»Gräfin, was sagen Sie da!«
»Keine Ausflüchte, keine Entschuldigungen, Monseigneur! Das wäre verlorene Zeit.«
»Für mich«, antwortete galant der Kardinal.
»Nein, für mich«, sagte Jeanne kurz. »Übrigens, seien Sie deswegen unbesorgt, Monseigneur, es läßt mich vollkommen kalt.«
»Es läßt Sie kalt, ob ich Sie liebe oder nicht liebe?«
»Gewiß.«
»Und warum das?«
»Weil auch ich Sie nicht liebe.«
»Wissen Sie, Gräfin, daß diese Mitteilung nicht sehr verbindlich ist?«
»Allerdings, wir sagen uns keine Schmeicheleien. Das ist eine Tatsache, wir wollen uns darauf beschränken, sie zur Kenntnis zu nehmen.«
»Was für eine Tatsache?«
»Daß ich Sie nie geliebt habe, Monseigneur, so wie auch Sie mich nie geliebt haben.«
»Oh, von mir dürfen Sie das nicht behaupten«, rief der Fürst in einem Ton, in dem Aufrichtigkeit mitschwang. »Ich empfand zumindest eine große Zuneigung zu Ihnen, Gräfin. Beurteilen Sie mich nicht nach Ihren Gefühlen.«
»Hören Sie, Monseigneur, wir wollen einander so hochschätzen, daß wir uns immer die Wahrheit sagen.«
»Und was besagt diese Wahrheit?«
»Daß es zwischen uns ein stärkeres Band als die Liebe gibt.«
»Welches?«
»Das Interesse.«
»Pfui, Gräfin!«
»Nun könnte ich Ihnen antworten wie der normannische Bauer, der, als er seinen Sohn zum Galgen führte, sagte: >Wenn dir davor graut, halte dich doch so, daß den anderen nicht vor dir graut.< Pfui über das Interesse, Monseigneur! Wie hübsch Sie das sagen.«
»Gut, Gräfin, nehmen wir an, wir hätten beide unser Interesse. Wie kann ich dem Ihrigen dienen, und was können Sie für das meinige tun?«
»Zuallererst habe ich nicht übel Lust, mit Ihnen zu zanken.«
»Tun Sie es, Gräfin, Sie tun es gewiß mit Charme.«
»Es fehlt Ihnen an Vertrauen und somit an Achtung vor mir.«
»Wessen klagen Sie mich an?«
»Wollen Sie leugnen, daß Sie mit aller Geschicklichkeit Einzelheiten über den Geschmack einer gewissen hohen Dame an einem bestimmten Gegenstand von mir erfragt haben, die Ihnen mitzuteilen mir ein besonderes Vergnügen war? Sie haben es unternommen, diesem Geschmack zu dienen, ohne mir etwas davon zu sagen.«
»Sie sind eine Sphinx, Gräfin. Ich hatte den Kopf und den Busen einer Frau gesehen, aber die Löwenkrallen waren mir entgangen. Es scheint, daß Sie sie mir jetzt zeigen wollen.«
»O nein, gar nichts werde ich Ihnen zeigen, Monseigneur, da Sie keine Lust mehr haben, etwas zu sehen.«
»Gräfin!« murmelte der Kardinal.
Jeanne richtete ihren klarsten Blick auf ihn.
»Warum sehen Sie mich so verblüfft an, Monseigneur? Haben Sie gestern auf dem Quai de l'Ecole etwa nicht einen bedeutenden Handel abgeschlossen?«
Ein Rohan lügt nicht, auch nicht vor einer Frau. Der Kardinal schwieg. Und da er errötete - das verzeiht ein Mann einer Frau nie -, beeilte sich Jeanne, seine Hand zu ergreifen.
»Verzeihen Sie mir, mein Prinz«, sagte sie, »lassen Sie mich sagen, worin Sie sich täuschten. Sie haben mich für dumm und schlecht gehalten, nicht wahr?«
»Oh, Gräfin!«
»Sie ...«
»Kein Wort weiter; lassen Sie jetzt mich sprechen. Vielleicht kann ich Sie überzeugen, denn seit heute sehe ich klar, mit wem ich es zu tun habe. Ich glaubte in Ihnen eine schöne Frau, eine geistvolle Frau, eine reizende Geliebte zu finden, aber Sie sind Besseres. Hören Sie.«
Jeanne näherte sich dem Kardinal und ließ ihre Hand in seinen Händen.
»Sie haben eingewilligt, meine Geliebte zu sein, meine Freundin, ohne mich zu lieben. Sie haben es mir selbst gesagt«, fuhr Herr de Rohan fort.
»Und ich wiederhole es Ihnen«, sagte die Gräfin.
»Also haben Sie ein Ziel?«
»Zweifellos.«
»Welches?«
»Muß ich es Ihnen erklären?«
»Nein, ich errate es. Sie wollten mein Glück, und wäre das meinige gesichert, würde ich mich um Ihres kümmern.«
»Richtig. Nur, glauben Sie mir ohne Umschweife, der Weg war mir angenehm, ich bin ihn ohne Widerstreben und ohne Antipathien gegangen.« »Sie sind eine liebenswürdige Frau, Gräfin, es ist ein Vergnügen, mit Ihnen über Geschäfte zu plaudern. Sie sollen also wissen, daß Sie recht geraten haben. Sie wissen, daß ich eine ehrfurchtsvolle Neigung hege?«
»Ich habe sie auf dem Opernball gesehen, mein Fürst.«
»Diese Neigung wird nie geteilt werden. Gott bewahre mich, es je zu glauben.«
»Ach, eine Frau ist nicht immer Königin, und Sie sind, wie ich wohl weiß, einem Kardinal Mazarin ebenbürtig.«
»Der war allerdings ein sehr schöner Mann«, bemerkte Herr de Rohan lachend.
»Und ein ausgezeichneter Erster Minister«, erwiderte Jeanne mit tiefstem Gleichmut.
»Gräfin, Sie denken und sprechen für Ihre Freunde. Ja, es ist wahr, ich wäre gern Premierminister. Alles berechtigt mich dazu: Geburt, politische Erfahrung, das Wohlwollen einiger ausländischer Herrscher und viel Sympathie von seiten des französischen Volkes.«
»Alles«, sagte Jeanne, »bis auf eins.«
»Bis auf eine Abneigung, wollen Sie sagen?«
»Ja. Die Abneigung der Königin ist für Sie das eigentliche Hindernis. Wen sie liebt, den wird schließlich auch der König lieben. Wen sie haßt, verabscheut er unbesehen.«
»Und mich haßt sie?« »Oh.«
»Sprechen wir offen. Ich meine, daß wir halbenwegs nicht stehenbleiben dürfen.«
»Nun ja, Monseigneur, sie liebt Sie nicht.«
»Dann bin ich verloren. Das Halsband kommt dagegen nicht auf.«
»Darin könnten Sie sich täuschen, Monseigneur. Wenn die Königin Sie auch nicht liebt, wird sie zumindest begreifen, daß Sie sie lieben. Verzeihen Sie«, fuhr Jeanne, die Abwehr des Kardinals beschwichtigend, fort. »Wir waren uns einig, daß wir die Dinge beim Namen nennen wollen.«
»Nun gut, Gräfin. Sie glauben also, Sie sehen mich eines Tages doch noch als Erster Minister?«
»Davon bin ich überzeugt.«
»Es wäre undankbar, wenn ich Sie nicht nach Ihren Wünschen fragte.«
»Die werde ich Ihnen an dem Tag sagen, Kardinal, an dem Sie imstande sein werden, sie zu befriedigen.«
»Das nenne ich Offenheit. Ich werde Sie an diesem Tag erwarten.«
Er nahm ihre Hand und drückte sie, wie Jeanne einige Tage zuvor so sehr gewünscht hatte, daß er sie drückte. Aber das war vorbei. Sie zog ihre Hand zurück.
»Trennen wir uns jetzt«, sagte sie.
»Das nennen Sie unser Bündnis? Sie geben mir den Abschied?«
»Um wirklich einander zu dienen, wollen wir jeder wir selbst bleiben, Monseigneur.«
»Sie haben recht, Gräfin. Verzeihen Sie, daß ich mich noch einmal in Ihnen getäuscht habe. Es soll das letzte Mal gewesen sein.«
Er küßte ihr so ehrerbietig die Hand, daß er das spöttische, das teuflische Lächeln der Gräfin nicht sah, als er die Worte sprach: Es soll das letzte Mal gewesen sein.
Jeanne erhob sich und geleitete den Kardinal ins Vorzimmer. Dort hielt er inne.
»Was nun weiter, Gräfin?«
»Ganz einfach.«
»Was soll ich tun?«
»Nichts als warten. Ich gehe nach Versailles.«
»Wann?«
»Morgen.«
»Wann erhalte ich Nachricht?« »Sofort.«
»Nun denn, meine Beschützerin, ich verlasse mich auf Sie.« »Lassen Sie mich nur machen, Monseigneur.«
Jeanne als Protegierte
Wie im Fieber fuhr Jeanne am nächsten Morgen nach Versailles. Sie fühlte sich als Unterhändlerin in geheimer Mission und malte sich aus, was für sie dabei herausspringen würde. Zwei Mächtige waren auf sie angewiesen, auf sie, die noch vor wenigem die arme Bittstellerin, die Bettlerin gewesen. Sie wähnte sich stark genug, die Welt aus den Angeln zu heben. Dazu gab sie sich vierzehn Tage Frist. Inhaberin einer Rente von hunderttausend Francs würde sie sein, Gattin wenigstens eines Herzogs und Pairs, Vertraute der Königin und kraft ihres Einflusses auf Marie-Antoinette die heimliche Lenkerin der Staatsgeschicke.