Er mochte ungefähr achtundzwanzig Jahre zählen, war von schlankem Wuchs und hatte kraftvolle breite Schultern. Sein fein geschnittenes Gesicht ließ Energie erraten, sooft sein blaues Auge zu einem tiefen Blick sich weitete.
Mit keiner Miene hatte er bislang verraten, daß er Mademoisel-le de Taverney oder die Königin wiedererkannt hätte. Marie-Antoinette indes erzählte dem Kreis, der sich um sie gebildet hatte, die Geschichte, wie dieser junge Herr gestern zwei Damen, die in Paris sich verspätet hatten und die sie sehr wohl kenne, auf das ritterlichste aus Gefahr befreit und nach Versailles begleitet hatte, ohne - und dies sei das Lobenswerteste an seinem Verhalten - ohne im mindesten sich zu bemühen, die Namen jener Personen in Erfahrung zu bringen.
Damit reichte sie dem Offizier ihre Hand.
Während Charny, vor Glück erblassend, sie mit seinen Lippen berührte, zog sich Philippe verzweifelt in eine Fensternische zurück.
Auch Andree war blaß geworden, doch wußte sie nicht, was ihr Bruder litt.
Die Stimme des Grafen d'Artois unterbrach diese Szene.
»Ach, de Provence«, rief er spöttelnd, »wo kommen Sie jetzt erst her, Sie, der pünktlichste Mann bei Hofe? Sie haben den glänzenden Empfang des Herrn de Suffren versäumt. Es war für uns alle ein unvergeßliches Erlebnis!«
Die hundert Louisdor der Königin
Ereignisse haben die merkwürdige Eigenschaft, sich bisweilen zu häufen.
Jeanne de La Motte-Valois hatte ihren unverhofften Schatz noch nicht genügend bewundert, als es abermals an der Tür läutete. Frau Clothilde, sparsam mit ihren Schritten, behauptete wiederum, nichts gehört zu haben. Als sie schließlich doch hinaushumpelte, hörte Jeanne die Stimme eines Mannes, dann wurde die Tür geschlossen, und die Alte brachte einen Brief herein.
Jeanne betrachtete unter der trüben Lampe prüfend das Siegeclass="underline" neun Goldrauten auf rotem Feld. Wer führte ein solches Wappen?
Behutsam, das Siegel nicht zu verletzen, öffnete sie den Umschlag.
»Madame«, las sie, »die Person, an welche Sie ein Gesuch gerichtet haben, würde morgen abend bei Ihnen vorsprechen, sofern es Ihnen beliebte, sie zu empfangen.«
Keine Unterschrift? Du liebe Zeit, dachte Jeanne, an wie viele Leute habe ich geschrieben! Wer kann der Absender sein? Ein Mann oder eine Frau? ... Die Schrift - reinliche Sekretärsbuchstaben. Der Stil - gönnerhaft und altmodisch. »Ein Gesuch gerichtet haben .« Das soll demütigend wirken, also ist es eine Frau. »... würde bei Ihnen vorsprechen«? Eine Frau hätte geschrieben: »Erwartet Sie morgen abend.« Also ist es ein Mann. Gut, aber wer führt neun Goldrauten auf rotem Feld? ... Die
Rohan, natürlich. Ich habe dem Kardinal geschrieben. Sieh an, der alternde Weiberheld, der Ehrgeizling Rohan will bei mir vorsprechen! Oh, unbesorgt, er soll die Tür offen finden.
Nach vielen Berechnungen, die Verwendung ihres kleinen Reichtums betreffend, nach einer fast schlaflosen Nacht begab sich Madame de La Motte am nächsten Morgen in einem Wagen, der eher ein fahrbarer Stuhl war, von einem kräftigen Auvergnaten gelenkt, nach der Place Royale. Unter den Arkaden der Südseite ließ sie vor dem Laden des Tapezierers und Dekorateurs Meister Fingret halten. Meister Fingret führte buchstäblich alles, was zur Ausstattung einer Wohnung gehörte: alte Möbel, neu aufgepolstert, Ahnenbildnisse, Spinette, Spitzendecken, Nippes, sowohl den Krimskrams wie die Kostbarkeiten früherer Zeiten.
Für hundert Taler Monatsmiete hatte Jeanne binnen einer Stunde eine Einrichtung beisammen, die ihr prachtvoll dünkte. Eine Stunde darauf war im dritten Stock des Hauses in der Rue Saint-Claude eine Wohnung, bestehend aus Salon, Schlafzimmer und Vorraum, gemietet. Und da Meister Fingret genug pünktliche Arbeiter zur Verfügung hatte, konnte Jeanne bald die Freude genießen, vor einem geheizten Kamin auf einem guten Teppich zwischen Spiegeln und vergoldeten Wandleuchtern zu lustwandeln.
Auf ihre Toilette verwandte sie alle Sorgfalt der Koketterie. Die Tür zum Schlafraum ließ sie absichtlich halb geöffnet, damit das Fußende des Bettes zu sehen sei, das nach Versicherung von Meister Fingret einst der Pompadour gehört hatte.
Es wurde acht Uhr, neun, zehn, elf. Um Mitternacht schleuderte Jeanne wütend das Buch in eine Ecke, in dem sie vor Ungeduld weniger gelesen hatte, als die verstrichenen Stunden erlaubt hätten.
Aber bei allem Zorn gegen ihr böses Los fand sie eine Entschuldigung für den Kardinaclass="underline" er als Hofmann hatte schließlich tausend wichtigere Verpflichtungen, als in der Rue Saint-Claude zu erscheinen. Zudem und vor allem kannte er die kleine Valois noch nicht. Nach einem ersten Besuch bei ihr hätte sie einen solchen Wortbruch nicht verziehen.
Sie lief vor ihren neuen Spiegel. Die Prüfung ihrer Erscheinung gab ihr so viel Selbstvertrauen zurück, daß sie lächelnd die Kerzen löschte.
Der Kardinal Rohan
Unverdrossen erneuerte Jeanne am nächsten Morgen die Vorbereitungen für den Empfang.
Um sieben Uhr abends läutete es. Sie hatte noch keine Zeit gehabt, ungeduldig zu werden. Ihr Herz schlug so heftig, daß man es hätte hören können.
Frau Clothilde meldete »die Person, die vorgestern geschrieben hat«.
Dann trat mit leichtem Schritt, in Samt und Seide, ein Herr herein, der in dem niedrigen Raum zehn Fuß zu messen schien.
Daß »die Person« ihr Inkognito zu wahren wünschte, behagte Jeanne nicht, und sie wußte es zu vereiteln.
»Mit wem habe ich die Ehre zu sprechen?« fragte sie in bestimmtem Ton.
Der Herr blickte sich nach der Tür um, durch die Frau Clothilde verschwunden war.
»Ich bin der Kardinal Rohan«, antwortete er dann.
Madame de La Motte erwiderte mit einer tiefen Verneigung. Darauf lud sie den Gast ein, in einem Lehnstuhl Platz zu nehmen, und setzte sich anstatt auf einen Stuhl, wie die Etikette es verlangt hätte, in einen großen Sessel.
Da der Kardinal sah, daß zwangloser Umgang erwünscht wurde, legte er seinen Hut auf den Tisch und begann, nach Jeannes Herkunft und Vergangenheit sich zu erkundigen. Er lauschte ihren Erklärungen, ohne aus seinem Eindruck ein Hehl zu machen.
Er glaubte nicht an die Echtheit dieser Abstammung. Er sah, die Frau war reizend und arm, das genügte.
Jeanne, mit feinem Gespür begabt, täuschte sich nicht über seine Gedanken. Aber sie gedachte diesen goldenen Fisch nicht mehr aus ihrem Netz zu lassen.
»Man hat mir die Schwierigkeiten Ihrer Lage sehr übertrieben geschildert, wie ich sehe«, sagte er, sich leichthin umblikkend, »Ihre Wohnung ist recht angenehm.«
»Für eine Grisette vielleicht«, versetzte Jeanne.
»Nennen Sie diese Möbel die Einrichtung einer Grisette?«
»Sie werden sie kaum als die einer Prinzessin anerkennen wollen, Monseigneur.«
»Sie sind also Prinzessin?« erwiderte de Rohan mit jener fast unmerklichen Ironie der Noblen.
»Ich bin eine geborene Valois, Monseigneur, wie Sie ein Rohan sind. Soviel weiß ich.«
Jeanne hatte so selbstbewußt gesprochen, daß der Kardinal betroffen war.
»Madame«, sagte er, »ich vergaß, daß mein erstes Wort eine Entschuldigung hätte sein müssen. Mein Versprechen, Sie am gestrigen Abend aufzusuchen, wurde durch den Empfang des Gouverneurs de Suffren zunichte.«
»Monseigneur erweisen mir überaus hohe Ehre, heute an mich zu denken. Graf de La Motte, mein Gemahl, wird es außerordentlich bedauern, daß er wegen seiner militärischen Dienstpflichten das Vergnügen Ihrer Gesellschaft entbehren muß.«
Der Kardinal wurde aufmerksam.
»Sie leben allein, Madame?«
»Ganz allein, Monseigneur.«