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Der König befahl Herrn de Crosne, den Polizeipräfekten, in sein Kabinett, und es zeigte sich, daß der Polizeibericht über den Besuch Ihrer Majestät bei Mesmer gewisse Angaben der Schmähschrift keineswegs dementierte.

Der König war niedergeschmettert. Der Graf de Provence heuchelte tiefe Besorgnis.

»Sire«, meldete Herr de Crosne, »bei aller Verehrung, die ich Ihrer Majestät entgegenbringe, muß ich bekennen, daß der Verfasser der Schrift nicht völlig frei erfunden hat. Eine Königin von Frankreich, die in bürgerlicher Tracht sich in jene zweideutige Gesellschaft begibt, die sich von Mesmers Scharlatanerien verlocken läßt, allein dort auftritt .«

»Allein? Sie irren, Herr de Crosne.«

»Der Bericht, der mir vorliegt, ist so genau, daß ich Eurer Majestät alle Einzelheiten schildern könnte, die Toilette, die Gebärden, als sie den Bottich probierte, die, mit Verlaub, Sire, die Indezenz der Aufführung, die Schreie .«

Der König erblaßte. Er zerknitterte das Pamphlet. Ratlos blickte er bald seinen Bruder, bald den Polizeiminister an, der schüchtern verstummt war.

»Ich begreife das alles nicht«, stöhnte Louis, »man muß die Prinzessin de Lamballe befragen. In ihrer Begleitung hatte sich die Königin an jenen Ort ihrer Neugier begeben wollen.«

Nicht lange darauf betrat Madame de Lamballe den Raum. Zart rauschende Seide umspielte ihre anmutige, makellose Erscheinung. Das Wort dieser Frau hätte niemand am Hof in Zweifel gezogen.

Die Prinzessin erklärte den Herren, wie der Besuch Ihrer Majestät bei Mesmer verlaufen war, wie die Königin gekleidet gewesen, wie eine Dame Ihrer Majestät eine Maske angeboten und sie angefleht hatte, nicht weiterzugehen. Befragt, wer diese Dame war, nannte die Prinzessin Madame de La Motte-Valois.

Der Graf de Provence schlug vor, jene Frau zu verhören, die das Geheimnis dieses ganzen Vorfalls wohl entdecken könnte, aber sosehr die Aussagen der Prinzessin den König zunächst erfreut und erleichtert hatten, sosehr erzürnte es ihn, von »dieser Intrigantin« zu hören.

»Und könnte sie meine letzten Zweifel zerstreuen«, rief er, »ich will diese Kreatur nicht vor mir sehen.«

»Und doch werden Sie es tun«, rief die Königin, die, blaß vor Erregung, auf der Schwelle erschien. »Diese Frau ist meine Zeugin, die meine Ankläger verstummen machen kann!« Und sie richtete den Blick auf ihren Schwager.

»Madame«, antwortete der König, »ich kann nicht nach Frau de La Motte schicken, damit sie hier für oder gegen Sie aussagt. Ich lege nicht Ihre Ehre gegen die Wahrhaftigkeit dieser Frau in die Waagschale.«

»Man braucht nicht nach ihr zu schicken«, entgegnete Marie-Antoinette, »denn sie ist hier. An jenem Tag, an dem ich die unglückliche Frau besuchte und an dem, wie Sie wissen, Sire, üble Gerüchte ihren Anfang nahmen, vergaß ich dort eine kleine Dose, die Frau de La Motte-Valois mir heute zurückbringt.« »Gut, gut, Madame, aber ich will sie nicht sehen«, beharrte Louis.

»Aber ich verlange Genugtuung. Was spricht dagegen, die Frau vorzulassen? Herr de Crosne, da Sie ja alles zu wissen scheinen, was ist Ihnen über diese Frau bekannt?«

»Ich kann nichts Ungünstiges über die Dame vermelden, Majestät«, antwortete der Polizeipräfekt. »Sie ist nur arm und vielleicht ein wenig zu ehrgeizig.«

»Wie immer dem sei«, sagte Louis, »ich habe eine instinktive Abneigung gegen diese Frau, ich habe das Gefühl, daß sie mir Unglück bringt .«

»Das ist ja Aberglaube, Sire!« entgegnete die Königin. »Geh, hole sie«, bat sie die Prinzessin de Lamballe.

Zwei Minuten später erschien Jeanne bescheiden, fast schüchtern, aber vornehm in Haltung und Kleidung.

Der König hatte der Tür der Rücken gekehrt, aber die Königin führte die Gräfin vor ihn hin.

»Madame«, sagte sie, »ich bitte Sie zu erzählen, was Sie am Tag meines Besuchs bei Herrn Mesmer gesehen haben; berichten Sie alles Punkt für Punkt.«

Damit begab sich Marie-Antoinette an einen Platz, von dem aus ihr Blick die Zeugin nicht beeinflussen konnte.

Jeanne schwieg zunächst und begann ihren Bericht erst nach abermaliger Aufforderung.

Welch eine Rolle für sie! Scharfsinnig hatte sie sogleich erraten, daß die Königin jetzt ihrer bedurfte, daß es galt, falschen Verdacht gegen Marie-Antoinette zu zerstreuen, und daß sie, Jeanne, in der Lage war, sie zu rechtfertigen, ohne zu lügen. Nur eine Kleinigkeit würde sie verschweigen, eine entscheidende Kleinigkeit!

Als es darum ging zu begründen, weshalb sie die Königin gedrängt hatte, die Maske anzulegen und das Haus Mesmers umgehend zu verlassen, sagte sie schlicht: »Ich hatte das unüberwindliche Empfinden, Ihre Majestät sei in jenem Hause, wo lächerli-che Leiden und Heilungen ein plumpes Schauspiel bieten, nicht am Platz. Ich bitte Eure Majestät demütig um Vergebung, daß ich gewagt hatte, so frei zu denken, aber ich folgte einem weiblichen Instinkt.« Damit stockte sie und senkte den Kopf; Tränen schienen sie in der Kehle zu würgen.

Sogar der Polizeipräfekt war ergriffen. Die Königin dankte Madame de La Motte mit einem Blick.

Der König rührte sich nicht.

»Haben Sie gehört, Sire?« fragte Marie-Antoinette.

»Ich bedurfte des Zeugnisses von Madame nicht«, sagte er endlich und hob die Sitzung auf.

»Bruder«, sagte er, als er den Grafen de Provence verabschiedete, »ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit, mit der Sie sich um die Rechtfertigung Ihrer Schwägerin bemüht haben.«

Bei der Königin

Marie-Antoinette, in ihre Gemächer zurückgekehrt, hatte Madame de La Motte, die sich zurückziehen wollte, mit einem liebenswürdigen Lächeln aufgefordert zu bleiben. Sie wußte zu schätzen, mit welch bemerkenswertem Takt die Gräfin in dieser peinlichen Situation sich vor dem König betragen hatte, und gedachte, sich ihr dankbar zu erweisen, indem sie die Audienz verlängerte. Vor allem aber wollte sie die rätselvolle Übereinstimmung des Polizeiberichts mit dem Pamphlet ergründen; die unfaßliche Gefahr, die sie umlauerte, beunruhigte sie, und sie brachte das Gespräch abermals auf den Vorfall bei Mesmer. Doch Jeanne gab das Geheimnis der Doppelgängerin auch jetzt nicht preis, gestand nur zu, daß in der Tat eine jüngere Frau dort durch ungebührliches Betragen die allgemeine Aufmerksamkeit erregt hätte, was eben ihr der Anlaß gewesen sei, Ihre Majestät am Vorschreiten in die Säle zu hindern. Die Königin begriff einmal mehr, daß sie Feinde hatte.

Unterdes war Andree de Taverney eingetreten, Jeanne erkannte in ihr die zweite Dame der Wohlfahrtsstiftung, doch war ihr unter dem klaren, wachen Blick Andrees nicht wohl, und sie hoffte, bald einen günstigen Abgang zu finden. Aber die Königin erkundigte sich nun freundlich, wer Jeanne protegiere, und die Gräfin nannte den Kardinal Rohan. Sie lobte seine Großmut und betonte, daß der Prinz Ihrer Majestät höchste Verehrung, ja Anbetung entgegenbringe. Doch war bei allem Geschick, das Jeanne auf-wandte, der Königin nicht mehr zu entlocken als ein schallendes Lachen. Zugleich versicherte sie Jeanne, von dieser Anbetung sehr wohl zu wissen, und sie möge dem Kardinal ausrichten, daß sie ihm diese nicht verübele.

Der ironische Ton der Königin erregte Jeannes Neugier über die Maßen, doch ehe sie zu einer Erkenntnis darüber gelangen konnte, stellte sich der Graf d'Artois bei seiner Schwägerin ein.

»Von der Wolfsjagd zurück?« fragte ihn die Königin und reichte ihm nach der englischen Mode, die auf dem Kontinent bereits Fuß faßte, die Hand. Mit einem Wink bedeutete sie den beiden Damen, die sich entfernen wollten, zu bleiben.

»Und sehr zufrieden sogar«, antwortete d'Artois lachend, »denn ich habe sieben Wölfe geschossen.«

»Selbst geschossen?«

»Das will ich nicht behaupten, aber man hat es mir so gesagt, und damit habe ich siebenhundert Francs verdient.«