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Jeanne war unruhig geworden und wandte sich ab. Wie ein Irrsinniger folgte ihr Charny, um ihr noch einmal ins Gesicht zu blicken.

Die Königin fuhr fort, nach rechts und links zu grüßen, ließ aber die beiden nicht aus den Augen.

»Sollte er den Verstand verloren haben?« überlegte sie. »Armer Junge.«

Sie trat wieder zu ihm.

»Wie befinden Sie sich, Herr de Charny«, fragte sie sanft.

»Sehr gut, Madame, aber Gott sei Dank doch nicht so gut wie Eure Majestät.«

Dabei verneigte er sich auf eine Art, die Marie-Antoinette noch mehr erschreckte als seine sonderbaren Worte.

Es steckt etwas dahinter, dachte Jeanne.

»Wo wohnen Sie jetzt?« fragte die Königin.

»In Versailles, Madame, seit drei Nächten.«

Die Königin zeigte keinerlei Bewegung. Jeanne überlief es kalt.

»Haben Sie mir etwas zu sagen?« fragte die Königin den jungen Mann.

»Ach, Madame, ich hätte Eurer Majestät nur zu viel zu sagen!«

»Dann kommen Sie!«

Die Königin kehrte in ihre Gemächer zurück. Durch Gebärden bedeutete sie ihrem Gefolge, daß sie nicht gestört zu werden wünschte.

Charny war zu erregt, um den ruhigen Fragen der Königin ebenso ruhig zu entgegnen. Immer ungebärdiger werdend, schleuderte er seine Anklage gegen sie heraus, sich überstürzend, berichtete er alles, was er gesehen hatte.

Marie-Antoinette war zu Eis erstarrt. So unschuldig sie sich fühlte, so leichtsinnig sie war, sie spürte dennoch unbestimmt, daß etwas Dunkles, Unfaßbares um sie war. Die mysteriöse Doppelgängerin war erneut gegen sie ins Spiel getreten, sie war also noch immer nicht verhaftet worden. Was hatte man gegen sie vor? Wer steckte hinter dieser anhaltenden Verfolgung? Und wie sollte sie diesem verzweifelten jungen Mann, der sie glühend liebte und an dessen Achtung ihr so viel lag, überzeugen, daß er, wie auf dem Opernball, nicht sie, sondern nur eine andere Frau gesehen haben konnte?

Sie bat ihn, sie schwor, Tränen traten ihr in die Augen, doch Charny vergrub den Kopf in beide Hände und blieb stumm.

»Sie lieben mich«, sagte sie bitter, »und doch halten Sie mich für treulos. Sie wissen, daß eine Unbekannte ihre Ähnlichkeit mit mir mißbraucht, aber Sie zweifeln an mir. Erinnere dich, Olivier, erinnere dich und glaube mir, daß ich keine ehrlose Frau bin.«

Und bei den letzten Worten hatte sie seine Hände genommen und so inständig auf ihn eingesprochen, daß er aufstöhnte. Ihre Berührung, ihr Atem hatten ihn berauscht. Und ihre Worte, verrieten sie nicht, daß auch sie ihn liebte? Er blickte in ihre Augen, aber Marie-Antoinette entzog sich dem Feuer, das sie zu ver-brennen drohte, indem sie sich abwandte und langsam auf und ab zu gehen begann.

»Herr de Charny«, sagte die Königin endlich, »Sie sind mir eine Genugtuung schuldig. Hören Sie, was ich verlange. Gehen Sie heute nacht noch einmal in den Park. Entlarven Sie diese Leute, koste es, was es wolle. Wie Sie es tun, ist Ihre Sache. Beweisen Sie mir so Ihre Liebe, erobern Sie sich selbst den Beweis meiner Unschuld. Ich werde kommen und Ihnen durch meine Gegenwart bezeugen, daß Sie sich geirrt haben. Gewiß, das ist tollkühn, aber ich weiß mir keinen anderen Rat. Gehen Sie jetzt und lassen Sie keinen Menschen etwas von unserem Vorhaben erraten.«

Charny küßte ihre Hände und ging. Im zweiten Vorzimmer sah er unter den wartenden Damen die Gräfin, die ihn durchdringend musterte.

Madame de La Motte verbrachte den übrigen Tag in Versailles wie auf glühenden Kohlen. Die Königin ließ im Kreis ihrer Vertrauten nichts erkennen, was Jeannes Argwohn bestätigte oder widerlegte. Dennoch stand ihr Entschluß fest. Sobald sie für heute entlassen würde, mußte sie zu Herrn de Rohan fahren und dem verliebten Narren begreiflich machen, daß er die Königin wegen der Gefahr der Entdeckung nicht mehr sehen könne. Sie mußte ihm suggerieren, daß er ihr schreiben dürfe, wenn er seine Briefe ihr, Jeanne, anvertraute. Diese Briefe würden den Kardinal außerstande setzen, jemals gegen Madame de La Motte Klage zu erheben, wenn sie ihn zwingen würde, das Halsband zu bezahlen.

Im übrigen mußte Oliva verschwinden.

So kam es, daß Charny und die Königin zur Nacht vergeblich auf eine Wiederholung jener Parkszenen warteten.

Die Flucht

Die Glocken von Saint-Paul schlugen elf Uhr, und der Uferwind trug die gemessenen Klänge zur Rue Saint-Claude herüber, als Jeanne mit einer Postkutsche, die mit vier kräftigen Pferden bespannt war, in die Rue Saint-Louis einfuhr. Ein Mann, der auf dem Bock saß und in einen Mantel gehüllt war, bezeichnete dem Postillon das Haus, vor dem er warten sollte. Dann wandte er sich nach seiner Herrin um.

»Gut, Herr Reteaux«, sagte Jeanne, »eine halbe Stunde wird genügen. Ich hole jemand, den Sie für doppeltes Trinkgeld nach meinem Landgut in Amiens führen lassen. Sie übergeben die Person meinem Pächter Fontaine, der weiß, was er zu tun hat. Die Dame wird von einem Narren verfolgt. Sollte sich Ihnen jemand in den Weg stellen, dann schießen Sie. Sie haben zwanzig Louisdors Entschädigung verlangt, ich gebe Ihnen hundert und zahle Ihnen überdies die Reise nach London. Erwarten Sie mich dort. Ich komme bald nach. Hier ist das Geld, und nun gute Reise!«

Reteaux küßte der Gräfin die Hand. Dann stieg er in den Wagen, während Jeanne leichtfüßig in die Rue Saint-Claude zu ihrer Wohnung lief.

In dem harmlosen Viertel lag schon alles in tiefem Schlaf. Jeanne zündete eine Kerze an und hielt sie eine Zeit zum Balkon hinaus. Gleich würde Oliva das Haus verlassen. So war es verabredet.

Oliva zur Flucht zu bewegen war Madame de La Motte nicht schwergefallen. Die Leichtgläubige vertraute ihrer Freundin zu sehr, um Böses zu vermuten. Von ihrem großzügigen, aber gleichbleibend höflichen Beschützer hatte sie nichts weiter zu erwarten, das wußte sie. Ihr goldener Käfig hatte Reiz für sie gehabt, solange jene nächtlichen Spiele dauerten. Mit dieser Abwechslung aber sollte es aus sein. Dann lieber fort aufs Land, wo sie freier leben und versuchen konnte, ihren Liebsten wiederzufinden. Hier würde sie doch nur versauern. Und Jeanne war erfreut, daß ihr Opfer ihr so wenig Widerstand entgegensetzte.

Jeanne schaute zu Olivas Wohnung hinüber. Alle Fenster waren verhängt und dunkel.

»Das Mädchen ist vorsichtig«, murmelte Jeanne, »sie kommt sogar herunter, ohne Licht zu machen.«

Ihrer Sache gewiß, kehrte sie zurück auf die Straße. Aber niemand kam. Offenbar hatte sich Oliva mit lästigem Gepäck beladen.

Wie ärgerlich, dachte Jeanne, wir verlieren Zeit, weil sie sich nicht von ihren Lumpen trennen kann.

Eine Viertelstunde verging. Jeanne lief zum Boulevard, um von dort zu sehen, ob Olivas Fenster jetzt erleuchtet wären. Tatsächlich meinte sie, hinter den Vorhängen eines Fensters einen Lichtschein wahrzunehmen.

Ob sie mein Signal nicht gesehen hat? fragte sie sich, und wieder lief sie hinauf in ihre Wohnung und erneuerte das Zeichen mit der Kerze.

Nichts rührte sich dort drüben, und Jeanne kam die Sorge an, daß etwas schiefgegangen sei. Aber sie muß heute fort, dachte sie, lebendig oder tot. Wie eine verfolgte Löwin stürzte sie die Treppe hinunter und eilte zum Tor des Hauses Cagliostro. Sie hielt den Schlüssel bereit, zögerte aber, sich unbekannter Gefahr auszuliefern. Erst das Stampfen der Pferde, die an der Straßenecke warteten, trieb sie vorwärts.

Sie schloß auf, durcheilte den Hof und die unteren Räumlichkeiten. Von Oliva in die Geheimnisse des Hauses eingeweiht, fand sie die Treppe und stand bald vor Nicoles Wohnung.

Durch einen Türspalt gewahrte sie gedämpftes Licht. Leichte Geräusche waren zu vernehmen. Jeanne hielt den Atem an und lauschte. Niemand sprach. Oliva war also allein. Sie hatte sich nur verzögert.

Jeanne klopfte.