«Wir verbrauchen jeden Tag zwei Rinder«, sagte Soriano.»Zuerst haben wir Pferdefleisch verfüttert, aber seit Loretta eine so begeisterte Reiterin ist und Pferde geradezu anbetet, sind wir auf Rindfleisch umgestiegen. Das dürfen wir: Steaks ißt sie selber gern!«So-riano lachte gemütlich. Zwei große Krokodile balgten sich um ein Stück Fleisch. Es sah in seiner Art spielerisch aus, aber sie schienen es tödlich ernst zu meinen.
«Sie müssen sich daran gewöhnen, Dottore, daß Papa ein Sarka-stiker ist«, sagte Loretta und drückte Volkmars Arm.»Ich mag diese Tiere auch nicht. Ich hasse sie!«
Soriano betrachtete den Kampf der Krokodile wie einen sportlichen Wettkampf. Wenn sie über die blutigen Fleischbrocken herstürzten und sich mit ihren harten, gepanzerten, gezackten Schwänzen gegenseitig aus dem Weg schlugen, wenn ihre schrecklichen langen Mäuler aufklappten und dann zuhackten, zog er ab und zu die Augenbrauen hoch und neigte den Kopf wohlgefällig betrachtend zur Seite. Dr. Volkmar wollte schon bemerken, man habe nun von diesem Schauspiel genug gesehen, als er etwas entdeckte, an dessen Realität er zunächst nicht glauben konnte oder wollte. Sein medizinischer Verstand rebellierte gegen jeden Beschwichtigungsversuch — und doch redete er sich ein: Es ist nicht wahr! Du hast dich geirrt! Dreh den Kopf weg, du hast nichts gesehen. Du hast dich geirrt.
«Nun die Löwen!«hörte er Soriano sagen.
«Muß das sein?«fragte Volkmar zurück.»Ihr Haus bietet schönere Anblicke.«
«Haben Sie ein Raubtier schon einmal richtig betrachtet, Dottore? Diese Kraft, dieser Urinstinkt, diese Gnadenlosigkeit, dieses herrliche Bewußtsein, stark zu sein, stärker als alle anderen, und dank dieser Stärke zu herrschen? Aber wie Sie wollen! Sie sind mein Gast, Sie sollen sich wohl fühlen. Loretta mag Löwen auch nicht. Merkwürdig, wie unähnlich Töchter ihrem Vater sein können. Schon als Kind habe ich mit verwilderten Katzen gespielt, in der Altstadt von Palermo, und ich bin nie gebissen worden. Also: Was schlagen Sie vor, Dottore?«
«Wie wäre es mit Schwimmen?«fragte Loretta. Sie hängte sich wieder in Volkmars Arm.»Ins Wasser kann uns Papa nicht folgen. Er schwimmt nie. Dabei besitzt er die teuerste Jacht von Sizilien! Was ist, wenn er mal ins Meer fällt?«
«Man wird ihn retten!«sagte Volkmar und blickte auf die Stelle, die ihn so aus der Fassung gebracht hatte.»Im Mittelmeer gibt es keine Krokodile.«
Soriano warf einen schnellen Blick auf Volkmar. Nur für eine Sekunde versteinerte sein Gesicht, dann zog wieder das sonnige Lächeln über seinen Mund.
«Also gut — schwimmen Sie mit Loretta. Ich schaue Ihnen gern zu.«
Er ging voraus, sie erreichten die Terrasse, auf der jetzt dick gepolsterte Liegebänke standen. Eine breite Bar war unter die Markise gerollt worden. Mr. Worthlow mixte gerade drei Drinks. Er wußte, was jemand brauchte, der von den Krokodilen kam.
«Ich ziehe mich um«, sagte Loretta und löste sich aus Volkmars Arm.
«Aber Sie haben doch einen zauberhaften Bikini an!«Volkmar half ihr, in das Schleierkleid zu schlüpfen.
«Im Becken ist Meerwasser. Darunter leidet der Goldstoff.«
«Ein sparsames Mädchen!«sagte Soriano, als Loretta im wahrsten Sinne des Wortes, wie es schien, davongeschwebt war. Er nahm Worth-low das Cocktailglas ab und reichte es an Volkmar weiter.»Das hat sie von ihrer Mutter geerbt. Elena-Maria — meine Frau, der Erlöser habe sie selig — stammte aus einer alten Bürgerfamilie von Trapani. Sie trug zehn Jahre lang jeden Sonntag zum Kirchgang den gleichen Kopfschleier, auch als ich schon das Haus hier gebaut hatte. Sie starb vor drei Jahren an Leukämie. Ich habe ihr einen goldenen Sarg machen lassen, wie einem Pharao, und um ihn herum ein Mausoleum aus Carrara-Marmor gebaut. Ich habe sie sehr geliebt. Sie war wie eine Heilige. Loretta hat einiges von ihrer Mutter geerbt.«
«Hoffentlich das meiste von ihr«, sagte Volkmar zweideutig.
Soriano hob die Brauen.»Ich habe den Eindruck — und das betrübt mich —, Sie fühlen sich bei mir nicht wohl, Dottore. Was kann ich für Sie tun?«
«Am Rande des Krokodilteichs lagen zwei Knochen. «Dr. Volkmar atmete tief durch und stürzte dann den Cocktail hinunter.»Ein menschlicher Oberarmknochen und das Teil eines menschlichen Schulterblattes.«
«Wirklich?«sagte Soriano ungerührt.
«Sie dürfen mir anatomische Kenntnisse zutrauen.«
«Wer zweifelt daran, Dottore? Natürlich erkennt ein Chirurg Oberarme und Schulterblätter. Oh, da kommt Loretta. Ihre Mutter war auch eine Schönheit, nur ein wenig fülliger, bis die Leukämie sie auffraß.«
«Ich warte auf Ihre Erklärung, Don Eugenio.«
«Worthlow wird Ihnen eine Badehose geben.«
«Nicht nötig. Ich habe eine an. Als man mich kidnappte, trug ich sie im Bett.«
Loretta, in einem ganz knappen weißen Bikini, stand, von der Sonne überstrahlt, an der Marmoreinfassung des großen Pools und winkte mit beiden Armen.
«Noch eins«, sagte Soriano mit ruhiger Stimme, während er in sein Cocktailglas blickte.»Loretta wird einen ehrbaren reichen Mann heiraten, eine Schar Kinder bekommen und eine brave italienische Hausfrau werden. Sie ist mein einziges Kind.«
«Ich verstehe, Don Eugenio.«
«Sie sind ja auch ein hochintelligenter Mann, Dottore. Und nun springen Sie ins Wasser. In einer halben Stunde kommen der Schneider und die beiden Herren. Sie werden einen eleganten Mann aus Ihnen machen.«
Um 15 Uhr hatte sich der Große Rat im Speisesaal versammelt.
Zwei Männer wären glücklich gewesen, dabeisein zu dürfen: der Verleger des Prominentenlexikons >Who's who in Italy?< und der Generalstaatsanwalt in Rom. So viel bekannte, ja berühmte Namen, die zugleich Anwärter auf lebenslängliche Zuchthausstrafen waren, trafen selten zusammen. Nur ganz besonders delikate Probleme beschäftigten den Großen Rat; so etwa, wenn die USA einen Don herüberschickten, der sich für einige Zeit im geliebten Mutterland verstecken mußte, oder wenn es darum ging, den Rauschgifthandel zu koordinieren und neue Märkte zu erschließen. Zum letztenmal war der Große Rat in Dr. Sorianos Haus zusammengetreten, um den Einstieg in ein scheinbar vielversprechendes Geschäft zu diskutieren: Es ging um den Vertrieb von chemischen Kampfstoffen. Es kam nicht zustande. Bis auf zwei Mitglieder waren sich alle einig, daß die Grenzen der Ehrenwerten Gesellschaft dort liegen, wo die Gefahr der Selbstvernichtung entstand. Dafür kaufte man eine pharmazeutische Fabrik in Frankreich, über eine französische Aktiengesellschaft natürlich, deren Vorstand von der >Gesellschaft< kontrolliert wurde, und produzierte als Schwerpunkt ein starkes Mittel gegen Schmerzen in flüssiger und in Tabletten-Form, das nicht unter das strenge Betäubungsmittelgesetz fiel. Die Verdienstspanne war enorm, die Kundschaft schwoll lawinenartig an. Von späteren Leberschäden sprach niemand.
Es geschah also selten, daß der Große Rat zusammentrat. Und diesmal ging es nur darum, Dr. Heinz Volkmar kritisch zu betrachten. Die Herrenausstatter hatten aus ihm innerhalb einer Stunde einen Mann gemacht, der die Titelseite jedes Modejournals hätte schmücken können. Er trug einen ganz auf Figur geschnittenen weißen Anzug mit diskreten schwarzen Nadelstreifen, ein schwarzes Hemd und einen weißen Seidenschlips, weiße Socken und weiße Lederschuhe, die so weich und leicht waren, daß er glaubte, er gehe barfuß. Ferner hatte man ihm zwei Smokings überlassen — einen silbergrauen mit Brokateffekt und natürlich den obligatorischen cremefarbenen. Die schwarzen Hosen waren aus bester, federleichter Wolle, die Lackstiefeletten von unnachahmlichem Schick. Dr. Volkmar stand, als die beiden Herren und der Schneider, der die Maße genommen hatte, gegangen waren, vor dem großen Spiegel im Baderaum und betrachtete sich kritisch. Hinter ihm packte Worthlow die alten Kleider in einen Karton. Man würde sie verbrennen; sie verletzten die Schönheit des Hauses.