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Kapitel 6

Man muß es den sardinischen Behörden mit Anerkennung bescheinigen: Sie ließen Dr. Angela Blüthgen, nachdem man ihr gesagt hatte, daß für ein Wiederauftauchen Dr. Volkmars gar keine Hoffnung bestand, nicht einfach allein in ihrem kleinen Hotelzimmer in Cagliari, sondern der für den Fall zuständige Polizeikommissar kümmerte sich voll Mitgefühl um sie. Obwohl Angela weder den Anspruch einer Witwe hatte noch ihr sporadisches Liebesleben mit Volkmar sie zu ergreifender Trauer berechtigte, geschah mit ihr eine innere Wandlung.

Waren es zuerst Schuldgefühle — der Vorwurf, Heinz nicht so geliebt zu haben, wie er es verdient hatte —, so gab sie sich jetzt voll der Reue hin, Volkmar und sich um die schönsten Stunden betrogen zu haben, und das nur, um ihren selbstzerstörerischen Emanzipationsideen zu huldigen. Eine Frau ordnet sich nicht unter, auch nicht im Bett. Sie soll auch dort überlegen sein. So wie man sagt:»Schönen Dank für den Drink!«, so kann man auch sagen:»Im Bett warst du ganz nett. Tschüß!«Man zeigt dann, daß der Mann für eine Frau durchaus nicht so lebensnotwendig ist, wie er immer annimmt.

Diese verschenkten Stunden allzu wohlwollender Zärtlichkeit, allzu gebändigter Seelenfreude und nur bedingter körperlicher Hingabe konnte sie jetzt nicht korrigieren. Hinzu kam, daß sie sich eingestand, Heinz wahrhaftig geliebt zu haben. Es würde schwierig sein, mit ihren nun dreißig Jahren noch einmal einen Mann zu finden, dem sie innerlich so verbunden sein konnte wie Volkmar.

Das alles war natürlich dem Polizeikommissar von Cagliari nicht geläufig und ging ihn auch nichts an, aber als Angela Blüthgen den Wunsch äußerte, ganz in der Nähe des Unglücksortes ein paar Wochen zu wohnen, telefonierte man herum und fand auf dem Capo San Marco eine Fischerhütte, die man eigentlich einer Madame aus Deutschland kaum anbieten konnte. Der Fischer Giovanni Re-sponatore — sein klangvoller Name war das einzig Eindrucksvolle an ihm — hauste hier mit seinen Netzen, einem alten Boot, zwei Schafen, einem Schwein, einem Esel und seiner Frau, wobei sich aus der Reihenfolge die Wertmaßstäbe Giovannis ableiten lassen. Als ein Carabiniere ihm verkündete, daß eine deutsche Signorina bei ihm wohnen werde — Befehl aus Cagliari —, nahm Giovanni das hin wie ein Unwetter auf See. Er trieb seine Frau Recha mit lauter Stimme zu vermehrter Arbeit an, ließ das baufällige Haus putzen, fuhr aufs Meer, holte aus einer Reuse eine dicke Languste und opferte Reis für einen dicken Risotto.

«Sie wird dir genug Lire bringen!«sagte der Carabiniere, nachdem Giovanni eine Stunde lang gejammert hatte.»Außerdem ist sie ein wenig verrückt. Sie wartet auf einen Toten, der nie kommen wird.«

«Aha!«sagte Giovanni.»So eine ist das! Und warum gerade bei mir?«

«Weil der Mann in der Nähe ertrunken ist.«

«Der Deutsche mit seinem Zelt?«

«Genau der.«

«Sie ist seine Witwe?«

«Anzunehmen. Säße sie sonst herum und wartete auf die Leiche? Wird sich wundern, wie er aussieht, wenn er wirklich an Land kommt.«

Es war nicht zu verhindern. Angela Blüthgen zog bei Giovanni Responatore ein, aß den Risotto und die wirklich guten Langustenstücke, trank auch einen halben Liter roten Landwein und ging dann am Ufer des Meeres spazieren.

Giovanni beobachtete sie hinter seinen aufgespannten Netzen, an denen immer etwas zu flicken war. Eine arme Frau, dachte er. So jung, so schön, was könnte die mit ihrem Leben alles noch anstellen! Und was macht sie? Sie wandert am Meer entlang und beschwört es, einen toten Mann wieder herzugeben.

In dieser Nacht, in der Angela auf der mit einem Strohsack belegten Holzpritsche schlief und zu sich selbst vor dem Einschlafen sagte:»Wenn du hier länger als zwei Wochen bleibst, bestreust du dein Haupt mit Asche und verlierst völlig den Verstand!«, fuhr von Cagliari ein schnelles Motorboot der Frucht-Compagnie Adriano Oreto um die Südspitze Sardiniens herum und näherte sich mit abgeblendeten Lichtern dem Capo San Marco. Der kreisende Lichtfinger des Leuchtturms zuckte über das Schiff hinweg, man stellte die Motoren ab und studierte noch einmal auf den Seekarten die dort eingezeichneten Meeresströmungen.

«Noch zwei Meilen nach Norden!«sagte der Schiffsführer.»Aber sicher ist das nicht!«

«Wir haben den Wunsch Don Eugenios ausgeführt, was will er mehr?«Oreto, von Natur aus kein Mensch, der mit dem eigenen Gewissen rang, kam sich unbehaglich wie selten vor. In einem Verschlag neben dem Ruderhaus lag der nur mit Volkmars Badehose bekleidete Tote, dem der alte Zahnarzt bescheinigt hatte, er besitze jetzt bis auf das letzte Bohrloch genau das gleiche Gebiß wie der richtige Dr. Volkmar. Was nicht ganz stimmte, war der Winkel der Zähne zum Kiefer, der bei den Menschen sehr unterschiedlich ausfällt, aber man hoffte darauf, daß niemand sich um diese Kleinigkeit kümmern würde. Der Zustand des Toten erlaubte es wohl auch nicht. Man hatte ihm, bevor man ihn an Bord nahm, erst einmal durch die Flügel einer Schiffsschraube treiben lassen. Sein Anblick hinterher war etwas für starke Nerven. Oreto hatte sie, aber das Frühstück kam ihm trotzdem hoch.

Südwestlich von Putzu Idu warfen sie den Leichnam ins Meer und sahen ihm nach, wie er ein paar Meter dahintrieb und dann versank. Sie wendeten das Boot, nahmen wieder Kurs nach Süden und waren sich einig, daß man diese Nachtstunden mit Wein herunterspülen mußte.

«Er muß ein großer Mann gewesen sein«, philosophierte Oreto später in der Kajüte.»Nicht der, den wir weggeworfen haben, aber der, der tot sein soll! Vergessen wir alles, Amigo… Ich möchte auch weiterhin von Don Eugenio als meinen Freund sprechen.«

Der Tote trieb mit der Strömung träge auf den Capo Manu zu, so wie man es in Palermo berechnet hatte. Ebbe und Flut berücksichtigt, mußte er in spätestens zwei Tagen angeschwemmt werden.

Der Tod Dr. Volkmars war dann mit Sicherheit feststellbar und endgültig.

Anna kam im Morgengrauen in Neapel an.

Sie spülte noch das Frühstücksgeschirr der Passagiere, hängte dann Kittelkleid und Schürze in den Eisenspind im Vorraum der Küche, verzichtete auf die Löhnung dieses Tages und verließ, unter Bruch des unterschriebenen Arbeitsvertrages, das Schiff. Im Gewühl des Ausladens von Gepäck und Waren, Passagieren und Autos fiel sie nicht auf, hängte ihre Segeltuchtasche über die Schulter und fragte sich zu den Büros der Schiffahrtsgesellschaften durch, die Liniendienste nach Sizilien fuhren.

Es gab einfachere, schnellere Wege nach Palermo, etwa mit dem Flugzeug, aber das verschlang die Mehrzahl der Lire, die Ernesto und sie für Luigis Tod bekommen hatten. Anna konnte rechnen, sie hatte in ihrem zwanzigjährigen Leben gelernt, mit einem Minimum an Aufwand zu existieren. Die fünfhunderttausend Lire, die sie bei sich trug, wollte sie nur anrühren, wenn es ihr nicht aus eigener Kraft gelingen würde, weiterzukommen. Sie hatte zwei geschickte Hände, sie hatte auch Kraft, für zwei zu arbeiten, sie war es gewöhnt, im kalten Bergklima und in heißer stickiger Stalluft zwölf und mehr Stunden klaglos zu schuften, und so würde sie es auch bis Palermo schaffen, ohne das Geld anzurühren. Manchmal sprach sie mit den Scheinen, nannte sie» Luigi, mein Bruder. «Sie waren für sie so etwas wie eine Verheißung geworden, daß sie den Mann wiederfinden würde, der Luigi so zugerichtet hatte.

Dann aber — das hatte sie bei ihrem Weggang aus den Bergen von Gennargentu am Wegkreuz der Heiligen Mutter von Atzara geschworen — wollte sie das Geld einem Waisenhaus stiften. Es war dann sauberes Geld, denn Blut wäscht man mit Blut ab. So denkt man in den Bergen von Sardinien.

Bis zum Mittag saß Anna am Hafen von Neapel herum, spuckte Männer an, die sich mit eindeutigen Anträgen vor ihr aufbauten, und entschied sich dann nach einem Rundgang durch die Heuerbüros, eine Arbeit als Putzfrau auf einem Luxusliner anzunehmen, der Rundfahrten machte und auch in Palermo landete. Es war das nächste Schiff, das von Neapel in diese Richtung ablegte. In zwei