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So wird man begreifen, daß Andree das Gemach der Königin nicht nach Philippe verließ, obwohl sie unter der Kränkung litt, die ihrem Bruder angetan worden, obwohl sie ihren Bruder mit einer Leidenschaft liebte, die fast eine Religion war. Doch gedachte sie, wegen der ungnädigen Verabschiedung ihres Bruders, sich an der Unterhaltung nicht mehr zu beteiligen. Sie nahm in einem Kaminwinkel Platz und kehrte den Anwesenden fast den Rücken.

Die Königin, auf dem Sofa sitzend, blieb einige Zeit schweigsam. Charny, der zu leiden schien, stand ein wenig vorgeneigt, doch fiel seine Haltung der Königin nicht auf. Madame de La Motte hatte sich in eine Fensternische zurückgezogen, wo ihre falsche Schüchternheit Asyl und ihre wahre Neugier einen günstigen Beobachtungsort suchte.

Endlich brach Marie-Antoinette das Schweigen, das nach Beendigung der heiklen Ballaffäre eingetreten war.

»Wahrlich«, sagte sie, »es mangelt uns nicht an Feinden. Wer hätte geglaubt, daß am französischen Hof derartige Scheußlichkeiten möglich sind? War das auszudenken?«

Charny antwortete nicht.

»Welches Glück muß es sein«, fuhr die Königin fort, »an Bord zu leben, unter freiem Himmel, auf offener See. Uns Landbewohnern erzählt man von den Tücken und dem Zorn des Meeres, und doch, Monsieur, sind Sie gesund heimgekehrt. Haben die Engländer Sie nicht mit ihren Kugeln, ihrem Kanonenfeuer verfolgt? Und dennoch, Sie sind heil geblieben und stark. Die Wut der Feinde hat nur bewirkt, daß Sie, der Sieger, von Ihrem König beglückwünscht, von Ihrem Volk geehrt und geliebt werden. Ach, gesegnet seien die Feinde, die uns mit Feuer und Eisen bekämpfen, gesegnet die Feinde, die nur mit dem Tode drohen!«

»Mein Gott«, antwortete Charny, »für Eure Majestät gibt es keine Feinde, nicht mehr, als Schlangen für den Adler. Was am Boden kriecht, kann den nicht kümmern, der über den Wolken kreist.«

»Monsieur«, entgegnete die Königin immer fiebriger, »Sie haben Stürme und Schlachten heil überstanden, Sie sind gestärkt daraus hervorgegangen, triumphierend und geliebt. Wer aber, wie wir, Feinden ausgesetzt ist, die mit dem Geifer der Verleumdung unseren Ruf zu besudeln trachten, der ist zwar nicht in Lebensgefahr, gewiß, aber er altert mit jedem Sturm. Freunde und Feinde zu gemeinsamer Attacke gegen sich verschworen zu finden, wie es mir heute geschehen ist, wie furchtbar! Sie ahnen nicht, Monsieur, wie bitter es ist, gehaßt zu werden.«

Andree erwartete angstvoll die Antwort des jungen Mannes. Sie zitterte, daß er der Königin jetzt jene tröstlichen Worte sagen werde, die sie erheischte. Doch Charny trocknete nur stumm und erbleichend seine Schläfen und suchte an einem Lehnstuhl Halt.

»Ist es nicht zu heiß hier?« fragte die Königin, ihn anblickend.

Sofort öffnete Madame de La Motte ein Fenster.

»Herr de Charny ist an den Seewind gewöhnt«, fuhr Marie-Antoinette fort, »er erstickt in den Boudoirs von Versailles.«

»Das ist es nicht, Madame«, antwortete Charny, »aber ich habe um zwei Uhr Dienst, und wenn Eure Majestät mir nicht befehlen zu bleiben ...«

»O nein, Monsieur«, sagte die Königin, »wir wissen auch, was ein Befehl heißt, nicht wahr, Andree?« Und in leicht gereiztem Ton setzte sie hinzu: »Sie sind frei, Monsieur.«

Charny beeilte sich zu grüßen und ging.

Zwei Sekunden später hörte man aus dem Vorzimmer einen leisen Aufschrei und das Geräusch eiliger Schritte. Die Königin, noch von Charnys Aufbruch irritiert, öffnete die Tür, schrie auf und wollte hinausstürzen. Im selben Moment sah sie zwischen sich und der Tür Andree, deren Augen mit unverhohlener Spannung auf ihr ruhten.

Madame de La Motte hatte sich derweilen den Hals ausgereckt, um in den Vorraum zu schauen. Die Königin, ihre Bewegung gewahrend, schloß heftig die Tür, aber zu spät; Jeanne hatte gesehen, wie Charny ohnmächtig von Dienern hinausgetragen wurde.

Stumm und mit gerunzelter Stirn nahm die Königin wieder Platz und versank in düsteres Grübeln.

»Seltsam«, begann sie nach einer Weile, als spräche sie zu sich selber, »Herr de Charny scheint noch immer zu zweifeln. Gewiß glaubt er, der König habe mir nur aus Eigenliebe dieses Alibi verschafft.«

Andree biß sich auf die Lippen.

»Mein Bruder schien nicht so ungläubig«, sagte sie.

»Es wäre schade«, fuhr die Königin, fort, als hätte sie Andrees Worte nicht gehört. »Dann wäre das Herz des jungen Mannes nicht so rein, wie ich gedacht hatte. Aber warum sollte er glauben, da er mich doch auch gesehen hat? Hinter all dem steckt etwas, das ich aufklären muß.«

Sie läutete und befahl, augenblicklich den Polizeipräfekten zu holen.

Herr de Crosne

Herr de Crosne, der ein sehr höflicher Mann war, fand sich seit der Erklärung des Königs und der Königin in höchster Verlegenheit. Es ist keine geringe Schwierigkeit, alle Geheimnisse einer Frau genau zu kennen, vor allem wenn diese Frau die Königin ist, die Interessen der Krone zu vertreten und eine Reputation zu schützen.

Herr de Crosne war sich bewußt, daß er das ganze Gewicht des Zorns einer Frau und der Empörung einer Königin würde zu tragen haben, doch er hatte sich mutig hinter seiner Pflicht verschanzt, und seine höflichen Manieren mußten ihm als Panzer dienen, die Wucht der Schläge abzufangen, die ihn treffen würden.

Mit einem Lächeln auf den Lippen trat er ein.

Die Königin allerdings lächelte nicht; erbittert forderte sie Aufklärung der merkwürdigen Vorkommnisse, die ihren Ruf belasteten und hinter denen sie eine Doppelgängerin vermutete.

Herr de Crosne, der von einer solchen nichts wußte, hielt entgegen, daß eine Ähnlichkeit, so groß sie immer sein mochte, ein geübtes Auge dennoch nicht irreführen könnte.

Die Majestät verwies auf die Täuschung, der man nicht nur in den Räumen Mesmers, sondern der kürzlich sogar ihr Schwager und nahe Freunde erlegen waren.

Hier pflichtete Andree der Königin bei, indem sie berichtete, daß es im Haus ihres Vaters, als die Familie noch in Taverney-

Maison-Rouge wohnte, eine Bediente gab, die der Königin täuschend ähnlich sah.

»Und was ist aus dem Mädchen geworden?« fragte die Königin.

»Da wir die Großherzigkeit und die überlegene Denkungsart Eurer Majestät noch nicht kannten, fürchtete mein Vater, diese Ähnlichkeit könne der Königin mißfallen, und als wir nach Trianon kamen, verbargen wir das Mädchen vor den Augen des Hofes. Wahrscheinlich langweilte sie die Abgeschlossenheit, in der sie leben mußte; überdies war sie von unruhigem und ehrgeizigem Charakter; jedenfalls war sie eines Abends verschwunden, doch das ist lange her.«

Jeanne war diesen Ausführungen mit begreiflicher Aufmerksamkeit gefolgt.

»Sie sehen, Herr de Crosne«, sagte die Königin erregt, »es gab ein Mädchen, das auffallende Ähnlichkeit mit mir hatte, aber Sie wissen es nicht. Sie wissen nicht, was aus dieser Person geworden ist, obwohl im Königreich beunruhigende Dinge geschehen. Geben Sie zu, daß Ihre Polizei nichts taugt.«

»Und ich versichere Ihnen, Madame, daß sie gut ist. Die gemeine Menge mag die Funktionen eines Polizeichefs mit denen Gottes verwechseln, Eure Majestät aber, die hoch über diesem irdischen Olymp thront, muß wissen, daß die Beamten des Königs auch nur Menschen sind. Ich bin es nicht, der die Ereignisse lenkt, und es gibt so seltsame Dinge, daß der menschliche Verstand nicht ausreicht, sie zu begreifen.«

»Wenn ein Mann genug Gewalt besitzt, selbst die Gedanken seiner Mitmenschen zu erschlüsseln, wenn er Agenten und Spitzel bezahlt, die jede geringste Gebärde notieren, die ich vor dem Spiegel mache, dann sollte dieser Mann auch fähig sein, solche seltsamen Dinge aufzuklären.«