Unterdessen war aus den Vorsälen Bewegung vernehmlich, im Hof schlugen Gewehrkolben auf die Steinplatten, Stimmen drangen durch eine halboffene Tür herein. Der König gab der Königin einen Wink, das Spiel zu beenden. Die Höflinge wechselten fragende Blicke. Kurz, binnen wenigem trat Marschall de Castries, der Marineminister, ein und fragte mit lauter Stimme: »Wün-schen Eure Majestät, den Herrn Gouverneur de Suffren zu empfangen, der soeben aus Toulon eintrifft?«
Jetzt brach ein unbeschreibliches Gedränge an, die Menge strebte der Tür zu, durch die der Minister hinausgegangen war.
Um Frankreichs Sympathie für Herrn de Suffren zu erklären, um begreiflich zu machen, weshalb König, Königin und Prinzen wetteiferten, den Mann als erste zu begrüßen, genügen wenige Worte.
Suffren hatte in der letzten Periode des Krieges gegen England sieben Seeschlachten siegreich geführt. Er hatte Trinquemale und Gondelour erobert, den französischen Besitz gesichert, die englische Blockade gebrochen und den Nabob Hayder-Ali gelehrt, daß Frankreich die Vormacht Europas war. Er hatte sich nicht allein als Seemann bewährt, sondern auch als kluger Diplomat und Unterhändler. Kühn, unermüdlich und stolz, wo es um die Ehre der französischen Fahne ging, hatte er die Engländer zu Lande und zu Wasser so gehetzt, daß die verwegenen Beherrscher des Ozeans schließlich nicht mehr anzugreifen wagten, wo der französische Löwe die Zähne bleckte.
Suffren war ein Mann von sechsundfünfzig Jahren, klein, beleibt, mit feurigen Augen und lebhaftem Gebaren. Sein blauer Rock war goldbestickt. Der hohe Uniformkragen, der sein energisches Kinn umrundete, wirkte als obligate Ergänzung seines gewaltigen Schädels.
»Herr Gouverneur«, rief strahlend der König, »seien Sie willkommen in Versailles! Sie bringen uns den Ruhm, Sie bringen uns alles, was ein Held seinen Zeitgenossen auf Erden schenken kann. Ihnen gehört die Zukunft. Umarmen Sie mich, Herr Gouverneur.«
Auch die Königin begrüßte Herrn de Suffren überaus huldreich, und die gesamte Hofgesellschaft bekundete Freude und Begeisterung. Als der König indes den Gouverneur in sein Kabinett ziehen wollte, um als Geograph über seine Reisen und seine Expedition mit ihm zu plaudern, verhielt Herr de Suffren mit allem Respekt.
»Sire«, sagte er, »wollen Sie mir erlauben, da Eure Majestät mir so viel Güte erweisen .«
»Sprechen Sie, Herr Gouverneur!« rief der König.
»Sire, einer meiner Offiziere hat einen so schweren Verstoß gegen die Disziplin begangen, daß ich meine, Eure Majestät allein könnten in der Sache Richter sein.«
»Ich hatte gehofft«, entgegnete der König, »Ihre erste Bitte beträfe eine Gunst und nicht eine Strafe ...«
»Der Offizier, von dem ich spreche, Sire, befand sich während der letzten Seeschlacht an Bord der >Severe<.«
»Ah, das Schiff, das die Flagge gestrichen hat«, ergänzte stirnrunzelnd der König.
»So ist, es, Sire, der Kapitän der >Severe< hatte die Flagge gestrichen. Schon sandte der englische Admiral ein Boot aus, die Prise zu besetzen. Der junge Leutnant aber, der die Batterie auf dem Zwischendeck kommandierte, eilte an Deck und überschaute augenblicks die Situation. Sein französisches Blut empörte sich. Er schlug die Flagge mit einem Hammer an den Mast und ließ das Feuer wieder aufnehmen. Nur so ist Eurer Majestät die >Severe< erhalten geblieben. Dennoch ist dies ein schweres Vergehen gegen die Disziplin gewesen. Aber ich bitte Sie, Sire, diesen Offizier zu begnadigen, und ich bitte Sie um so mehr, als er mein Neffe ist.«
»Bewilligt, Herr Gouverneur, bewilligt!« rief überschwenglich der König. »Aber Sie sollten mir diesen Offizier, Ihren Neffen, unbedingt vorstellen.«
»Er ist hier«, erwiderte de Suffren, »treten Sie vor, Herr de Charny.«
Aus der Gruppe, die den Gouverneur begleitet hatte, löste sich ein junger Offizier. Die Königin, als sie ihn betrachtete, erblaßte leicht, und Andree, selbst in Erregung geraten, warf einen scheuen Blick nach ihr. Aber Georges de Charny trat zum König vor, ohne ringsum jemanden wahrzunehmen; bewegt verneigte er sich vor dem Herrscher, der ihm die Hand zum Kuß reichte. Dann kehrte Charny bescheiden und ein wenig zitternd zurück in den Kreis der Offiziere, die ihn lautstark beglückwünschten und froh umarmten.
»Apropos, Madame«, wandte sich der König an Marie-Antoinette, ehe er den Gouverneur in sein Kabinett mitzog, »Sie entsinnen sich gewiß, daß ich ein Linienschiff in Auftrag gab, das einen gewissen Namen tragen sollte .«
»Gewiß, Sire«, antwortete sie freudig, »und wir wollen es >Suffren< taufen.«
Vielstimmige Hochs beantworteten ihren Vorschlag.
Herr de Charny
Wer liebt, hat ein feines Gespür für die Regungen, die in dem geliebten anderen sich vollziehen. Philippe hatte den Blickwechsel zwischen der Königin und seiner Schwester nach dem Auftritt des jungen Offiziers bemerkt; ihm war nicht entgangen, wie die Königin immer aufs neue nach Herrn de Charny hinsah und dann und wann im Gespräch sinnend verharrte, ungeachtet der Prinzen und Prinzessinnen, die nach Verschwinden des Königs und des Gouverneurs um Ihre Majestät sich geschart hatten. Er beobachtete, wie sie hinter ihrem Fächer Zuflucht suchte, sie, die sonst alle Welt zwang, den Blick vor ihr zu senken. Er fragte sich nach der Ursache solchen Verhaltens. Er ahnte ein Geheimnis, auf das er eifersüchtig war.
Jetzt betrat ein Mann in majestätischer Kardinalsrobe, von Prälaten und Offizieren gefolgt, den Salon. Die Königin erkannte Louis de Rohan und wandte den Kopf ab, ohne ihre Verstimmung zu verhehlen. Der Kardinal verneigte sich vor ihr mehr als Weltmann vor einer Dame denn als Untertan vor einer Königin. Nach einem galanten Kompliment, das Marie-Antoinette kalt entgegennahm, schritt der Kardinal weiter, als berührte es ihn nicht, von der Königin so eisig empfangen worden zu sein. Gemäß dem höfischen Waagespiel nahmen die Tanten des Königs ihn desto herzlicher auf.
Der Kardinal Rohan war ein Mann in der Vollkraft der Jahre. Seine eindrucksvolle Erscheinung bezeugte, daß er ein geistvoller Genießer des Lebens war. Die Damen schätzten seine Diskretion; seine Freigebigkeit war sprichwörtlich. Der König liebte ihn, weil er gelehrt war; die Königin haßte ihn.
Die Gründe für diesen Haß sind nie recht aufgeklärt worden. Zum einen hieß es, Marie-Antoinette habe dem Fürsten de Rohan, als er Botschafter Ludwigs XV. in Wien war, seine ironischen Berichte über die österreichische Kaiserin nie verziehen. Nach einer zweiten Version - sie klingt wahrscheinlicher - hatte der Botschafter, als die Heirat des Dauphins und der österreichischen Kaisertochter in Aussicht genommen worden, dem König in einem Brief, den Ludwig XV. laut an der Tafel der Madame Dubarry vorgelesen, Einzelheiten über die junge Dame gemeldet, die angetan waren, die Eitelkeit der damals noch sehr mageren Marie-Antoinette zu verletzen. Schließlich soll auch eine politische Intrige im Spiel gewesen sein. Das Botschafteramt war einem Herrn de Breteuil zugunsten des Fürsten de Rohan entzogen worden. Zu schwach, um gegen den hohen Adeligen offen in den Kampf zu treten, hatte Breteuil Abschriften, ja sogar Originale von Rohans Berichten aus Wien sich verschafft, in denen es nicht an kleinen Bosheiten über die österreichische Dynastie mangelte, und damit in der Dauphine eine Bundesgenossin sich gewonnen, die eines Tages zum Werkzeug seiner Rache werden konnte.
So war die Stellung des Kardinals bei Hofe schwierig, doch schien Louis de Rohan seiner Feindin nicht feindlich gesinnt, denn er nützte jede Gelegenheit, sich der Königin zu nähern, was nicht schwerfiel, da er der Großalmosenier des Hofes war.
Kaum hatte der Kardinal sich entfernt, als Marie-Antoinette sich wieder aufheiterte und der Prinzessin de Lamballe vorschlug, man solle das Bravourstück des soeben begnadigten jungen Mannes sich doch von diesem selbst berichten lassen.
Herr de Charny wurde zur Königin bestellt. Während der junge Offizier männlich und bescheiden bat, ihm solchen Bericht zu erlassen, da jeder andere seiner Kameraden in dem Augenblick das gleiche getan haben würde, konnte Marie-Antoinette ihn aufmerksamer betrachten als zuvor.