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Er schloß die Tür hinter sich, und seine Schritte gruben sich in das dürre Gras, das zwischen den Steinen hochgesprossen war. Niemand hatte ihn eintreten sehen, niemand sah ihn in der Umfriedung dieser mächtigen Mauern. Er konnte innehalten und allmählich zurücktauchen in sein vergangenes Leben, so wie er in sein einstiges Haus vordrang.

Die Freitreppe, ehemals zwölf Stufen zählend, hatte nur noch drei. Vom Regenwasser unterspült, vom wuchernden Mauerkraut und Mohn gelockert, hatten die übrigen ihren Halt verloren, wa-ren geborsten und zerbröckelt. Gras hatte die Trümmer überwachsen und seine Halme über ihnen wie Standarten aufgepflanzt.

Cagliostro kletterte über die schwanken Treppenreste und schloß die Tür auf zu dem weitläufigen Vorsaal.

Dort erst brannte er seine Laterne an; doch so behutsam er die Flamme entzündete, der kalte, unheimliche Hauch des Hauses erstickte sie sofort.

Der Atem des Todes wehrte das Leben ab; die Finsternis tötete das Licht.

Cagliostro zündete die Laterne noch einmal an und schritt weiter.

Im Speisesaal hielten die schmierigen Fliesen kaum den Fuß, die Anrichten waren mit Schimmel überzogen und verfallen, die Türen standen gähnend offen und ließen den Gedanken freie Bahn in die düsteren Tiefen der Räume.

Plötzlich erzitterte der Graf, und seine Haare sträubten sich, denn am Ende des Salons, dort, wo ehemals die Treppe begann, war ein Geräusch vernehmlich. Früher hatte ein solches Geräusch das Kommen einer teuren Person angekündigt und dem Herrn dieses Hauses Leben, Hoffnung und Glück gebracht. Jetzt rief es ihm nur noch die Vergangenheit herauf. Mit gefalteter Stirn, angehaltenem Atem wandte er sich der Statue des Harpokrates zu, hinter der jene Feder zu finden war, mit der einst die verborgene, unauffindbare Verbindungstür zu öffnen war, die zu dem Geheimtrakt des Hauses führte. Die Feder funktionierte tadellos, obschon die Täfelung ringsum besorgniserregend bebte. Aber kaum hatte der Graf den Fuß auf die Geheimtreppe gesetzt, als das sonderbare Geräusch abermals ertönte. Cagliostro hob die Laterne in die Höhe, um nach dessen Ursache auszuschauen, da erblickte er eine dicke Natter, die langsam die Stufen niederkroch und mit ihrem Schweif die hallenden Stufen peitschte.

Das Reptil heftete sein schwarzes Auge ruhig auf den Eindringling, dann schlüpfte es in ein Loch der Täfelung und verschwand.

War dieses Tier der Genius der Einsamkeit?

Der Graf setzte seinen Weg fort. Bei jedem Schritt begleiteten ihn Erinnerungen, und als das Licht eine bewegte Silhouette an die Wände warf, erschauerte der Graf und meinte, in dem eigenen Schatten einen auferstandenen fremden zu sehen, der gleich ihm diesen Ort seines versunkenen Lebens besuchte.

Träumerisch durchschritt er nun jenen Kamin, der einst von dem Waffenzimmer Joseph Balsamos zu der duftenden Klause Lorenza Felicianis geführt hatte. Die Wände waren kahl, die Gemächer standen leer. In der Feuerstätte gemahnte ein riesiger Berg feiner weißer Asche, in der kleine Gold- und Silberklümp-chen blinkten, an Lorenzas zierliches Mobiliar, das Balsamo nach ihrem Tod bis auf das letzte Stück verbrannt hatte. Das waren die Schildpattschränkchen, das Klavicembalo, das Rosenholz-körbchen, das schöne Bett mit dem bunt bemalten Zierat von Sevresporzellan, die vergoldeten Gesimse, die Gobelins, die feinen Schreine aus Aloe- und Sandelholz, deren Duft damals, als sie verbrannt wurden, noch zwei Tage lang über der ganzen Umgebung lag.

Cagliostro war es, als bewahrte der kalte, verlassene Raum noch jetzt etwas von diesen Düften. Er bückte sich, hob ein winziges Häufchen Asche auf und roch daran, als wollte er den kostbaren Staub einsaugen.

»Könnte ich doch einen Rest dieser Seele in mich aufnehmen, die diesen Staub belebte«, murmelte er versunken.

Dann sah er durch die Eisengitter den traurigen Hof und die langen und tiefen Risse, mit denen der Brand die Außenmauern überzogen hatte. Das Gemach Althotas' war verschwunden - ein düsterer und erhabener Anblick zugleich. Nur Mauerstümpfe waren geblieben, an denen das Feuer mit seinen verzehrenden, schwärzenden Zungen geleckt hatte.

Auch wer die schmerzliche Geschichte Balsamos und Lorenzas nicht kannte, hätte sich nicht enthalten können, angesichts dieser Ruinen Trauer zu empfinden. Alles sprach hier von vernichteter Größe, erloschenem Glanz, verlorenem Glück.

Cagliostro indes, nachdem er alles überschaut hatte, meinte, seiner Schwäche genug gefrönt zu haben und mit seinen Erinnerungen abschließen zu können, als sein Blick auf einen kleinen, noch blanken Gegenstand fiel. Er bückte sich und hob mit zitternder Hand aus dem dicken Staub eine Silberspange, die eben erst aus den Haaren einer Frau sich gelöst zu haben schien.

Der Philosoph, der Gelehrte, der Prophet und Menschenverächter, er, der den Himmel herausgefordert, der so viel eigenen Schmerz in sich unterdrückt und den Herzen der anderen so viele Blutstropfen abgefordert hatte, Cagliostro der Atheist, der Scharlatan, der lachende Zweifler, hob diese Spange auf, führte sie an seine Lippen und murmelte unter Tränen: »Lorenza!«

Dann aber, nachdem er die heilige Reliquie glühend geküßt, streckte er den Arm durch das Fenstergitter und schleuderte das zarte Metallstück in den Hof des benachbarten Klosters, ins Gesträuch oder in den Staub, gleichviel.

»Leb wohl, Erinnerung«, sprach er, »von nun an will ich einzig der Zukunft leben und mein Werk auf dieser Erde besorgen. Ja, dieses Grabmal der Verlorenen soll verschwinden und neuen Zwecken weichen. Wieder wird eine Frau hier wohnen, in diesem Hof sich ergehen, vielleicht singen unter diesem Gewölbe, wo Lorenzas letzter Seufzer verhallt ist.«

Von einem Fenster der zweiten Etage stellte er befriedigt fest, daß Jeanne de La Motte von ihrer hohen Wohnung her volle Einsicht in den Bereich der neuen Bewohnerin dieses Hauses haben würde.

Eine gute Stunde nach seiner Heimkehr hatte er alle Anweisungen für den Architekten, der den Umbau durchführen sollte, bis in jede Einzelheit notiert. - Binnen acht Tagen sollten die Arbeiten abgeschlossen sein.

Jeanne als Beschützerin

Zwei Tage nach seinem Besuch bei Boehmer erhielt Herr de Rohan das folgende Billett:

»Seine Eminenz, der Herr Kardinal Rohan, weiß zweifellos, wo er heute abend speist.«

Dieses Billett kam, wie es der Kardinal leicht erriet, von Jeanne.

Madame de La Motte hatte unter den fünf Lakaien, die ihr in ihrem kleinen Reich zur Verfügung standen, ihr Augenmerk auf einen Burschen gelenkt, dessen lebhafte schwarze Augen und ins Gelbe spielende Gesichtsfarbe, wie sie Gallenkranken eignet, der scharfen Beobachterin einen tatkräftigen, klugen und erfinderischen Charakter verhießen.

Sie hatte diesen Mann kommen lassen und binnen einer Viertelstunde von seiner Gelehrigkeit und seinem Scharfsinn erreicht, was sie wünschte. Er folgte dem Kardinal überallhin, wohin Seine Eminenz die Schritte lenkte, und so entging ihm auch nicht, daß Herr de Rohan in zwei Tagen zweimal bei den Juwelieren Boehmer & Bossange gewesen war. Jeanne wußte nun genug. Ein Rohan feilschte nicht. Ein Geschäftsmann wie Boehmer ließ sich einen solchen Kunden nicht entgleiten. Das Halsband war also gekauft, von dem Kardinal gekauft, und er hatte seiner Geliebten, seiner Vertrauten, kein Wort davon gesagt. Das war ein bedenkliches Zeichen.

Jeanne runzelte die hübsche Stirn, kniff die zarten Lippen ein und verfaßte jene Einladung, die der Kardinal lächelnd betrachtete und anzunehmen beschloß.

Er schickte einen Korb mit Tokayer und einigen Delikatessen voraus, als ob er bei der Guimard oder der Dangeville speisen sollte: Die Nuance entging Jeanne nicht, und sie ließ von den Dingen absichtlich nichts auftragen.

Nach dem Souper, als man ungestört war, eröffnete sie das Gespräch mit einer gewissen Vertraulichkeit.

»Wahrhaftig, Monseigneur«, sagte sie, »ein Umstand bedrückt mich. Es ist mir unlieb, sehen zu müssen, daß Sie mich nicht mehr lieben oder nie geliebt haben.«