Beruhigt verschloß die Königin diese Quittung in einer Schublade und dachte nicht weiter daran.
Daß der König jenen Betrag auf Herrn de Calonnes Liste gestrichen hatte, war schon anderntags in Paris das Tagesgespräch. Der Kardinal Rohan geriet in schwere Besorgnis. Als er zwei Tage später den Juwelieren Boehmer & Bossange einen Besuch machte, um zu hören, ob die Zahlung der ersten Rate, für die er sich verbürgt hatte, seitens Ihrer Majestät dennoch erfolgt war, vernahm er, daß die Herren zwar kein Geld, dafür aber ein Schriftstück der Königin erhalten hatten, worin sie um einen Zahlungsaufschub gebeten wurden. Es war eine Schuldverschreibung, die sie vollkommen zufriedenstellte. Boehmer & Bossange versicherten dem Kardinal, daß sie sich geehrt fühlten, von Ihrer Majestät der Königin einen solchen Vertrauensbeweis empfangen zu haben. Sie gelobten, das unbedingte Stillschweigen über diese Affäre, zu dem die Königin sie verpflichtet habe, getreulich einzuhalten, und erfreut schied der Kardinal von den Juwelieren.
Jeanne de La Motte aber war nach ihrem Besuch bei der Königin nach Hause gefahren, wie es ihr befohlen war, dann hatte sie nach stundenlangem Brüten eine unscheinbare Robe angelegt und war zu später Abendzeit in einem Fiaker zum Haus des Zeitungsschreibers Reteaux de La Villette geeilt.
Die Gefangene
Oliva hatte die Annehmlichkeiten ihres neuen Kerkers zu Anfang entzückt genossen, allmählich aber langweilte sie sich. Eine Frau wie Oliva konnte sich nicht vorstellen, daß man sie einer Gefahr und ihrem Liebhaber entzogen und in eine luxuriöse Behausung einquartiert hatte, ohne von ihr etwas anderes als Liebe zu wollen. Doch der Graf, so fürsorglich er bemüht war, ihre Wünsche zu erfüllen, betrug sich gegen sie mit so gleichbleibendem Respekt, daß sie ihn nicht begriff. Von ihrem Beschützer wußte sie unterdessen, daß auch Beausire sich vor der Polizei verstecken mußte und daß von ihm keine Befreiung aus ihrer Einsamkeit zu erwarten war.
Zur Entschädigung für ihre früheren Spaziergänge, bei denen sie mit wohligem Behagen so viele bewundernde und begehrliche Blicke auf sich gezogen hatte, stand ihr im Oberstock eine Terrasse zur Verfügung.
Bequem gelagert, nahm sie hier zum Frühstück ihre Schokolade, die ihr die Zofe gebracht hatte, und las eine Zeitung, dann betrachtete sie durch das Balkongitter die Baumwipfel der Boulevards, die Häuser des Quartier Popincourt und die Kamine, einen wogenden Ozean von Rauch, der sich über die Stadt breitete.
Bald wurde sie kühner und beugte sich, der Gefahr zum Trotz, daß Herr de Crosnes Spürhunde sie erspähen konnten, über das
Geländer, um in die Straße hinabzublicken oder ihre weitere Umgebung anzuschauen.
Da sah sie die Nußbäume von Menilmontant, die hohen Bäume des Friedhofs, die zahllosen bunten Häuser, rings von Grün umschmiegt, die von Charonne bis zu den Buttes Chaumont den Hügel überzogen.
Da und dort, auf schmalen Wegen sah sie winzige Lebewesen, Bauern, die ihre Esel vor sich her trieben, Kinder, die auf den Feldern arbeiteten, Winzerinnen, die in den Weinbergen schafften. Dieses ländliche Idyll entzückte Nicole, die in dem so sehr ersehnten Paris nach der schönen Landschaft von Taverney sich doch stets zurückgesehnt hatte.
Endlich hatte sie auch die liebliche Landschaft satt und wandte ihre Aufmerksamkeit den Häusern der Umgebung zu, die sie aus sicherer Position, in ihren Blumen verborgen, betrachten konnte. Die meisten Fenster waren geschlossen, mochten die Mieter verzogen oder aufs Land gereist sein. Manchmal hängte ein einsam dort hausender Diener den Vogelkäfig nach draußen. Mehr war nicht zu beobachten, und Oliva-Nicole hätte sich zu Tode gelangweilt, wäre ihr nicht im dritten Haus zur Linken ein Fenster mit gelbseidenen Vorhängen aufgefallen, hinter dem ein weicher Lehnstuhl, gleichsam ein Symbol des Wohllebens, einen Träumer oder eine Träumerin zu erwarten schien.
Oliva meinte, in diesem Zimmer regelmäßige Bewegungen eines ruhelosen Schattens zu erkennen. Sie begrenzte ihre ganze Ungeduld auf dieses Fenster. Endlich nahm eine Frau in dem Lehnstuhl Platz. Sie hatte ihren Kopf der Haarkünstlerin überlassen, die eineinhalb Stunden benötigte, um auf ihrem Schädel eines der babylonischen Gebäude aufzurichten, in dem es nicht einmal an Mineralien und Vegetabilien fehlte und die sogar von Tieren bewohnt gewesen wären, hätte der Friseur Ihrer Majestät, der kunstreiche Leonard, das Beispiel gegeben und hätte eine
Frau jener Zeit eingewilligt, auf ihrem Kopf eine Arche Noah herumzutragen.
Als die Frau frisiert, gepudert, mit Spitzen und Putz geschmückt war, hatte sie sich wieder in ihren Lehnstuhl zurückgelegt, nachdem der Kopf durch harte Kissen gestützt worden war, die das Gleichgewicht des ungeheuerlichen Aufbaus zu halten vermochten.
Jetzt glich die regungslose Frau jenen indischen hockenden Götzen, die in ihrer Reglosigkeit nur die Augen in den Höhlen bewegen. Oliva bemerkte, wie hübsch die Dame war, sie sah den zarten Fuß, der, auf das Fensterbord gestellt, in einem kleinen rosa Seidenpantoffel stak, den rundlichen Arm und den Busen, der das Korsett und den Pudermantel wölbte.
Was ihr aber besonders auffiel, war die Tiefe dieses beständig und herrisch auf einen einzigen Gedanken gerichteten Blicks. Diese Frau, die unsere Leser sicherlich bereits erkannt haben, ahnte nicht, daß sie beobachtet wurde. Nie waren die Fenster des Hauses Cagliostro geöffnet worden. Ungestört konnte sie sich in ihre Gedanken vergraben, und die naive Oliva bildete sich ein, daß diese schöne, in sich versunkene Person über eine unglückliche Liebe nachsinne.
Rasch hatte sie sich einen ganzen Roman ausgesponnen, dessen Heldin ihre schöne Gefährtin in der Langenweile war, und all ihre Sympathie eilte auf Feenflügeln der Fremden entgegen. Doch die Dame mit dem Haargebäude rührte sich nicht, sie schien an ihren Lehnstuhl festgewachsen. Zwei Stunden vergingen, ohne daß ihre Haltung auch nur um einen Grad sich verändert hätte.
Oliva war verzweifelt, daß ihr Blick nicht die mindeste Wirkung auf jene Dame ausübte, und ihre zärtliche Anteilnahme verkehrte sich in Haß. Mein Gott, wie hochmütig, wie eitel mußte diese Person sein! Schmollend wandte sie sich von ihr ab und kehrte sich ihren Blumen zu, liebenswürdigeren Gespielinnen in ihrer Verlassenheit. Nicole konnte ja nicht wissen, daß jene vermeint-liche Stolze niemand anders war als Jeanne de Valois, die, in ihrer einstigen Wohnung versteckt, seit dem Vorabend nach einer Idee suchte, wie sie verhindern könnte, daß Marie-Antoinette und der Kardinal einander noch jemals begegneten, daß aber der Kardinal, ohne die Königin je zu sehen, fest überzeugt werden mußte, daß er sie sehe.
Als sie das Halsband unterschlagen und mit Hilfe des Herrn Reteaux de Villette die Königin, den Kardinal und die Juweliere in Sicherheit gewiegt hatte, war ihr Plan, sich mit einem Edelsteinhändler in Verbindung zu setzen, einzelne Diamanten im Wert von hunderttausend Francs zu verkaufen und damit nach England oder Rußland zu fliehen. Fünf, sechs Jahre würde sie mit einem solchen Vermögen aufs beste leben können. Nach Ablauf dieser Frist konnte man in aller Ruhe die übrigen Steine nach und nach veräußern.
Indessen ging nicht alles nach ihren Wünschen. Schon die ersten Fachleute gaben Zeichen einer solchen Verwunderung, daß die Gräfin sich schnell zurückzog. Ein Juwelier bot eine erbärmliche Summe, ein anderer erklärte, er habe Steine von solcher Schönheit nur in Boehmers Halsband gesehen. Jeanne wußte, daß ihr der Pranger und lebenslängliches Gefängnis drohten, wenn sie nur einen Schritt weiter ging. Also verschloß sie das Geschmeide sorgsam und, bereitete sich auf einen erbitterten Kampf vor. Als letzter Ausweg blieb ihr immer noch die Flucht.
Es war keine leichte Aufgabe, das nimmermüde Verlangen des Kardinals, stets Neues von der Königin und ihrer Dankbarkeit zu erfahren, recht lange hinzuhalten, ohne daß er auf eine neuerliche Begegnung mit Marie-Antoinette drang. Zu befürchten stand außerdem, daß die geschwätzige Königin sich ihres Opfers rühmte und daß die Nachricht davon den Kardinal wie die Juweliere erreichte. Jeanne mußte also schnell handeln, wollte sie nicht untergehen. Die Falle mußte so gestellt werden, daß, selbst wenn der Diebstahl entdeckt würde, sowohl die Königin als auch der Kardinal sich zum Schweigen gezwungen sähen.