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»Dank für die Belehrung, Schwager, und Dank für Ihr Bündnis.« Und lachend verabschiedete die Königin d'Artois, um den Schlitten zu besteigen, den Philippe unterdessen zur Ausfahrt vorbereitet hatte.

Der junge Mann hatte seine Schlittschuhe angeschnallt, Andree neben der Königin Platz genommen, und nun begann eine Fahrt über das Eis, die Philippe, vor Stolz und Freude trunken, allmählich zu verwegener Schnelligkeit steigerte. An diesem schönen Apriltag ohnehin übermütig gestimmt, durch die Anwesenheit der Geschwister Taverney an die fröhlichen ersten Jahre in ihrem Trianon erinnert, gab sich die Königin der Wollust hin, in so kühnen Schwüngen und Kurven, von fester Hand geführt, über das Eis zu fliegen.

Vom Rande des Sees verfolgte ein kleiner Greis, einer Figur E. T. A. Hoffmanns nicht unähnlich, mit unergründlichem Blick den tollen Lauf.

Der Versucher

»Oh, Herr von Taverney«, rief mit einemmal die Königin, »halten Sie an, Erbarmen, Sie bringen mich um.«

Philippe gehorchte.

»Ruhen Sie sich aus«, setzte sie hinzu, und schwankend entstieg sie dem Schlitten. »Ich hätte nie gedacht, in welch rauschhaften Zustand die Schnelligkeit versetzen kann.«

Und hocherhitzt, ihrer Schritte nicht sicher, stützte sie sich auf Philippes Arm.

Ein hörbarer Schauder lief durch die goldbetreßte Menge und erinnerte die österreichische Kaiserstochter, daß sie wieder einmal einen Verstoß gegen die Etikette begangen hatte - einen ungeheuerlichen Verstoß in den Augen der Neider. Philippe aber, auf dieses Übermaß an Auszeichnung nicht gefaßt, zitterte und fühlte sich so betroffen, als hätte die Majestät ihn öffentlich gekränkt.

»Einen Sitz!« befahl die Königin beinahe schroff und zog ihren Arm zurück. »Mein Gott, ist es widerwärtig, ständig von Gaffern und Dummköpfen umgeben zu sein«, setzte sie leise hinzu.

Man brachte ihr einen Klappsitz. Damen und Herren eilten herbei und verschlangen Philippe mit den Augen, der, um sein Erröten zu verbergen, die Schlittschuhe ablegte.

»Oh, ich merke, so erkälte ich mich«, sagte die Königin, und sie begab sich erneut zu ihrem Schlitten.

Philippe erwartete ihren Befehl, doch umsonst. Wenigstens zwanzig Herren erboten ihren Dienst. Aber die Königin lehnte dankend ab.

»Nein, meine Heiducken«, sagte sie, und als die Bedienten an ihrem Platz standen: »Langsam jetzt, ganz langsam.«

Der Schlitten entfernte sich. Philippe trocknete den Schweiß auf seiner Stirn. Ein wenig betrübt, ein wenig überdrüssig und nahezu erschrocken über das Geschehene folgte er dem Gefährt mit den Augen, als er fühlte, wie ein Ellbogen ihn streifte.

Es war sein Vater, jener kleine hoffmanneske Greis. Seine Hände staken in einem Muff. Seine Augen funkelten.

»Was tust du, Narr?« sagte er. »Rasch, rasch der Königin nach.«

»Oh, nein, Vater, nein!«

»Wieso nein? Bist du toll, deine Chance zu verpassen? Siehst du nicht, wie die Königin sich nach dir umsieht?«

»Vater, Sie machen sich über mich lustig.«

Der Alte packte seinen Sohn so hart am Arm, daß der Sohn vor Schmerz die Stirn in Falten zog.

»Hören Sie, Herr Philippe«, sagte der Alte, »Sie kommen aus Amerika, einem Land, wenn ich mich recht erinnere, wo es weder König noch Königin gibt.«

»Ich verstehe Sie nicht, Vater.«

»Und ich verstehe, daß Sie, mein Sohn, ein Dummkopf sind. Die Königin hat sich jetzt zum drittenmal umgedreht. Und wen suchen wohl ihre Augen, Herr Amerikaner?«

»Sie sehen erstaunlich gut, mein Vater«, erwiderte Philippe trocken.

»Höre, Junge«, fuhr der Greis geduldiger fort, »deine Unschuld macht dir wirklich Ehre. Da kommst du aus deiner Wildnis, siehst eine Königin vor dir und sagst dir: Man muß sie respektieren.«

»Und Sie, ein Taverney-Maison-Rouge, machen mir Vorwürfe, daß ich das Königtum hochhalte?« »Wer redet vom Königtum? Das ist die Krone, daran rührt man nicht, klar. Aber was ist eine Königin? Ein Weib. Da greift man zu.«

»Greift zu ...?« wiederholte Philippe errötend und verächtlich.

»Das glaubst du nicht? - Frag doch die Herren de Coigny, de Lauzun, de Vaudreuil ...«

»Schweigen Sie, Vater!« rief Philippe erbittert. »Da ich Sie für diese Lästerungen nicht zum Duell fordern kann .«

Der alte Taverney wich zurück und drehte sich, zornig seinen Muff schüttelnd, um die eigene Achse.

»Gut Nacht!« sagte er. »Gut Nacht, Herr Esel! Du hast mich sehr erfreut!«

Philippe stand wie betäubt, als der Vater in seinem zu großen Pelzgewand wütend davonstapfte. Das Herz schlug ihm gewaltig gegen die Brust, sein Verstand wirbelte. Er merkte nicht, wie lange er so am selben Platz verharrte.

Da kam inmitten ihres Gefolges wieder die Königin vorüber.

»Kommen Sie doch, Herr de Taverney«, rief sie, »kein anderer als Sie versteht es, eine Königin königlich auszufahren.«

Benommen, wie nach schwerem Traum, lief er auf sie zu.

Suffren

Wider alle höfischen Gewohnheiten war das Geheimnis des Königs und des Grafen d'Artois gewahrt worden. Niemand wußte, wann und wie Herr de Suffren eintreffen würde. Der König hatte einen Spielabend angesetzt. Um sieben Uhr betrat er mit den Prinzen und Prinzessinnen seiner Familie die Salons. Die Königin führte die Kronprinzessin an der Hand, die gerade sieben Jahre zählte. Die Gesellschaft war glanzvoll und zahlreich.

Während man allgemein die Plätze einnahm, trat d'Artois zu Marie-Antoinette.

»Fällt Ihnen nichts auf?« fragte er mit ironischem Lächeln.

Die Königin blickte sich um.

»Wahrhaftig!« sagte sie. »Will er denn immer vor mir fliehen?«

D'Artois lachte.

»Nein, der Spaß geht weiter. Herr de Provence ist dem Gouverneur de Suffren zum Tor entgegengeeilt.«

»Aber dann begreife ich nicht, weshalb Sie lachen. So wird er doch als erster den großen Admiral begrüßen?«

»Aber Schwägerin«, erwiderte der Prinz lachend, »Sie haben keine große Meinung von unserer Diplomatie. Monsieur, unser Herr Bruder, erwartet den Gouverneur an der Barriere von Fon-tainebleau. Wir indes haben es eingerichtet, daß er auf der letzten Poststation in Villejuif abgepaßt wird. Monsieur de Provence kann sich in Fontainebleau die Beine klamm stehen, Herr de Suffren wird auf Befehl des Königs Paris umfahren und direkt in Versailles eintreffen. Aber gehen Sie jetzt zum Spiel.«

Die Königin, als sie das Spiel aufnahm, täuschte vor, vollständig bei der Sache zu sein, um die nervöse Spannung abzulenken, die in der Gesellschaft zu spüren war, obwohl außer den Eingeweihten niemand eine Ahnung hatte, weshalb.

Philippe, der zu der Partie zugelassen und seiner Schwester gegenüber plaziert worden war, erwog wider Willen die Worte seines Vaters. Er fragte sich, ob der Alte, der immerhin die Herrschaft von drei oder vier Favoritinnen erlebt hatte, Zeiten und Sitten nicht am Ende richtiger beurteilte als er. Sollte die Königin, diese schöne, stolze Frau, die ihm so schwesterlich begegnete, im Grunde doch nur eine grausame Kokette sein, begierig, ihre Erinnerungen um eine weitere Leidenschaft zu bereichern wie ein Entomologe, der einen Käfer mehr mit der Nadel in seinen Sammelkasten heftet, ohne zu bedenken, welchen Schmerz er dem gequälten Geschöpf bereitet?

Coigny, Lauzun, Vaudreuil - sie hätten die Königin geliebt und wären von ihr geliebt worden? Wie aber konnten sie dann so sorglos, wie er sie sah, in dieser Gesellschaft sich bewegen? Wenn die Königin ihn, Philippe, lieben würde, sein Glück würde ihn an den Rand des Wahnsinns treiben. Und liebte sie ihn nicht mehr, er brächte sich um vor Verzweiflung!

Prüfend blieb sein Blick an Marie-Antoinettes Stirn und Augen haften. Welches Geheimnis, oh, welches Geheimnis barg dieses Antlitz?