Jetzt ließ die unselige Königin die Berichte veröffentlichen, die dem König über ihre nächtlichen Ausflüge derzeit erstattet worden waren, und forderte Herrn de Crosne formell auf, das Seine dazu zu sagen.
Gerade als Jeanne am lautesten verkündete, niemals hätten derartige Ausflüge mit ihrem Willen und Wissen stattgefunden, alle Berichte, die solches besagten, seien erlogene Machwerke, nie sei sie zu nächtlicher Stunde im Park von Versailles gewesen, da wurde Oliva in den Prozeß eingeführt, und dieses lebendige Zeugnis machte das gesamte Lügengebäude der Gräfin zuschanden.
Wie war es möglich, daß diese Frau unter den Trümmern nicht begraben wurde? Wie konnte sie sich von diesem Schlag erheben, schrecklicher und böser als je? Wir können dieses Phänomen nur auf ihre erstaunliche Lebenskraft und auf die Feindschaft zurückführen, mit der man allenthalben der Königin begegnete.
Als Oliva in ihrer naiven Angst alle Einzelheiten bekannte und selbst die nötigen Beweise lieferte, nahm Jeanne Zuflucht zu einem verzweifelten Mitteclass="underline" sie gestand.
Sie gestand, denn sie wußte, daß sie eine ganze riesige Partei hinter sich hatte, wenn sie endlich das Leugnen aufgab. Sie gestand, weil sie, indem sie die Königin belastete, alle Feinde der Königin zu Verbündeten gewann.
So wurden in diesem Prozeß zum x-tenmal die Rollen gewechselt. Jetzt erschien der Kardinal als ein Narr, den man an der Nase herumgeführt hatte, Oliva als Hure ohne Poesie und Witz, Jeanne als Intrigantin. Eine bessere Rolle ließ sich bei der Lage der Dinge für sie nicht mehr finden.
Die gemeinste Rolle aber wurde der Königin zugedacht. Jeanne erklärte nunmehr, diese Promenaden hätten ja mit Wissen der Königin stattgefunden. Hinter Sträuchern versteckt, habe sie den lächerlichen Szenen zugesehen und sich halbtot gelacht, wenn sie die verliebten Reden des Kardinals an eine Dirne mit anhörte.
Die Königin gab sich geschlagen. Sie konnte die Falschheit dieser Anschuldigungen nicht beweisen, und Oliva wußte auf Befragung auch nicht anzugeben, ob hinter den Büschen jemand versteckt gewesen sei.
Durch mindestens zwanzig glaubwürdige Zeugen war Jeanne de La Motte des Diebstahls überführt, aber sie konnte sich nicht entschließen, sich als gemeine Diebin verurteilen zu lassen. Sie wollte ihre Schande durch die Schande der Königin decken. Über dem unerhörten Aufsehen, das die Verfehlungen der Königin machte, würde sie vergessen werden. Darauf gründete sie ihre Zuversicht. Immer wenn sie in die Enge getrieben wurde, drohte sie damit, die leidenschaftlichen Briefe des Kardinals an die Königin hervorzuholen, die beide hohen Persönlichkeiten kompromittieren mußten. Dazu kam es nicht, aber schon die Drohungen begriff man begierig als Beweise gegen Marie-Antoinette. Und so verfiel Jeanne auf ihre letzte List, nämlich mit geheimnisvoller
Miene durchblicken zu lassen, daß sie bis jetzt die Königin noch geschont habe, daß sie aber alles enthüllen werde, wenn man sie zum Äußersten treibe.
Das Schemelchen
Jeanne de La Motte hatte sich in ihren Berechnungen geirrt. Sosehr sie in der Öffentlichkeit gegen die verhaßte Königin Stimmung machte, so hart sprachen im Gerichtssaal die Beweise gegen sie. Und sie mußte bald sehen, daß sie über ihre Richter nichts mehr vermochte. Alle ihre Andeutungen, Unterstellungen und Drohungen fruchteten nicht mehr. Ihr Verbrechen lag allzu klar am Tage.
Der Kardinal, der sich stets nur zu der Halsbandaffäre geäußert, aber zu allem, was seine Liebe zur Königin betraf, beharrlich geschwiegen hatte, war durch das Auftauchen Olivas in die peinlichste Lage gebracht worden. Tief beschämt, hatte er nur immer wieder beteuert, seine Liebe habe der wahren Königin gegolten, andere Aussagen waren ihm bis zuletzt nicht abzuringen. Sein vornehmes Schweigen, das den vielen widersprüchlichen Behauptungen Jeannes lange Zeit freies Spiel ermöglicht hatte, bewirkte in der breiten Öffentlichkeit, daß sein Heldenruhm als Verfolgter des Hofes trotz der lächerlichen Rolle, die er in jenen Parkabenteuern einnahm, nicht entscheidend beeinträchtigt wurde. Hinter den Kulissen des Prozesses jedoch fragte man sich, ob der Kardinal nicht zu Recht verhaftet und von Seiten der Königin der Unverschämtheit bezichtigt worden war. Hatte Herr de Rohan im Namen der Königin gehandelt? War er der Geheimbeauftragte gewesen, der Marie-Antoinette preisgab, als ihre Machenschaften ans Licht kamen? In jedem Fall konnte also auch der Kardinal nicht völlig schuldlos aus diesem Prozeß hervorgehen.
Unfehlbar stand nur Cagliostro da. Kaum war er in die Bastille gesperrt worden, nutzte er die willkommene Gelegenheit, auf den Untergang der Monarchie hinzuwirken, die er seit Jahren in geheimer Arbeit unterminiert hatte. Sicher, daß man ihn keines Verbrechens überführen könnte, bereitete er das Material vor zu dem berühmten, aus London datierten Brief, der einen Monat später erscheinen sollte und der in der Tat der erste Stoß des Sturmbocks war, der bald darauf die alten Mauern der Bastille zertrümmern und die Revolution eröffnen sollte.
»Ja, heute sage ich in voller Freiheit«, hieß es in diesem Brief, »was ich zuvor als Gefangener gesagt habe, nämlich daß es kein Verbrechen gibt, das durch einen sechsmonatigen Aufenthalt in der Bastille nicht abgebüßt wäre. Fragt mich jemand, ob ich jemals nach Frankreich zurückkehren werde, so antworte ich offen: gewiß, sobald die Bastille eine öffentliche Promenade geworden ist. Gott gebe es! Habt ihr doch alles, Franzosen, um glücklich zu sein: fruchtbaren Boden, ein mildes Klima, ein heißes Herz, bezaubernde Heiterkeit, Anmut und Genie; seid ihr doch unvergleichlich in der Kunst, jedermann zu gefallen, unerreicht in allen anderen Künsten, und fehlt euch, Freunde, doch nur ein einziges, um vollends glücklich zu werden: die Sicherheit, daß ihr die Nacht im eigenen Bette schlaft, wenn ihr schuldlos seid.«
So kam denn nach langen Debatten und vielen Konfrontationen endlich der Tag, da das Gericht seinen Spruch fällen sollte.
Die Angeklagten waren, mit Ausnahme des Herrn de Rohan, in die Conciergerie überführt worden, um dem Sitzungssaal näher zu sein, der bereits um sieben Uhr morgens geöffnet wurde.
Nach den Plädoyers, die nichts wesentlich Neues ergaben, ergriff der Generalprokurator das Wort. Er sprach als Wortführer des Hofes im Namen der mißdeuteten und beleidigten königlichen Würde und plädierte für die Unverletzlichkeit der Majestät.
Er schlug alle Behauptungen nieder, daß die Königin in dieser Halsbandaffäre auch nur den mindesten Fehler begangen habe. Die Hauptschuld fiel nach seiner Darstellung auf den Kardinal.
Er beantragte die Verurteilung des Reteaux de Villette zu den Galeeren, die Verurteilung der Jeanne de La Motte zu Brandmarkung, Auspeitschung und lebenslänglichem Kerker, die Ortsverweisung Olivas und Freispruch für Cagliostro. Dem Kardinal solle aufgegeben werden, seine beleidigende Vermessenheit gegen die Königliche Majestät einzubekennen, und darauf solle er vom Hof verbannt und aller seiner Ämter und Würden verlustig erklärt werden.
Dieser Antrag ging so weit, daß der Gerichtshof ihm nicht einmütig zustimmen wollte. Der Wille des Königs sprach sich darin so machtvoll aus, daß er zu dieser Zeit nicht mehr unwidersprochen blieb. Hätte der gleiche Prozeß ein Vierteljahrhundert früher stattgefunden, wären die Richter unzweifelhaft über die Forderungen des Generalprokurators noch hinausgegangen, um ihren Eifer und Respekt für das damals noch unantastbare Prinzip des Throns zu bekunden. Jetzt aber war nur eine Minderheit der Räte für die Anschauungen des Generalprokurators zu gewinnen.
Man schritt zum letzten Verhör, einer fast zwecklosen Formalität, wenn man bedenkt, daß von den Angeklagten nicht zu hoffen stand, daß sie nach so langem, erbittertem Kampf ihre Taktik im letzten Augenblick ändern würden.