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«Damit könnt ihr Luigis Leben nicht zurückkaufen!«schrie Anna.»Mörder! Mörder! Eine Million für Luigi! Ich spucke darauf!Ich spucke!«

«Es wird schwer sein, aus ihr eine feine Dame zu machen«, sagte Gallezzo trübe.»Kommen Sie, Dottore. Sie müssen den Sonnenaufgang über Palermo erleben!«

Dr. Volkmar nickte. Er wandte sich ab, nahm Annas Kopf in beide Hände und küßte ihre Lippen. Sie ließ das Gewehr fallen und schlang die Arme um ihn. Jetzt endlich weinte sie. Sie sank auf die Steinbank neben dem Ofen, stülpte ein Lammfell über ihren Kopf und schluchzte in den Pelz hinein. Ernesto ging zu ihr, legte den Arm um sie und machte mit der anderen Hand Dr. Volkmar ein Zeichen.

«Geh!«sagte er.»Geh endlich! Sie wird's überleben! Du mußt weg sein, wenn sie wieder klar denken kann.«

Dr. Volkmar verließ die Steinhütte. Schnell ging er an Gallezzo vorbei, die Treppe hinunter. Zu seiner Erleichterung stellte er fest, daß man Luigis Leiche weggetragen hatte. Gallezzo sprang hinter ihm her wie ein Füllen. Man sah ihm seine Sorgen nicht an. Die einzige kritische Situation konnte sich noch auf dem Flugplatz von Cagliari ergeben. Dort gab es Polizei genug. Aber er rechnete damit, daß Dr. Volkmar sein Leben doch so hoch einschätzte, daß er kein Risiko eingehen würde.

Vier Stunden später donnerte der zweistrahlige Privat-Jet in den Nachthimmel, zog eine weite Schleife über Cagliari und stieg dann auf sechstausend Meter Höhe, um Richtung auf Sizilien zu nehmen.

Über Funk, auf einem Kurzwellenband, war Palermo schon zu hören. Der Pilot schaltete den Decklautsprecher ein. Als er knackte, grinste Gallezzo verheißungsvoll.

«Hier spricht Soriano«, sagte eine durch atmosphärische Störungen etwas verzerrte Stimme.»Mein lieber Dr. Volkmar, ich begrüße Sie als meinen Gast und wünsche Ihnen einen guten Flug. Ich freue mich und hoffe, daß Sie sich bei mir wohlfühlen werden. Wenn Sie Wünsche haben — es gibt kaum etwas, was ich Ihnen nicht erfüllen könnte. Ich freue mich auf unser gemeinsames Frühstück.«

Es knackte wieder. Ende. Gallezzo nickte breit lächelnd.

«So ist er«, sagte er in einem Ton, als spräche ein Kind vom zärtlichen Vater.»Dottore, Palermo wird Ihnen gefallen!«

Mit der Morgenmaschine von Rom landete auf dem Flugplatz Cagliari die Assistenzärztin Dr. Angela Blüthgen.

Was Volkmar nie erwartet hatte, was nach allem, wie er sie einschätzte, gar nicht zu ihr passen wollte, war geschehen: Als sie von dem Unglück auf Sardinien erfahren hatte, war Angela außer Fassung geraten und hatte sofort den nächsten Flug nach Rom und Sardinien gebucht.

Es war eine Art Kurzschlußhandlung, nüchtern betrachtet. Denn was konnte man noch tun, da doch feststand, daß Dr. Volkmar im Meer ertrunken war.

«Ich will die Stelle sehen!«hatte Angela gesagt.»Und wenn es in Australien oder sonstwo passiert wäre… ich muß dort sein! Nein, ich kann ihn nicht aus dem Meer holen — aber ich will. Ach, das versteht ihr ja doch nicht!«

Es war ein fürchterlicher Gang zu einer der Garagen der Polizei, wo man Volkmars Sachen aufbewahrt hatte. Noch schrecklicher war es, vor dem Zelt und dem Auto zu stehen und zu sagen:»Ja, das ist sein Zelt. Ja, das ist sein Auto. Ja, diesen Trainingsanzug hat er getragen. Wir haben manchmal einen Dauerlauf am Isarufer gemacht, da hat er ihn getragen. Sonntag morgen. Das beste Mittel gegen einen Brummkopf. Ja, das sind seine Trainingsschuhe.«

Sonntag morgen, dachte sie. Am Abend vorher ein Konzert- oder ein Theaterbesuch, das Essen in einem exzellenten Lokal, die Fahrt nach Harlaching, die halbe Flasche Sekt, das Bett und sein warmer, muskulöser Körper, und dann der Brand in allen Adern und Nerven, das erlösende Verströmen. Später dann, bei einer Zigarette, ihre Schutzbehauptung — immer wenn er von Liebe sprach:»Man soll biologische Vorgänge nicht überschätzen.«

O Heinz, Heinz, wenn ich all die dummen Worte rückgängig machen könnte! Diese verdammte Pose, diese idiotische Emanzipation! Was hat sie mir eingebracht? Was bin ich jetzt? Eine heimliche Witwe… So zerbrochen fühle ich mich!

Sie saß im Sand, in der kleinen Bucht beim Capo San Marco, genau auf der Stelle, wo das Zelt gestanden hatte, und blickte über das schillernde Meer. Da lag noch eine Konservendose. Brechbohnen. I. Wahl. Fadenfrei. Sein letztes Essen?

Sie nahm die Blechbüchse, starrte hinein und drückte ihre Lippen auf das zerbeulte Ding. Sie kam sich gar nicht kindisch vor, sie weinte in sich hinein und haßte sich selbst wegen ihrer vielen Fehler.

In den Bergen hatten Anna und Ernesto ihren Bruder Luigi begraben. Daß ein Mensch stirbt oder getötet wird, ist ein Vorgang, den man hinnehmen muß. Aber als sie im ersten Morgenlicht Luigi betrachteten und sahen, wie man ihn getötet hatte, als sie die Stiche sahen, das abgeschnittene Ohr, die Wunden seines Martyriums, blickten sie sich lange an, beteten an der Leiche und begruben sie unter einer Pyramide von Felssteinen.

«Gib mir die Hälfte!«sagte Anna später, als sie wieder im Haus am Tisch saßen. Das Geld lag zwischen ihnen.»Mir steht die Hälfte zu. Er war auch mein Bruder.«

Ernesto nickte. Er zählte die Scheine ab. einen nach links, einen nach rechts. Auch optisch eine reelle Teilung.»Fünfhunderttausend!«sagte er, als die Häufchen fertig waren.»Bitte.«

«Danke, Ernesto. «Anna nahm die Scheine, stopfte sie in eine lederne Umhängetasche und verschloß sie.

«Und nun?«fragte Ernesto.

«Ich gehe nach Sizilien!«sagte Anna.»Nach Palermo. Ich finde ihn! Ich vergesse ihn nie!«

«Enrico?«

«Auch. Aber den anderen, den Gelackten.«

«Dazu reichen fünfhunderttausend nicht.«

«Dafür wird es immer reichen, und wenn ich als Hure gehe!«Sie ging zum Ofen und setzte die Pfanne aufs Feuer. Sie hatten noch drei Eier und etwas Speck. Ein gutes Frühstück. Und Wein dazu. Wie schön kann die Welt sein.

Am Abend kam Ernesto von Sorgono zurück, wo er bei Stracia die Waren abholte, die Luigi gekauft hatte. Er hatte aber nichts von Luigis schrecklichem Sterben erzählt, sondern behauptet, Luigi habe so gesoffen, daß er die Waren nicht mehr abholen konnte. Als er mit dem alten Jeep wieder das Haus erreichte und nach seiner Schwester rief, war Anna nicht mehr da.

Er hatte das befürchtet, setzte sich auf die Treppe und starrte in den fleckigen Abendhimmel.

Gott mit dir, Anna, dachte er. Madonna, beschütze sie! Nun bin ich ganz allein, der Letzte meiner Familie. Madonna, beschütze auch mich.

Kapitel 3

Palermo bei Nacht, auch und gerade wenn man es aus der Luft sieht, ist ein Erlebnis.

Der Pilot drückte den Jet tief hinunter. Sie flogen so tief über der Stadt, als fehlte nicht viel, und sie streiften die Türme der von Scheinwerfern angestrahlten Cattedrale oder die berühmte Kirche San Gio-vanni degli Eremiti.

Zwar war es verboten, so dicht über die Dächer zu fliegen, aber auf dem Flugplatz wußte man ja, wem die Maschine gehörte. Warum sollte man Schwierigkeiten machen, wenn es um Dr. Soriano ging? Verlorene Zeit, amici…

Auf dem Rollfeld wurden sie bereits von einer großen amerikanischen Limousine erwartet. Ein Chauffeur in dunkelroter Livree zog devot seine Mütze und riß die Türen auf. Dr. Volkmar und Gal-lezzo stiegen ein, die drei anderen Herren gingen zu Fuß zum Airport-Gebäude, wo auf dem Parkplatz ein normaler Wagen, ein Lancia, stand.

Die Fahrt ging um Palermo herum, auf einer Umgehungsstraße zur Küste.»Wir haben auch eine Autobahn bis Catania«, erklärte Gallezzo,»aber Autobahnen kennen Sie ja von Deutschland her. Die Küstenstraße ist schöner. Auch bei Nacht.«

Sie fuhren am Golf von Palermo entlang, sahen die Schiffe auf dem Meer, die Villen in den Palmengärten und die Lichterketten der Hafenanlagen. Perlenschnüre aus Licht.