Aber konnte so ein Ungeheuer der Vater Lorettas sein?
«Ich werde für Sie ein Problem, Don Eugenio«, sagte Volkmar mit rostiger Stimme. Er bewunderte sich selbst wegen seiner Ruhe.»Zu den Krokodilen können Sie mich nicht bringen lassen — dann bräche ja Ihr ganzer Plan zusammen. Sie brauchen mich, den Chirurgen! Lebend! Andererseits: Sie können mich zu nichts zwingen, weder durch psychischen Terror noch durch physischen. Immer greifen Sie den Arzt an, dessen Geist und manuelle Geschicklichkeit Sie brauchen. Wie wollen Sie aus diesem Dilemma herauskommen?«
«Indem ich Sie überzeuge.«
«Unmöglich! Ich will nicht! Sie halten mich hier als Ihren Luxusgefangenen, ich soll Ihnen eine Herzklinik aufbauen, Herzen transplantieren, mein ganzes Leben lang in diesem goldenen Käfig leben, ein chirurgischer Roboter, ein Mensch, dessen Persönlichkeit Sie mit den Verlockungen einer glanzvollen Umgebung auslöschen wollen!«
«Und mit den schönsten Frauen Siziliens, wenn Sie wollen! Vergessen Sie das nicht. «Soriano trank genußvoll seine kalte Milch.»Dottore, das ist mein Vorteil Ihnen gegenüber: Ich habe Sie, und Sie haben keine Möglichkeit, jemals wieder von hier wegzukommen. Sie sind nicht nur Arzt, Sie sind Arzt aus Leidenschaft. Ein Besessener Ihres Berufes und Ihrer Forschungen. Sie würden, wenn Sie sich auch weiterhin weigern wollten, vor Langeweile sterben. Sie würden es gar nicht aushalten in dem Bewußtsein, daß sieben Kilometer Luftlinie von hier ein Klinik auf Sie wartet, wo Dr. Nardo mit einem Team von fünf Ärzten bereitsteht. Für Sie!«
«Ein Herztransplantations-Team kann bis zu siebzehn Ärzte und Schwestern umfassen. Fachärzte!«
«Ich stelle Ihnen fünfzig hin, wenn Sie sie verlangen! Bei mir gibt es keine Grenzen.«
«Das weiß ich«, sagte Volkmar trocken.»Und deshalb bleibt mein Nein! — Was nun, Don Eugenio?«
«Ein herrlicher Nachmittag!«Dr. Soriano reckte die Arme und dehnte sich. Worthlow nahm ihm das Milchglas ab.»Was unternehmen wir, Dottore?«
«Vielleicht Löwen füttern?«
«1:0 für Sie. «Soriano lachte herzhaft.»Ich habe im hinteren Teil des Parks eine kleine Eisenbahn. Die Nachbildung einer richtigen Dampflokomotive. Wollen wir ein paar Runden fahren?«
«Nein. Lassen Sie mich zum Flugplatz Palermo bringen und zurück nach Deutschland fliegen.«
«Unmöglich! Sie sind doch tot!«
«Irrtümer kann man aufklären. Mein Angebot: Ich werde das Gastspiel bei Ihnen nie erwähnen.«
«Es geht nicht mehr, Dottore. «Soriano hob bedauernd beide Arme.»Übermorgen wird man an der Küste von Capo Mannu Ihre Leiche finden. Wir haben diesen Fundort strömungstechnisch ausgerechnet.«
Volkmar spürte, wie ein Kälteschauer über seinen Rücken glitt. Das Entsetzen hatte ihn übermannt. Er starrte in das blausilbern schimmernde Wasser des Swimming-pools und spürte sein Herz bis zum Hals schlagen. Sie töten und reden darüber, als habe man einen Cocktail gemixt.
«Eine Dummheit!«sagte er endlich mit gepreßter Stimme.
«Was?«
«Mich anschwemmen zu lassen! Die Gebißkarte bei meinem Zahnarzt wird den faulen Trick entlarven.«
«Halten Sie uns für Dilettanten, Dottore? Gestern nacht, als Sie tief schliefen — ich hatte Ihnen einen guten Drink servieren lassen! — , haben wir Ihren Mund geöffnet und Ihr Gebiß fotografiert. Die Leiche, die übermorgen angeschwemmt wird, wird die gleichen Plomben, die gleichen Spuren der Zahnbehandlung aufweisen wie Sie. Ihr Zahnarzt wird Sie mühelos identifizieren können. Das Gebiß wird übrigens das einzige Erkennungsmerkmal sein. Ihr Leichnam muß, während er im Meer trieb, mit einer Schiffsschraube kollidiert sein. «Dr. Soriano klopfte Volkmar auf den Unterarm.»Sie sehen, Dottore: sie sind absolut tot! Auch wenn ich es könnte und wollte, es wäre unmöglich, Sie auferstehen zu lassen. Werden Sie operieren?«
«Nein!«
«Aber zu Abend essen Sie doch?«
«Vielleicht.«
«Nur im Familienkreis. Loretta, Sie, ich.«
«Was halten Sie davon, wenn ich Loretta über alles unterrichte?«Volkmar erwartete, daß Soriano wütend aufspringen würde. Denn nach Worthlows Aussage gab es für Soriano nur ein Heiligtum auf dieser Welt: seine Tochter. War Don Eugenio verwundbar, dann nur durch Loretta. Aber Soriano blieb sitzen und legte nur die Hände gegeneinander. Er stützte das Kinn auf die Fingerspitzen und blickte Volkmar nachdenklich an.
«Was hätten Sie davon?«fragte er ruhig.
«Es träfe Sie tief.«
«Eine sinnlose Rache. Sie sind jetzt tot für die Umwelt. Dann aber wären Sie's wahrhaftig. Wem nützt das etwas? Ihnen? Der Medizin? Der Herzforschung? Mir? Ein absoluter Unsinn. Alles, was man tut, sollte eine Erfolgschance haben, auch die Rache. Sie haben keine Chance, Dottore, außer der, zwar unbekannt zu bleiben, aber dennoch durch meine Hilfe der größte Chirurg der Welt zu werden! Habe ich Ihnen das nicht schon gesagt? Merkwürdig: Jeder Deutsche hat anscheinend den brennenden Wunsch, wenigstens einmal im Leben ein Held zu sein. Lassen Sie das sein, Volkmar. Das bringt nichts ein!«
«Doch! Die Achtung vor mir selbst!«Volkmar ballte die Fäuste.»Sie können reden, was Sie wollen, und tun, was Sie wollen: Ich operiere nicht! Und nun verfügen Sie über mich. Sehen Sie mich als das an, was ich bin: tot!«
Er stand auf und ging hinüber zum Pool. Ihm war bewußt, daß
Dr. Soriano nur deshalb so geduldig war, weil er hoffte, daß Volkmar noch lernen werde, seine Lage richtig einzuschätzen. Doch Volkmar dachte: Er kann mich zu nichts zwingen. Es wird ein totes Rennen geben. Es gibt nichts auf der Welt, was mich veranlassen könnte, für Soriano an den OP-Tisch zu treten und einen Thorax zu eröffnen. Weder bei einem Hund oder einem Affen. Und bei einem Menschen schon gar nicht.
Aber Dr. Volkmar irrte sich sehr.
Anna war es gelungen, in Cagliari ein Schiff zu finden, das nach Neapel fuhr und noch ein Küchenmädchen brauchte. Sie heuerte an, bekam eine winzige Kabine im dritten Unterdeck, gleich über dem Maschinenraum, und meldete sich beim Chefkoch. In ihrem Bergbauernkleid machte sie wenig Eindruck, und das war einkalkuliert. Sie wollte die Reise ohne einen ständigen Kampf mit liebebereiten Männern überstehen und hatte deshalb auch ihr Haar gestutzt, bevor sie die Berghütte verlassen hatte. Jetzt wirkte sie zerrupft, etwas schmuddelig und dümmlich. Die fünfhunderttausend Lire hatte sie zwischen ihre Brüste gestopft, in einem Leinenbeutel an einer Kordel. Dieser Ort erschien ihr am sichersten.
Sie bekam eine weiße Kittelschürze und ein rundes Leinenhäubchen, und die Vorarbeiterin der Küchenmädchen stellte sie an das Transportband der Spülmaschine. Ein Steward, der einen Stapel schmutziger Teller in die Spülküche brachte, kniff sie in den Hintern. Sie schlug aus wie ein Pferd, traf den Mann an den Oberschenkel, nur knapp vorbei an der Stelle, die jeden Mann sofort in die Knie gehen läßt.
«Du Aas!«sagte der Steward und hielt sich an der Spülmaschine fest.»Glaubst du, dich holt ein Offizier ins Bett?!«
«Laß mich in Ruhe!«Anna räumte die schmutzigen Teller in die Halterungen des Spülbandes.»Such dir eine andere.«
«Du schwenkst wohl jeden Abend Weihrauch durch die Beine, was?«Der Steward humpelte an ihr vorbei zum Ausgang.»So schön bist du auch wieder nicht!«
Das sprach sich herum: Die Neue tritt. Man ließ Anna in Frieden, und in der Nacht hockte sie auf ihrem schmalen, harten Bett, unter ihr zitterten die Maschinen, es war heiß in dem engen Raum, denn hier gab es natürlich keine automatische Entlüftung, sie zog sich aus, legte sich nackt auf die rauhe Decke und streichelte ihre schönen Brüste, den Leib und das volle schwarze Kraushaar zwischen ihren Schenkeln.