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Berichte, Gerüchte und ein Abschied

Der nächste Tag war Himmelfahrt. König Ludwig hatte keine Muße, sich über das strahlende Wetter zu freuen und sich auf die Messe vorzubereiten. Seit dem frühen Morgen wurden ihm Geheimberichte und Gerüchte vorgetragen. Herr de Breteuil, der Siegelbewahrer des Reiches und langjährige erbitterte Feind des Kardinals Rohan, hatte gegen diesen ein ganzes Dossier zusammengestellt, das ihn bezichtigte, das Halsband unterschlagen, Schriftstücke gefälscht zu haben und sich zu rühmen, daß die Königin seine Geliebte sei.

Der Graf de Provence, Bruder des Königs und nachmaliger König Ludwig XVIII., wartete mit Meldungen seiner verschiedenen Beobachter auf, nach denen die Königin an vier aufeinanderfolgenden Tagen zur Nachtzeit im Park von Versailles gesehen worden war. Die Angaben über die bedenklichen Handlungen Ihrer Majestät stimmten mit dem überein, was Olivier de Charny der Königin vorgeworfen hatte. In den Berichten über die ersten drei Nächte war die begleitende Dame als Madame de La Motte erkannt worden, während der beteiligte Herr nicht identifiziert war. Der Beobachter der vierten Nacht nannte Herrn de Charny.

Der sonst so gutmütige Ludwig eilte mit wutverzerrtem Gesicht zu den Gemächern der Königin.

Gerüchte verbreiteten sich in Versailles wie der Wind. Olivier de Charny, von seinen wiedererwachten, jetzt neu bestätigten

Zweifeln gemartert und von unmäßigen Ängsten um die gefährdete Königin getrieben, hatte unterdessen um eine Audienz ersucht und Marie-Antoinette über alle umlaufenden Reden unterrichtet.

Die Königin lauschte ihm schweigend und wie erstarrt in einem Lehnstuhl. Charny war bleicher und erregter denn je.

»Sie sehen, Madame«, sagte er düster, »alles hat sich gegen unsere Freundschaft verschworen. Nach diesem Skandal gibt es keine Ruhe mehr für mich, keinen Frieden mehr für Sie. Die öffentliche Meinung wird Sie zerreißen, selbst wenn Sie sich rechtfertigen könnten.«

»Sie sollten auf Ihre Güter zurückkehren, Herr de Charny, oder gehen Sie auf eins der Schiffe Ihres Onkels und suchen Sie anderswo, was Sie in meiner Nähe nie mehr finden werden: Hoffnung und Glück. Gehen Sie, die Gefahr ist ernst. Ihnen droht Ruin, Verleumdung und Kerker.«

»Nein, ich will bleiben und Sie verteidigen, wo und wie ich kann. Sie haben mir meine Zweifel vorgeworfen, Madame, vergeben Sie mir und zerschmettern Sie mich jetzt nicht, indem Sie an meiner Treue zweifeln. Schicken Sie Ihren Diener nicht fort, der Sie verehrt, der trotz allem an Sie glaubt und der Ihnen seine Liebe bis zum Tode treu beweisen wird.«

Marie-Antoinette löste sich aus ihrer Starre. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.

»Ist das wahr, Olivier? Findet die verfluchte, verlorene Königin, die Frau, über die man zu Gericht sitzen wird, die von der öffentlichen Meinung bereits verurteilt ist und die von ihrem Gatten wahrscheinlich verjagt werden wird, noch ein Herz, das sie liebt?«

Charny fiel vor Marie-Antoinette nieder und küßte inbrünstig die Füße der Königin.

In dem Augenblick öffnete sich die Tür, und der König, wie vom Blitz getroffen, verharrte auf der Schwelle.

Charny erhob sich langsam und verneigte sich ehrfurchtsvoll.

»Herr de Charny«, sagte Ludwig mit unheimlicher Selbstbeherrschung, »es ist für einen Edelmann wenig ehrenvoll, bei einem Diebstahl ertappt zu werden.«

»Diebstahl?« wiederholte die Königin, und sie glaubte, die furchtbaren Anschuldigungen, das Halsband betreffend, würden nun auch diesen Unschuldigen besudeln.

»Diebstahl, jawohl«, sagte Ludwig, von den Berichten seines Bruders vollends verstört, »vor der Frau eines anderen zu knien ist ein Diebstahl; und ist diese Frau die Königin, nennt man diesen Diebstahl ein Majestätsverbrechen. Die Bastille erwartet Sie, mein Herr.«

»Sire«, entgegnete Marie-Antoinette, »Sie hegen wie mir scheint, schlimmen Argwohn und böse Vermutungen. Überlassen Sie sich ihnen nicht, sonst sind wir verloren. Ich kenne das Herz des Herrn de Charny und werde nicht dulden, daß man ihn anklagt, ohne daß ich ihn verteidigte.«

»Wollen Sie leugnen, Madame, daß der Graf sich soeben in einer recht unüblichen Haltung vor Ihnen befand? Um niederzuknien, muß man .«

»Muß man ein Untertan sein«, schnitt Marie-Antoinette dem König das Wort ab, »der um eine Gnade bittet, die ich nicht bewilligen konnte.«

»Eine Gnade?« fragte der König, unsicher geworden.

Und die Königin, einmal auf dem Weg, ihren teuersten Freund und ihre eigene Ehre zu verteidigen, erfand die rettende Geschichte, daß Charny Andree de Taverney liebe und zu heiraten wünsche, daß sein Wunsch aber unmöglich sei, da Andree ins Kloster gegangen war.

Der König fühlte sich besser. Vielleicht habe Fräulein von Taverney die Gelübde noch nicht abgelegt, sagte er, die Königin möge das erkunden lassen und Charny zu seinem Lebensglück verhelfen.

Charny küßte der Königin stumm die Hand, und als er aufstand, um zu gehen, las er in ihren Augen den heißen Schmerz über diesen Abschied für immer.

Inzwischen wurde Prinz Louis, Großalmosenier des Reiches, Seine Eminenz der Kardinal von Rohan, bereits im priesterlichen Ornat, auf Befehl des Königs verhaftet und in die Bastille gebracht.

Nach Madame de La Motte, die verschwunden blieb, wurde gefahndet.

Saint-Denis

Die Königin blieb allein und in Verzweiflung zurück. So viele Schläge hatten sie getroffen, daß sie nicht mehr zu entscheiden vermochte, welcher Schmerz der härteste war.

Nach einer Stunde in tiefster Niedergeschlagenheit sagte sie sich, daß sie handeln müsse. Das Gerücht belastete sie und Charny mit den Begebnissen jener drei Nächte, denen sie in der vierten vergebens auf der Spur gewesen war. Der König würde die von ihr erfundene Geschichte dagegenhalten. Doch mußte dies aufs schnellste mit Tatsachen untermauert werden, damit man sie glaubte.

Daß Andree die Gelübde bereits abgelegt hatte, war in der Tat unwahrscheinlich, dafür war sie zu kurze Zeit im Kloster. Würde dieses stolze Mädchen aber ihre Freiheit und ihre Zukunft daransetzen, um die Königin zu retten, die sie vor wenigem fast als Feindin verlassen hatte?

Was würde geschehen, wenn Andree ablehnte? Dann brach das ganze Lügengespinst zusammen. Dann war die Königin eine klägliche Intrigantin, Charny ein Lügner, und die jetzt umlaufenden Verleumdungen wurden zur Anklage.

Es wurde drei Uhr. Die Stunde der zeremoniellen Empfänge kam heran. Heiter und mit einer Liebenswürdigkeit, die ihrem bekannten Stolz keinen Abbruch tat, empfing die Königin ihre Gäste. Sie war bestrebt, jenen, die sie für ihre Feinde hielt, mit einer Festigkeit zu begegnen, die eine Schuldige nicht aufzubringen pflegt.

Nie hatte man sich so zu Hofe gedrängt, nie hatte die Neugier so unverhohlen die Züge einer gefährdeten Königin geprüft. Marie-Antoinette hielt allen Blicken stand, und ihre Feinde sahen sich beschämt, ihre Freunde feierten sie enthusiastisch. Sie bestand diesen Kampf so schön und hoheitsvoll, daß der König, nicht allein um die Würde seines Hauses aufrechtzuerhalten, sondern aus ehrlicher Dankbarkeit, sie vor aller Augen beglückwünschte.

Als die Empfänge vorüber waren, schwand das Lächeln von ihren Lippen. Was war dieser Sieg am Hof gegen die Feindseligkeiten, die in der Stadt seit langem schwelten und die jetzt so reichlich neue Nahrung erhielten? Wann endlich würde man jene Doppelgängerin aufspüren, wann Madame de La Motte verhaften, um in all die dunklen Vorkommnisse der letzten Wochen Licht zu bringen? Konnte nicht auch der Kardinal, so wie sie selbst, durch jene beiden Frauen schändlich hinters Licht geführt worden sein?

Fürs nächste galt es, Andree aufzusuchen und sie bei ihrer einstigen Freundschaft anzuflehen, daß sie der Ehre der Königin sich zum Opfer brächte.