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Hätte Beausire nicht hunderttausend Francs in der Tasche getragen, er hätte sich gestellt, um Oliva den Ärger zu ersparen. Aber die Vorstellung, daß die Polizisten ihre schmutzigen Klauen nach seinem schönen, mit soviel List erworbenen Geld ausstrek-ken und ihr Leben lang sich über ihn kugelig lachen würden, erstickte in ihm sogar den Liebeskummer.

In der Tat, Oliva selbst hätte ihn einen Idioten gescholten, wäre er jetzt nicht so geschmeidig wie möglich entwischt. Seit einer guten Stunde war er nur mehr seinem Instinkt gefolgt, und da er Oliva wohl hundertmal schon im Garten des Luxembourg gesucht hatte, ließ er sich von seinen Beinen jetzt dorthin tragen.

Kaum war er in der Rue Saint-Germain-des-Pres, stieß eine glanzvolle Karosse, von zwei weißen Pferden gezogen, ihn beinahe zu Boden. Dank seiner pariserischen Leichtfüßigkeit entging er der drohenden Deichsel mit knapper Not und empfing nur einen Fluch und einen Peitschenhieb. Das aber konnte den hunderttausend Francs schweren Mann nicht so ins Herz tref-fen wie die Tatsache, daß er in ebendieser Karosse Oliva an der Seite eines feinen Mannes sah. Gern wäre er dem Wagen nachgerannt, aber der bog in die Rue Dauphine ein, und das war die einzige Straße in Paris, die Beausire zu dieser Stunde aufs genaueste meiden mußte.

Aber war es wirklich Oliva gewesen? Phantasierte er nicht vielleicht? Wie konnte Oliva in der Karosse sitzen, da sie doch offenbar soeben von der Polizei verhaftet worden war?

Seelisch und körperlich erschöpft, aber heil, gelangte Beausire über die Stadtgrenze, wo er sich ein Quartier suchte, sein Geld unter einer Bodenfliese versteckte, den Bettpfosten auf die Fliese rückte und alsbald in tiefen Schlaf fiel.

Fräulein Oliva beginnt sich zu fragen, was man eigentlich von ihr will

Wenn Beausire seinen vortrefflichen Augen getraut und durch falsche Schlüsse aus falschem Augenschein sich nicht hätte irremachen lassen, wären ihm mancher Kummer und manche Enttäuschung erspart geblieben.

Es war tatsächlich Fräulein Oliva, die in der Kutsche gesessen hatte. Sie war nach ihrer Gewohnheit im Garten des Luxem-bourg spazierengegangen. Als sie eben ihren Stuhl bezahlte, dem Cafetier zulächelte, dessen treue Kundin sie war, und sich anschickte, nach Hause zu gehen, trat aus einer Allee ihr seltsamer Freund, Herr Cagliostro, an sie heran und nahm ihren Arm.

»Wohin gehen Sie?« fragte er die erschrocken Aufblickende.

»Nach Hause, in die Rue Dauphine.«

»Das wäre den Leuten nur zu erwünscht, die dort auf Sie warten«, sagte er.

»Leute, die auf mich warten?« staunte Oliva.

»Und die Sie verhaften wollen«, ergänzte Cagliostro.

»Mich verhaften? Weshalb denn?« schauderte Oliva, denn manche Gewissen sind nie ganz rein. »Warum will man mich verhaften? Ich habe doch nichts getan.«

»Auch früher nicht?«

Bleich und zitternd blieb Oliva stehen.

»Sie spielen mit mir wie die Katze mit der Maus, mein Herr. Wenn Sie etwas wissen, dann sagen Sie es mir. Nicht wahr, die Polizei hat es auf Beausire abgesehen?«

»Wie dem auch sei, verlieren wir keine Zeit«, drängte der Graf, »die Polizei kennt Ihre Gewohnheiten und ist imstande, Sie hier zu suchen, wenn man Sie zu Hause nicht antrifft. Rasch, kommen Sie mit in die Rue des Enfers, dort wartet mein Wagen. Sie zweifeln an mir?«

»Ja.«

»Gut, dann wollen wir etwas Unvorsichtiges tun, um Sie zu überzeugen. Wir fahren an Ihrem Haus vorbei. Dann werden Sie mir wohl glauben.«

Als Beausire die beiden erblickte, hätte auch Oliva ihn sehen können, wenn nicht Cagliostro ihre Aufmerksamkeit auf den Menschenstau zu Eingang der Rue Dauphine gelenkt hätte. Er wollte eine Begegnung des Paares unbedingt verhindern, denn er wußte, hätte auch Oliva ihren Freund gesehen, hätte sie alles getan, um ihm, diesem Fremden, zu entkommen, der ihr zunehmende Furcht einflößte. Was sollte sie auch davon denken, daß dieser Unbekannte neuerdings vor ihr auftauchte und ungebeten ihren Beschützer spielte? Welches Interesse hatte dieser Mann an ihr? Was wollte er?

Als Oliva die vielen Polizisten erblickte, die sich um ihr Haus scharten, schrie sie verzweifelt auf, vergaß alle Fragen, die sie eben noch bewegt hatten, und bat den Grafen nur inständig, sie zu retten. Der zog augenblicks die Vorhänge der Kutschenfenster herab, drückte ihr beruhigend die Hände und versprach es.

»Aber wenn die Polizei mich sucht, wird sie mich überall suchen«, klagte Oliva.

»Nicht überall«, sagte Cagliostro, »dort, wo ich Sie hinbringe, wird niemand Sie entdecken. In meinem Hause sind Sie sicher.«

»In Ihrem Haus? Wir fahren zu Ihnen?« rief sie erschrocken.

»Sie sind närrisch«, sagte er ... »was fürchten Sie denn? Man könnte meinen, Sie hätten unsere Vereinbarung vergessen. Darum noch einmal, meine Schöne: ich bin nicht Ihr Liebhaber und will es nicht sein.«

»Wollen Sie mich einsperren?«

»Wenn Sie das Gefängnis vorziehen, sind Sie frei«, lachte er.

»Nein, nein«, wehrte sie ab, »ich ergebe mich Ihnen. Ich muß hoffen, daß Sie es gut mit mir meinen.«

Cagliostro brachte Oliva in die Rue Saint-Gilles, in das Haus, wo er Philippe de Taverney empfangen hatte. Nachdem sie in einer kleinen Wohnung des Oberstocks, weitab von den Bedienten, untergebracht war, sagte er:

»Versuchen Sie, sich fürs erste hier glücklich zu fühlen.«

»Glücklich?« seufzte sie bekümmert. »Glücklich ohne Freiheit, ohne Spaziergänge. Nicht einmal einen Garten habe ich. Hier gehe ich ein.« Und sie warf einen verzweifelten Blick um sich.

»Sie haben recht«, sagte er, »auf die Dauer können Sie hier nicht leben, und zuletzt würden meine Leute Sie doch entdek-ken. Ich werde dafür sorgen, daß Sie ein annehmlicheres Domizil bekommen.«

Dieses Versprechen tröstete Oliva. Sie fand ihre neue Wohnung behaglicher, zumal sie allerhand unterhaltsame Bücher erblickte und Cagliostro ihr versicherte, daß es ihr an nichts fehlen sollte. Auch könnte sie ihn jederzeit durch ein Klingelzeichen rufen, wenn sie seiner bedurfte.

»Vor allem«, bat Oliva, »bringen Sie mir Nachrichten von Beausire.«

»Gewiß«, antwortete der Graf, küßte ihr die Hand und schloß sie ein.

Tief in Gedanken stieg er die Treppe hinunter.

»Es ist eine Entweihung«, murmelte er, »diese Frau in der Rue Saint-Claude zu logieren. Aber niemand darf sie sehen, niemand außer einer einzigen Person, und daß diese einzige Person das

Fräulein sehen wird, dafür werden wir sorgen. Das Opfer ist notwendig. Löschen wir den letzten Funken der Fackel, die einst so hell gelodert hat.«

Der Graf legte einen weiten Mantel um, suchte in seinem Sekretär einige Schlüssel, die er gerührt betrachtete, und begab sich zu Fuß nach der Rue Saint-Claude im Marais.

Das verlassene Haus

Es war dunkel und still im Marais. Irgendwo heulte ein Hund. Ein Fenster schloß sich mit klapperndem Geräusch. Lauer Wind trug die melancholischen Schläge von Saint-Paul in die Rue Saint-Claude. Es war Viertel vor neun, als der Graf das Tor des verödeten Hauses erreichte, dessen der Leser sich gewiß erinnern wird.

Cagliostro zog einen großen Schlüssel unter seinem Umhang hervor und drückte ihn in das Schloß, das von jahrelangen Ablagerungen verstopft war. Knirschend drehte er sich und zermahlte sie zu Staub. Aber das Tor gab nicht nach. Das Holz war in den Fugen gequollen, Rost hatte sich in den Angeln eingefressen. Der Graf drückte mit der Faust, dann mit dem Ellenbogen, mit der ganzen Schulter. Endlich gab die Tür unter schwerem mißlaunigem Ächzen nach, und vor ihm in dämmrigem Dunkel breitete sich der einsame Hof, übermoost wie ein Friedhof.