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»Niemals!«

»Wenn die Verurteilte sich weigert niederzuknien, wird Gewalt angewendet.«

»Gewalt gegen eine Frau?«

»Niemand zwingt eine Frau, Verbrechen zu begehen.«

Und da Jeanne sich beharrlich weigerte, verlas der Gerichtsschreiber den Artikel seiner Instruktionen, worin Zwang gegen die Widerspenstige befohlen wurde, damit der Gerechtigkeit Genüge geschehe.

Jeanne wich bis in eine Ecke des dunklen Kerkers zurück, aber die beiden Begleiter des Schreibers näherten sich ihr mit schwerer Ruhe wie zwei Kriegsmaschinen. Sie packten die vor Entsetzen Schreiende mit geübten Griffen, schleiften sie in die Mitte des Raumes und drückten sie in die Knie. Jetzt verlas der Gerichtsmann das Urteil, doch schrie Jeanne so laut, daß seine Worte unverstanden verhallten.

Nach beendigter Lesung faltete er seine Papiere zusammen und steckte sie ein. Jeanne schwieg betroffen.

»Das Urteil«, fuhr der Schreiber fort, »wird unverzüglich auf dem Exekutionsplatz des Justizpalastes vollstreckt. Meister, ich überantworte Ihnen diese Frau«, wandte er sich an den Mann mit der Schürze.

»Wer ist der Mann?« flüsterte Jeanne in unmäßigem Schrecken.

»Der Henker«, antwortete der Gerichtsschreiber und zog seine Manschetten zurecht.

Kaum hatte er ausgesprochen, als die beiden Männer sich Jeannes bemächtigten und sie, trotz ihres Schreiens und Sträubens, die Stufen hinauf und durch den Gang schleppten, bis sie zu einem kleinen Hof gelangten, wo Soldaten die Menge der herbeigeströmten Zuschauer zurückdrängten. Es mochten zwei- bis dreitausend Neugierige sein.

Auf einer etwa acht Fuß hohen Estrade war ein schwarzes Gerüst aufgerichtet worden, mit eisernen Ringen versehen. An einem Pfahl war ein Schriftblatt - offenbar auf höheren Befehl -so hoch angebracht, daß es unlesbar blieb.

Als die Tür des Gerichtshauses aufgestoßen wurde, geriet die Menge in Bewegung. Von allen Seiten wurden Rufe laut. Die einen bedachten die Verurteilte, die anderen die Richter mit bösen Beschimpfungen.

Aber Herr de Crosne hatte vorgesorgt. Um Sympathiekundgebungen nicht für die Diebin und Fälscherin, wohl aber für die Streiterin gegen Marie-Antoinette in den Hintergrund zu verbannen, hatte man die vorderen Reihen sämtlich mit zuverlässigen Leuten besetzt. Neben Polizeiagenten mit gewaltiger Statur sah man die eifrigsten Parteigängerinnen des Kardinals Rohan, die »Nieder mit der La Motte!« schrien.

Jeanne, der die Wut neue Kräfte verlieh, erhob ihre metallische Stimme.

»Wißt ihr überhaupt, wer ich bin?« übertönte sie die Rufe. »Wißt ihr, daß ich vom Blut eurer Könige stamme? Wißt ihr, daß man in mir nicht eine Schuldige trifft, sondern eine Rivalin, und nicht nur eine Rivalin, sondern eine Mitschuldige?«

Die Menge schwieg, ihre Neugier war geweckt.

»Jawohl«, schrie Jeanne, »eine Mitschuldige! Eine, die die Geheimnisse der ...«

Hier wurde sie von den Rufern der ersten Reihen niedergebrüllt, und der Gerichtsschreiber ermahnte Jeanne, nicht so fortzufahren.

Sie wandte sich um und sah den Henker, der eine Peitsche in der Hand hielt.

Jeanne vergaß ihre Rede, ihren Haß, ihr Verlangen, die Menge aufzuputschen. Sie sah nur mehr die Schande und fürchtete den Schmerz, die ihr drohten.

»Gnade! Gnade!« schrie sie mit zerreißendem Stimme und klammerte sich an die Knie des Exekutors.

Der aber hob den Arm und ließ die Peitsche mild auf ihre Schultern fallen.

Da sie spürte, daß man sie schonen wollte, schnellte sie empor wie ein wildes Tier und suchte den peitschenden Arm zu umklammern. Da aber riß der Henker ihr Kleid an der rechten Schulter auf und ergriff das rotglühende Eisen, das sein Gehilfe ihm reichte.

»Feige Franzosen«, schrie Jeanne mit gellender Stimme, »warum verteidigt ihr mich nicht! Meine ganze Schuld ist, daß ich zuviel über die Königin weiß!«

Weiter kam sie nicht. Polizisten erklommen das Gerüst und knebelten die Rasende. Von allen Seiten niedergezwungen, wurde sie wehrlos der Vollstreckung ausgesetzt. Dennoch, mit übermenschlichem Widerstandswillen bäumte sie sich ein letztes Mal auf, und das glühende Eisen, das sich auf ihre Schulter niedersenkte, traf ihre rechte Brust. Das Instrument grub seinen rauchenden, stinkenden Abdruck in das lebendige Fleisch und entriß dem Opfer trotz des Knebels ein Brüllen, wie es mit keinem Wort sich beschreiben läßt.

Jeanne brach zusammen. Ihren Lippen entrang sich kein Laut mehr, ihre Glieder zuckten nicht einmal mehr. Sie wurde wie leblos hinausgetragen.

Die Menge, ob sie diesen Strafvollzug billigte oder darüber entsetzt war, ob sie diese Frau verachtet oder für ihren Widerstand bewundert hatte, war verstummt und räumte hastig den Platz.

Die Hochzeit

An demselben Tag zur Mittagsstunde sah man in Versailles der Hochzeitsmesse für Olivier de Charny und Andree de Taverney entgegen.

Durch das Spalier der Höflinge, die in den Galerien warteten, schritt der König, lächelte den einen zu und maß die anderen mit einem strengen Blick, je nach der Partei, die sie in dem nun endlich beschlossenen Prozeß gewählt hatten.

So gelangte er in den viereckigen Salon, wo die Königin, festlich geschmückt und bleich unter ihrer Schminke, im Kreis ihrer Damen und Herren saß. Das Gespräch tröpfelte, wie es geschieht, wenn die Aufmerksamkeit aller Beteiligten nur geheuchelt ist.

Als der König hereintrat, eilte man, Herrn de Charny zu holen. Die Königin wandte der Tür den Rücken und preßte die Hand auf ihr Herz. Die Braut war noch nicht eingetroffen.

»Eure Majestät möge die Verzögerung entschuldigen«, sagte Charny zum König, »Mademoiselle de Taverney hat seit dem Tod ihres Vaters das Bett gehütet. Sie befindet sich noch immer nicht sehr wohl. Doch wäre sie bereits hier, wenn nicht eine Ohnmacht sie neuerlich befallen hätte.«

»Nun, ich denke«, sagte Ludwig, »daß ein guter Gatte sie über den Verlust des Vaters trösten wird. Herr de Breteuil«, wandte er sich an den Siegelbewahrer, »haben Sie den Verbannungsbefehl gegen Cagliostro ausgefertigt?«

»Ja, Sire.«

Es war so still im Raum, daß man den Atem eines Vogels gehört hätte.

»Und diese La Motte«, fuhr Ludwig fort, »die sich brüstete, eine Valois zu sein, ist heute ihrer Strafe unterzogen worden, nicht wahr?«

»Zur Stunde muß der Befehl bereits vollstreckt sein«, antwortete der Siegelbewahrer.

»Es wird den Herrn Kardinal empfindlich treffen, daß seine Komplizin gebrandmarkt worden ist«, sagte der König streng und blickte Beifall heischend um sich.

Kein Laut der Zustimmung erhob sich. Der König stand mit dieser Schmähung des Mannes, den das Pariser Gericht soeben freigelassen hatte, allein.

Nun erschien an der Hand ihres Bruders, in feierlicher Starre einherschreitend, als ginge sie in den Tod, Andree, weiß gewandet wie eine Braut, weiß von Angesicht wie ein Geist.

Alle Damen nahmen Aufstellung hinter der Königin, alle Herren hinter dem König. Der Gouverneur de Suffren reichte seinem Neffen die Hand und führte ihn der Braut entgegen. Dann mischte er sich unter die Gruppe der nahen Freunde und Verwandten.

Philippe, die Schwester zur Seite, ging aufrecht seinen Weg bis vor den König, ohne daß sein Blick sich Olivier zugewendet hätte, ohne daß er Andree durch einen Händedruck aus ihrer Betäubung geweckt und ihr bedeutet hätte, daß ihr Bräutigam gekommen war.

Vor dem König angelangt, öffnete Andree weit ihre Augen und sah, daß Ludwig ihr gutmütig zulächelte.

»Mademoiselle«, sagte er und nahm ihre Hand, »Sie haben auf meine Bitte hin eingewilligt, Ihre Heirat zu vollziehen, noch ehe Ihre Trauerzeit abgelaufen ist. Ich danke Ihnen. Mehr wird Ihr künftiger Gatte es Ihnen danken. Das Glück uns so treu ergebener Edelleute, wie Sie, Mademoiselle, und Herr de Charny es sind, liegt mir am Herzen. Ich hätte es bedauert, Ihrer Hochzeit fernbleiben zu müssen, denn wie Sie wissen, trete ich morgen mit der Königin eine Reise durch das Land an. So aber haben Sie mir die Freude gewährt, Ihren Heiratsvertrag zu unterzeichnen und der Zeremonie in meiner Kapelle beizuwohnen. Begrüßen Sie die Königin, Mademoiselle, und danken Sie ihr, denn Ihre Majestät hat es stets gut mit Ihnen gemeint.«