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Warum also?

Volkmar erhob sich, ließ das Eis im Glas klingeln und besichtigte das Gästehaus. Neben der Stereoanlage stand ein geschnitzter Kasten voller Musikkassetten. Er wählte das Klavierkonzert Nr. 1 von Beethoven aus, gespielt von Swjatoslaw Richter, setzte sich an den Rand des Pools und versuchte, Ordnung in seine Gedanken zu bekommen.

Welches Interesse konnte die Mafia an einem deutschen Arzt haben? Wenn Dr. Soriano krank sein sollte — die besten Ärzte der Welt standen ihm zur Verfügung. Mit seinem eigenen Jet konnte er sie von allen Ecken der Welt nach Palermo holen. Das Honorar spielte keine Rolle. Mußte es ausgerechnet ein deutscher Chirurg sein, der reichlich utopisch anmutende Forschungen und Experimente auf dem Gebiet der Transplantationen unternahm?

Dr. Volkmar fand keine Antwort auf seine vielen Fragen. Er resignierte vorläufig, legte sich auf das Bett, auf die weiche weiße Nerzdecke, und versuchte zu schlafen.

Es war das erste Mal, daß Beethovens Klavierkonzert wie ein Schlafmittel auf ihn wirkte.

Er war ausgeschlafen, hatte gründlich geschwommen, hatte an der Mauer des Dachgartens über das Meer geblickt, war am Morgen noch einmal durch >sein< Haus gegangen und noch mehr als in der Nacht überwältigt worden von diesem harmonischen Einklang von Architektur und Einrichtung.

Mr. Worthlow erschien, nachdem die Tür der großen Halle ein Glockenspiel in Gang gesetzt hatte, das die Klingel ersetzte. Volkmar öffnete.

Worthlow brachte auf einem Tablett einen elektrischen Rasierapparat und eine Auswahl französischer Gesichtswasser, After shaves, Eau de Toilettes, Cremes und sogar Puder.

«Das Frühstück ist angerichtet, Sir«, sagte er und trug das große Tablett ins Badezimmer.»Mir fiel ein, daß ich vergessen habe, Ihnen die Kosmetika zu bringen. Ich bitte um Entschuldigung. So etwas ist mir noch nie vorgekommen. Ich bin untröstlich, Sir.«

«Aber Worthlow! Das ist doch kein Verbrechen!«Volkmar rasierte sich schnell, wählte ein frisches, nach Limonen duftendes Gesichtswasser und betrachtete kopfschüttelnd die Puderdosen.

«Gibt's das auch, Worthlow? Für Männer?«

«Schönheit und Ästhetik sind an kein Geschlecht gebunden, Sir. Es gibt Herren, denen ein Pickel im Gesicht körperliche Qualen verursacht. «Worthlow fuhr mit einer kleinen Handbürste schnell über Volkmars zerknitterten Anzug. Eine rührende Geste, die beweisen sollte, daß ein Gentleman in jeder Lage ein Gentleman bleibt.

Nach einer Wanderung durch die offenen Säulengänge, vorbei an verschwenderisch blühenden Innenhöfen mit wasserspeienden maurischen Brunnen, erreichten sie die Terrasse, von der eine Treppe in den Park führte. Unter einem Sonnensegel aus orangefarbener Seide war ein runder Tisch gedeckt. Silberkannen blitzten in der Sonne. Links und rechts von einer breiten Tür, die ins Innere des Haupthauses führte, standen die beiden Diener in ihrer weißen Livree.

Als Dr. Volkmar die Terrasse betrat, erhob sich aus dem Sessel am Tisch ein schlanker, mittelgroßer Mann. Sein gelocktes Haar schimmerte in bläulichem Weiß, wie Gletschereis bei Sonnenaufgang. Sonst war an ihm nichts Auffälliges. Er trug eine einfache weiße Hose, weiße Lederschuhe, ein weißes Hemd mit breiten, mattroten Streifen, die Hemdsärmel bis zu den Ellenbogen hochgerollt, die oberen drei Knöpfe offen. Auf dem schon weiß werdenden Brusthaar lag an einer goldenen Kette ein Medaillon mit eingelassenen Rubinen. Anders als die meisten italienischen Reichen trug er an den Fingern keinen Brillantring, auch kein Goldkettchen um das Handgelenk; die Hände waren nackt für südländische Begriffe. Es nahm sich aus wie eine Demonstration der Unauffälligkeit und der Bescheidenheit. Und das in dieser Umgebung.

Dr. Eugenio Soriano.

Mit federnden Schritten kam er Dr. Volkmar entgegen und streckte beide Arme nach ihm aus, als müsse er einen Bruder umarmen, der aus weiter Ferne heimgefanden hat.

«Willkommen!«rief er, und es klang ehrlich.»Verzeihen Sie, daß ich nicht Deutsch, sondern meine Muttersprache spreche. Mein Deutsch ist miserabel für ein deutsches Ohr. Aber ich weiß, Sie sprechen Italienisch sehr gut. «Er ergriff Volkmars beide Hände und schüttelte sie.»Ich bin Soriano.«

«Das habe ich mir fast gedacht. «Dr. Volkmar blickte in den riesigen Park. Über die Mauer ragten die Ruinen von Solunto. Ein Himmel wie Seide; Gallezzo hatte nicht gelogen. Nur die Löwen und die Krokodile störten Volkmar.»Ein Paradies!«sagte er und folgte Soriano an den runden Tisch. Worthlow schenkte bereits den Kaffee ein.»Wie komme ich zu dieser Auszeichnung?«

«Das werde ich Ihnen gleich erklären. Ich bin ein ehrlicher Mensch. «Es war offenbar kein Sarkasmus, das stellte Volkmar verblüfft fest.»Aber zuerst essen wir! Ich habe für Sie ein kräftiges Frühstück herrichten lassen mit Eiern, Wurst, kaltem Braten, Käse. Ich selber esse lieber leicht. Etwas Käse, ein Stück Brot, viel Obst, vielleicht eine Tomate, dazu einen Espresso. Aber Sie sollen auf Ihr deutsches Frühstück nicht verzichten, lieber Dr. Volkmar.«

Sie setzten sich, die beiden Türsteher verschwanden im Inneren des Hauses, Worthlow servierte. Stumm, unauffällig, man merkte ihn kaum. Soriano lehnte sich in seinem Sessel zurück und knabberte an einem Käsestück. Volkmar, vom Hunger überwältigt, belegte eine Toastschnitte dick mit kaltem Roastbeef. Soriano schien das zu gefallen.

«In einer Stunde kommt der Schneider«, sagte Soriano.»Zwei Herrenmodesalons werden Ihnen die nötigsten Dinge bringen, von den Schuhen bis zum Unterhemd. Sie Ärmster haben ja alles verloren.«

«Es liegt in meinem Zelt am Capo San Marco auf Sardinien. Ich brauche es bloß zu holen.«

«Sie sind ertrunken, das wissen Sie doch! Es stand in allen Zeitungen. Eine Wasserleiche kann doch nicht plötzlich wieder leben.«

«Man könnte den Irrtum aufklären.«

«Aber warum, mein lieber Doktor?! Welche Verwirrung gäbe das!«

Dr. Volkmar legte seinen Toast auf den Teller zurück. Er schmeckte auf einmal bitter. Eine furchtbare Erkenntnis war ihm in dieser Minute aufgegangen. Sie auszusprechen, verlangte schon Mühe und Überwindung.

«Sie wollen damit sagen, daß ich für immer tot bin?«

«Sollen wir Ihre bisherige Welt in Konflikte stürzen?«

«Ich soll bis an mein Lebensende bei Ihnen wohnen?«

«Gefällt es Ihnen nicht bei mir? Was fehlt? Sagen Sie es. Es wird sofort beschafft!«

«Die Freiheit!«

«Die haben Sie. «Soriano lächelte milde und nippte an seinem Es-presso. Er hatte elegante, geradezu zierliche Bewegungen.»Ist der Lebensraum, den ich Ihnen biete, nicht groß genug für einen Menschen? Wer hat draußen so viel Raum, so viel Luxus? Wer kann sich jeden Wunsch erfüllen? Sie können es! Freiheit! Was ist Freiheit?! Es gibt nichts Relativeres als den Begriff Freiheit. Der eine braucht nur ein kleines möbliertes Zimmer, der andere einen ganzen Staat!«

Mr. Worthlow schenkte wieder Kaffee nach, aber Volkmar trank nicht mehr.»Was haben Sie mit mir vor, Don Eugenio?«fragte er.

Soriano schien es Spaß zu machen, daß Volkmar Don zu ihm sagte. Er schlug die Beine übereinander.»Sie werden einige der bedeutendsten Persönlichkeiten Siziliens kennenlernen«, sagte er.»Sogar ein Staatsanwalt ist dabei.«

«Dann kann ja nichts passieren!«antwortete Volkmar trocken. Soriano nickte freudig; er hatte Sinn für schwarzen Humor.

«Zum Mittagessen werden Sie einen Kollegen begrüßen können: Dr. Pietro Nardo. Chirurg wie Sie. Er ist offiziell Leiter eines von mir gestifteten Altersheimes. Seine Hauptarbeit aber, die er zusammen mit einer Ärztegruppe verrichtet, gilt der Organverpflanzung, vor allem der Herztransplantation.«

«Jetzt ist es heraus!«sagte Dr. Volkmar dumpf.»Darum also.«

«Ja.«

«Und warum dieser Weg durch den Tunnel? Mit Ihrem Geld könnten Sie ein ganzes Forschungszentrum bauen!«

«Sie werden diese Mittel bekommen, Dr. Volkmar. «Soriano hielt seine Tasse hoch. Mr. Worthlow goß Espresso nach.»Und warum auf diesem Wege? Das wird man Ihnen nach dem Mittagessen erklären. Um 15 Uhr tritt der Große Rat zusammen.«