«Sehr traurig«, wiederholte sie.
«Dazu hat er auch allen Grund!«antwortete Dr. Volkmar. Er nahm Worthlow die Flasche mit dem goldgelben Sherry ab und schenkte sich und Loretta das kostbar geschliffene Kristallglas halb voll. Sie nahm das Glas und drehte es zwischen ihren schmalen, wie durchsichtig wirkenden Fingern. Auch heute trug sie wieder nur einen Ring, einen großen wasserhellen Smaragd in einfacher Goldfassung. Ein grün schimmernder Fleck auf ihrer braunen Haut.
«Papa mag Sie wirklich gern«, sagte sie.
«Auf seine Art bestimmt.«
«Er betrachtet Sie nicht nur als seinen liebsten Gast — er möchte auch Ihr Freund sein.«
«Das ist in Gegenwart von Krokodilen und Löwen ein ziemlich abseitiger Wunsch«, sagte Volkmar dunkel.
«Ich mag die Tiere auch nicht, aber Papa hält sie sich eben als Hobby. Beachten Sie sie nicht!«
Wie soll man Krokodile nicht beachten, wenn an ihrem Teichufer ein menschlicher Oberarmknochen und ein Stück Schulterblatt liegen, dachte Volkmar. Aber Loretta weiß es wirklich nicht. Worth-low hat recht. Sie geht durch diese Welt wie ein Engel durchs Paradies. Sie sieht nur die traumhafte Schönheit dieser Welt, aber sie wird nie ahnen, daß dieses Paradies mit Blut gedüngt ist. Verflucht, man sollte es ihr sagen!
Worthlow schien Gedanken lesen zu können! Volkmar hatte es in den vergangenen Stunden schon mehrmals bemerkt.
«Nicht, Sir!«sagt Worthlow leise, als er die Vorspeise servierte: eine herrliche Muschelsuppe in bestem Rotwein. Er beugte sich über Volkmars Schulter und flüsterte ihm ins Ohr.»Sie wird es nie glauben. Und Sie gewinnen nichts.«
«Was habt ihr für Geheimnisse?«fragte Loretta. Sie war an die Balustrade des Dachgartens getreten, hatte über das nächtliche Meer mit den Lichtpunkten der Fischerboote geblickt und kam jetzt zum Tisch zurück, das Glas noch in der Hand. Ein Zauberwesen in dieser warmen, sternenübersäten Nacht, umflossen von dem gedämpften Licht der maurischen Lampen auf der Terrasse.
«Ich weiß, was Worthlow Ihnen sagt, Dottore: Papa füttert die Krokodile manchmal mit lebenden Tieren. Mit Kaninchen vor allem. Sie laufen hier zu Tausenden herum und richten großen Schaden an. Sie unterwühlen das Land, lassen die Ruinen einstürzen. Trotzdem — ich mag es nicht. «Sie setzte sich wieder. Volkmar nahm ihr das Sherryglas ab und stellte es auf ein Tablett, das Worthlow hinhielt.
«Worthlow hat mich nur gefragt, ob wir Fisch oder Langusten mögen zum zweiten Gang. «Er log mit großer Sicherheit; der Butler sah ihn dankbar an.
«Ich nehme Langusten.«
«Das weiß ich. «Volkmar lächelte gequält.»Ich habe mir Hechtklöße a la Bocuse gewünscht. Und denken Sie sich: Worthlow ist nicht erstaunt. Irgendwo habe ich mal davon gelesen. Es gibt nicht viele Leute, denen die Neue Küche von Bocuse in Frankreich ein
Begriff ist. Aber für Dr. Soriano ist anscheinend nichts unmöglich.«
«Nichts, Sir!«sagte Worthlow steif.
Es ist zum Verrücktwerden, dachte Volkmar voller Qual. Da redet man über die neue leichte französische Küche wie auf einer faden Party von Managergattinnen, und um uns herum ist unsichtbar das Grauen. Da gibt es ein Gremium von Männern, die sich die Wahnsinnsidee in den Kopf gesetzt haben, mit Herzverpflanzungen Millionen zu verdienen, ohne Rücksicht darauf, daß alles noch im Erforschungsstadium ist und daß es vielleicht nie gelingen wird, die Immunschranke zu überwinden. Über hundert verschiedene Gewebegruppen gibt es, die sich untereinander abstoßen, sich gleichsam als Feinde betrachten, bei Zusammenpflanzungen sich bis zur Auflösung bekämpfen. Und von allen diesen Gewebegruppen kennen wir Mediziner und die Biochemiker erst eine Handvoll. Und selbst bei diesen wenigen bekannten Gruppen kommt es bei Transplantationen zu dramatischen Reaktionen. Aber was kümmert das einen Soriano und seinen Großen Rat? Wenn es gelingt, nur einen Todkranken, dem keiner mehr eine Chance gab, nach einer Herzverpflanzung ein halbes Jahr länger leben zu lassen, wird das Unternehmen des Dr. Soriano zum Goldesel werden.
Aber ohne mich. Ohne Heinz Volkmar!
«Was mißfällt Ihnen an meinem Vater?«fragte Loretta, während Worthlow über das Haustelefon der Küche die Bestellung durchgab.
«Daß er eine Tochter wie Sie hat, Loretta.«
«Ist das nun ein deutsches Kompliment, Enrico, oder eine Abwehr?«fragte sie zurück. Ihr Lächeln unter dem Haarschleier, das Zusammenspiel der Augen mit dem aufblühenden Mund, das atmende Schweben ihrer Brüste, halterlos unter dem engen Seidenjerseykleid, machten jede Antwort fast zur Anstrengung.
«Es ist schlicht die Wahrheit, Loretta. «Er nannte sie beim Vornamen, weil es ihm unmöglich war, sie Signorina Soriano zu nennen. Sie nahm auch das hin und revanchierte sich mit Enrico. Daß dies kein Zeichen von Antipathie war, stimmte Volkmar zufrieden, machte ihn nahezu glücklich. Ein Traummädchen wie Loretta war für ihn, den kleinen deutschen Chirurgen, nicht bestimmt. Er durfte es allenfalls anstarren. Schon seine stille, nur manchmal mit Worten bekannte Liebe zu Angela Blüthgen schien ihm etwas abartig, weil er wußte, daß Angela zwar als Frau dachte und fühlte und diese Gefühle auch >freigab<, für eine Nacht oder zwei Nächte, das sogenannte freiheitliche Wochenende< — aber er konnte sie sich nicht hinter dem Herd vorstellen oder mit einem Staubsauger in der Hand. Trotzdem hatte er immer wieder versucht, sie aus ihrem >Interni-sten-Weltbild<, wie er das nannte, herauszulösen und ihr sozusagen statt des Stethoskops den Kochlöffel in die Hand zu drücken. Er hatte das selbst >meine stille Perversion< genannt. Und nun Loretta! Die Inkarnation des Luxus. Ein weibliches Wesen — unfaßbar und geheimnisvoll wie die Sylphiden in der Sage.
Loretta hatte sich in dem tiefen Sessel zurückgelehnt, die Seitenschlitze des engen Kleides gaben ihre Beine frei. Sie hat gar nichts darunter an, glaubte er festzustellen. Das weiß Papa sicher nicht. Das lernt man auch auf keiner Klosterschule.
Worthlow rumorte im Hintergrund. Er hatte einen Schrank geöffnet, hinter dessen geschnitzten Türen sich der Speiseaufzug befand. Volkmar blieb neben Lorettas Sessel stehen und trank seinen Sherry aus. In dem auf Figur geschnittenen weißen Smoking, der schwarzen Mohairhose mit dem Gallon, den Lackstiefeletten, dem weißen Hemd mit den diskreten Brustrüschen und der schmalen schwarzen Schleife sah er nun wirklich nicht mehr wie ein biederer deutscher Wissenschaftler aus. Er hatte immer nur mittelteure Konfektionsanzüge getragen, war durch nichts aufgefallen als durch sein männliches Aussehen und die vollen braunen Haare mit den weißen Schläfenansätzen. Ihm war einfach keine Zeit geblieben, seinen männlichen Charme so zu kultivieren, wie die Frauen es ihm sicher zugebilligt hätten.
Jetzt würde ihn kaum jemand wiedererkennen.
«Ich wäre glücklicher gewesen, wenn ich Sie in einer anderen Umgebung kennengelernt hätte, Loretta«, sagte Dr. Volkmar.»Am Strand, in einem Cafe, in einer Bar, beim Einkaufsbummel vor einem Schaufenster. Von mir aus sogar auf dem OP-Tisch.«
«Ich habe meinen Blinddarm noch, schade, das wäre eine Chance gewesen!«Sie lächelte wie ein Botticelli-Engel.»Soll ich mir eine Krankheit zulegen, damit Sie freundlicher zu mir sind?«
«Bin ich ein Muffel Ihnen gegenüber, Loretta?!«
«Sie sind anders, als Sie sein könnten! Stimmt's?«
Worthlow, der Gute, enthob Volkmar einer Antwort. Er kam immer zur richtigen Zeit.»Die Languste und die Hechtklöße«, sagte er und servierte von ziseliertem Silber.»Dazu ein ganz trockener Wein von der Loire. Ist es recht so, Sir?«
«Ich vertraue mich ganz Ihnen an, Worthlow. «Volkmar setzte sich. Loretta beugte sich etwas vor. Ihre Brüste drückten sich durch das dünne Kleid. Das lange schwarze Haar fiel wieder über ihre Schultern.