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«Das ist nun ein ganz übler Trick!«sagte Volkmar hart.»Und der dümmste dazu!«

«Es ist die Wahrheit, Dottore. Beim Augenlicht meiner Mutter! Und meine Mutter lebt noch!«

Volkmar starrte Gallezzo fassungslos an. Das war nun wirklich kein Trick, keine hingeworfene Redensart. Gallezzos Miene war ernst, seine Worte klangen beschwörend. Dr. Volkmar schüttelte den Kopf. Wenn er sich jetzt einfangen ließ, gab es für ihn kein Entrinnen. Seine ärztliche Verpflichtung war es, zu helfen, ohne darauf zu sehen, wer nach ihm verlangte. Nur eines galt: Ein Mensch braucht dich!

«Dr. Nardo ist ein guter Chirurg!«sagte er schwer atmend.

«Er ist am Ende, Dottore.«

«Es gibt in Palermo genug hervorragende Ärzte.«

«Dieses Problem der alten Frau wagen sie nicht anzufassen.«

«Kein Spezialist hat Angst vor seinem Spezialgebiet, das ist doch Unsinn!«

«Dann sehen Sie sich das einmal an, Dottore!«

Gallezzo winkte. Der Kleine mit dem Mausgesicht holte aus seiner Aktentasche eines dieser typischen großen braunen Kuverts, in denen man Röntgenbilder aufbewahrt. Dr. Volkmar biß sich auf die Unterlippe. Der große innere Konflikt war da: Weigerte er sich — und war es wirklich ein seltener Fall —, so mußte er mit dieser Belastung seines Gewissens leben. Sah er sich die Röntgenbilder an, hatte Soriano schon den ersten Angriff gewonnen: Dr. Volkmar arbeitete für die Mafia!

«Ihr seid Teufel!«sagte er heiser.

«Wir betreuen alte kranke Menschen, Dottore!«

Das Mausgesicht zeigte ihm die Röntgenbilder. Volkmar erkannte auf den ersten Blick, daß es große Thoraxaufnahmen waren. Er nahm einen der Filme, trat hinaus auf den Dachgarten und hielt ihn gegen die Sonne.

Eine sehr gute, sehr klare Aufnahme. Die Röntgenabteilung des Altersheims mußte mit den besten Apparaten ausgestattet sein. Die anderen Aufnahmen — das wußte Volkmar im voraus — waren Fotos aus verschiedenen Ebenen. Ein Blick auf dieses Röntgenbild genügte jedoch, um zu bestätigen, daß Gallezzo nicht gelogen hatte. Nein, es war kein übler Trick, mit dem man ihn in die Klinik locken wollte. Was das Röntgenbild ihm verriet, war eine sehr ernste Erkrankung. Volkmar konnte verstehen, daß auch beste italienische Chirurgen beim Anblick dieser Fotos ein leises Unwohlsein spürten.

Die Diagnose war so klar wie die Röntgenbilder.

«Eine Pericarditis calculosa«, sagte Dr. Volkmar und ließ sich die anderen Röntgenbilder geben. Er hob auch sie gegen die Sonne und war sich darüber klar, daß diese alte Frau ohne schnelle Hilfe zum Tode verurteilt wäre. Schnelle Hilfe hieß hier aber: mutige Hilfe. Etwas wagen. So kaltschnäuzig sein, wie ein Chirurg sein muß, wenn es um alles oder nichts geht.

«Durch eine starke Calciuminfiltration ist das akute Stadium der Pericarditis constrictiva erreicht. Da muß sofort operiert werden. Verstehen Sie was davon?«

«Nein!«antwortete Gallezzo ehrlich.»Was Sie da sagen, klingt für mich wie Chinesisch.«

«Die Frau hat ein sogenanntes Panzerherz. Kalziumsalze haben sich abgelagert und bilden um das Herz einen festen Kalkpanzer! Die Blutzufuhr, die Funktion der Pumpe, die das Herz ja hat, ist fast abgedrückt. Das ist natürlich sehr laienhaft formuliert.«

«So etwas gibt es?«fragte das Mausgesicht erschüttert.

«Und Sie können helfen?«fragte Gallezzo erschüttert.

«Nur in einer bestens ausgerüsteten Klinik.«

«Die haben wir.«

«Doch nicht im Altersheim!«

«Sie werden staunen, Dottore.«

«Einen Augenblick. «Volkmar ging ins Zimmer und nahm das Telefon ab. Ein Mann meldete sich als Sekretär Dr. Sorianos.»Ich möchte ihn selbst sprechen«, sagte Volkmar.»Wenn Dr. Soriano nicht anwesend ist, warte ich solange.«

«Es dauert nur einen Moment, Signore Dottore.«

Es knackte ein paarmal, dann war Don Eugenios Stimme im Apparat.»Ich weiß, Dottore, Sie haben jetzt die Röntgenbilder in der Hand. Und Ihre Diagnose steht fest«, sagte er.»Ich verstehe nichts davon. Ich weiß nur, was mir Dr. Nardo erklärte. Eine arme Frau, zweiundsiebzig Jahre alt. Hat siebzehn Kindern das Leben geschenkt — siebzehn, Dottore! Und hat alle bis auf zwei überlebt. Diese beiden letzten leben in Amerika. Hat es diese Frau verdient, noch ein paar Jahre weiterzuleben?«

«Ich bin kein Zauberer, Don Eugenio!«

«Aber ein Herzspezialist von Gottes Gnaden.«

«Himmel, wie können Sie von Gott reden!«

«Ich glaube zutiefst an Gott. Nur was der Mensch aus sich auf Erden macht, das muß er allein verantworten, und da sollte er auch keinen anderen fragen. Sie operieren also?«

«Nur in einer Klinik, die.«

«Kommen Sie her! Ich bin schon im Altersheim. Das Operationsteam wartet, die alte Dame ist bereits vorbereitet. Nur Sie — als Chef — fehlen noch!«

«Und wenn ich nein sage?«

«Das können Sie nicht. Sie nicht! Bei diesen Röntgenbildern in Ihrer Hand.«

Volkmar warf den Hörer zurück, klemmte sich die Fotos unter den Arm und nickte.»Wie lange brauchen wir bis zum Altersheim?«fragte er Gallezzo.

«Eine halbe Stunde. Die Straßen werden frei sein. Wir fahren mit einem Krankenwagen, mit Rotlicht und Sirene.«

Das Altersheim, auf das nicht nur Dr. Soriano, sondern ganz Palermo, ja ganz Sizilien stolz war, lag auf einem flachen Hügel und bot einen bezaubernden Blick auf Stadt und Meer. Es war ein vielfach gegliederter Riesenbau, von Gärten und tropisch-üppigen Parks unterbrochen, mit einer kleinen Freilichtbühne im Amphitheaterstil, einem Sportplatz, zwei großen Swimming-pools, einem Pinienwäldchen für geruhsame Spaziergänge, bei denen man sich auf weißen Bänken ausruhen konnte. Es war eine Sozialleistung Dr. Sorianos, für die er zu Recht einen hohen Orden erhalten hatte. Es war eine Leistung, angesichts derer niemand mehr nach der Herkunft des dafür benötigten Geldes fragte.

Dr. Volkmar war schon vom äußeren Anblick beeindruckt, als der Wagen mit heulender Sirene die breite Auffahrt hinaufraste und fünf ganz in Weiß gekleidete Schwestern sie empfingen. Sie starrten Volkmar wie ein Wundertier an, als sie ihn zum Lift geleiteten. Dann war nur noch Gallezzo bei ihm. Im zweiten Stockwerk erwartete sie Dr. Soriano vor der Lifttür. Er zog Dr. Volkmar an sich, umarmte ihn und küßte ihn auf die rechte Wange. Er ließ es geschehen. Sein Wunsch, diese Frau mit dem Panzerherzen zu retten, war stärker als der Abscheu vor Soriano.

«Na, ist das ein Haus?«fragte Soriano.

«Wo ist der OP-Trakt?«fragte Volkmar.

«Im Teil drei. Wir fahren sofort hin. Die Dimensionen sind derart, daß wir nicht nur vertikale, sondern auch horizontale Lifts haben. In einer Kabine fahren wir von Trakt zu Trakt. Darf ich bitten?«

Sie gingen zu einer anderen Tür, setzten sich auf die Bank einer Gondel, Dr. Soriano drückte auf einen Knopf, und als befänden sie sich in einer riesigen Rohrpostanlage, sausten sie durch eine Röhre, bis die Gondel mit einem sanften Ruck anhielt. Als sich die Tür wieder öffnete, warteten Dr. Nardo und zwei andere Ärzte, schon in Operationskitteln, auf dem Flur. Sie waren mitten im OP-Trakt gelandet. Weiß gekachelte Wände, blitzende Kachelfußböden, Desinfektionsgeruch, mit Gummi abgedichtete Zwischentüren, rote Warnlampen darüber. Vollkommene Sterilität. Gleich neben der >Rohr-post< war eine Tür, durch die man Soriano und Volkmar führte. Gal-lezzo sauste mit der Gondel wieder zurück.

In diesem Raum zog sich Volkmar um. Er bekam seine Grundkleidung als Chirurg: Hose, ärmelloses Hemd, Schuhe, alles in lindgrüner Farbe. Dann wünschte ihm Soriano viel Glück, und Dr. Nar-do führte ihn in die zweite Sterilschleuse, während Don Eugenio zurückblieb.

Hier warteten vier Ärzte und nickten Dr. Volkmar zu. Eine Schwester band ihm die Schürze um, eine andere setzte ihm das Käppi auf, die dritte holte den Mundschutz. An einem breiten, tiefen Waschbecken begann Volkmar mit den Waschungen, seifte sich ein und schrubbte, tauchte die Hände in die Sterillösung und ließ sich die dünnen Gummihandschuhe überstreifen. Über ihm, vor einem Lichtkasten, hingen die Röntgenbilder mit dem Panzerherzen.