das den Vernichtungsaktionen der jungen Herren unbegreiflicherweise entgangen war.