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Tagen sollte es in Palermo eintreffen, nach einem Umweg über die Inseln Stromboli und Lipari, wo die Amerikaner und Deutschen ihre Fotoapparate noch mehr strapazierten als ihre Begleiterinnen.

Palermo! Don Eugenio! Und der Mann, der Luigi abgeschlachtet hatte. Wie hatte er geheißen? Ganazzo oder so ähnlich. Man würde ihn finden. Wer Wölfe in den Bergen gejagt hat, wird auch einen Menschen aufspüren können.

Und dann Enrico. Wie wird er staunen, wenn Anna vor ihm steht und sagt:»Hier bin ich! So groß kann diese Welt nicht sein, daß ich dich nicht finden würde. Ich liebe dich. Ich weiß, du bist ein großer, berühmter Mann, aber was tut das, wenn ich dich liebe? Ich bin hübsch, ich weiß es. Ich habe schöne, feste Brüste, einen schlanken Leib, lange, gute Beine und einen Schoß voller schwarzer Locken. Und wenn du auch so berühmt bist, daß du mich nirgendwo zeigen willst… was macht es? Ich werde unsichtbar sein, in einer dunklen Ecke warten, bis du mich rufst. Ich werde bei dir sein, ohne daß mich jemand sieht — aber ich bin bei dir, und das wird mein ganzes Leben sein. Mehr Glück will ich gar nicht, Enrico. Nur bei dir sein, wenn du sagst: Anna, komm her! Laß mich bei dir sein, Enrico!«

Sie bezog auf dem Luxusliner eine winzige Kabine knapp über der Wasserlinie; sie war sauberer als auf dem Fährschiff, auch das Personal war vornehmer und dementsprechend erfolgsgewohnter. Hier konnte man nicht einem Kellner gegen das Schienbein oder in den Unterleib treten — der Erste Steward, der Anna anhielt und sie fragte, ob man das, was sie in der Bluse habe, nicht näher betrachten könnte, bekam die Antwort:

«Ich komme aus Sardinien, du Schafsbock! Geh zu deinen schwedischen Touristinnen!«

«Damit kannst du Geld verdienen!«sagte der Steward unbeirrt.»Wir haben mindestens siebzig alte Knacker an Bord, die dafür hundert Dollar bezahlen und mehr. Wenn wir uns zusammentun, können wir uns nach sechs Rundreisen ein Haus kaufen.«

«Ich habe anderes vor!«sagte Anna.»Größeres.«

«Ein Puff in Messina oder Palermo? Anna, du verdienst auf unserem Schiff mehr und leichter. Überleg es dir!«

Sie überlegte es sich nicht — sie dachte nur an ihre Rache und an Enrico Volkmar. Als das Schiff, unter Sirenengeheul und während die Bordkapelle einen Marsch intonierte, den Hafen von Neapel verließ, stand Anna auf einem abgetrennten Teil des Unterdecks, bei Kabelrollen und festgezurrten Containern, an der Reling und blickte über das Meer. Richtung Sizilien.

Zwei Tage noch! Zwei kurze Tage und Nächte. Dann würde sie sich in Palermo ein mittellanges, beidseitig geschliffenes Messer kaufen und ein zweites mit einem genau ausgewogenen Griff, das, wenn man es warf, immer mit der Spitze sein Ziel traf. Luigi hatte ihr das beigebracht. Man mußte das Gefühl in der Handfläche haben, man mußte Griff und Messer in der Hand wiegen, und mit der Zeit spürte man mit jedem Nerv, ob es das richtige Messer für einen geraden Wurf war.

Im großen Tanzsaal des Luxusliners trafen die ersten Gäste ein. In Smoking und langen Abendkleidern. Schmuck glitzerte an Armen, Fingern, Ohren und Hälsen. Die Kapelle spielte einen Blues. Der Kapitänstisch wurde mit großen Blumenarrangements geschmückt. Der Chefsteward, goldbetreßt, lief herum und entschied, daß alles in Ordnung sei.

Unsichtbar, ein Schatten nur, glitt Anna von der Reling und stieg die schmale Eisentreppe in den stählernen Leib des Schiffes hinab. Die da oben haben Geld, viel Geld. Ich aber habe meine Rache und Enrico Volkmar.

Das haben die da droben nicht. Ich bin glücklicher als sie.

Das Abendessen im Palermo Palace war exquisit, wie es Soriano versprochen hatte. Der österreichische Koch kam selbst an den Tisch und erkundigte sich, ob die Leberknödelsuppe und die Schweinshaxe dem Gast gemundet hatten. Aber es war, trotz aller Vollkommenheit, ein sehr stilles Essen. Dr. Soriano stand ab und zu auf, um zu telefonieren —»Wohltätigkeit muß erarbeitet werden!«sagte er —, und Loretta vermied es, über die Operation zu sprechen.

«Ich werde morgen auf das Festland fliegen«, sagte sie, als Soriano wieder einmal ans Telefon gerufen wurde.»Nach Salerno. Eine Tante ist krank geworden.«

«Dann zeigen Sie mir also Palermo nicht?«

«Später, Enrico.«

«Wenn ich dann noch hier bin.«

«Bestimmt!«Sie sah ihn mit ihren strahlenden Augen an, die ihn wie willenlos machten.»Wenn ich Sie darum bitte? Müssen Sie so schnell zurück nach Deutschland?«

Er schwieg. Wie könnte man ihr jetzt sagen: Ich kann überhaupt nicht mehr zurück? Ich bin tot! Mein Leichnam wird morgen oder übermorgen angeschwemmt und anhand des Gebisses identifiziert werden. Ihr Vater, liebste Loretta, arbeitet perfekt! Wenn ich Palermo verlasse, dann wird es eine Flucht sein, ein Rennen um das nackte Leben, denn Dr. Soriano wird mich jagen, wie man noch kein Wild gehetzt hat. Mein Wiederauftauchen würde sein Ende bedeuten, das wissen wir alle. Nur du nicht, engelsgleiche Loretta.

«Ich kann noch etwas bleiben«, sagte er endlich, als sie ihre Hand über die seine legte und mit einem leichten Druck um Antwort bat.»Wie lange werden Sie in Salerno sein?«

«Eine Woche vielleicht.«

Das wird die Woche des Entscheidungskampfes werden, dachte Volkmar. Soriano entfernt seine Tochter, um mit mir ungesehen in den Ring zu steigen. Bisher hat er immer gewonnen: Ich habe operiert, ich habe die Transplantationsexperimente angesehen, ich habe mich wie ein Gigolo einkleiden lassen, man hat mich in seinen Haushalt integriert — und ich habe mich in Loretta verliebt, was von allem das schlimmste, weil ausweglos, ist. Durch Lorettas Liebe werde ich Mittäter.

«Eine Woche wird möglich sein«, sagte er mit belegter Stimme.

«Danke, Enrico. «Sie drückte wieder seine Hand. Er wagte nicht, sie anzusehen.»Ich werde die Tage zählen.«

«Ich auch!«

Er meinte es anders als Loretta, aber ehe sie weitersprechen konnten, kam Soriano zurück, heiter, beschwingt und, während er Loretta über das schwarze Haar strich, voll väterlichem Stolz.

Paolo Gallezzo hatte gemeldet, daß man in der Gegend von Ca-lascibetta einen jungen Bauernburschen aufgelesen habe, der auf dem Wege nach Catania war, um dort in einer Fischfabrik eine Stellung anzunehmen. Er hieß Leone Bisenti und war fünfundzwanzig Jahre alt, kräftig und gesund. Auf der Straße von Racalmuto nach Ca-nicatti war ein Autofahrer mit einem uralten Fiat gegen einen Steinhaufen gefahren, der vor einer Viertelstunde noch nicht auf der Straße gelegen hatte. Der Verunglückte, Arrigo Melata, 54 Jahre alt und von Beruf Mechaniker, war nicht verletzt, hatte nur einen Schock bekommen, war aber dessenungeachtet doch von Gallezzos Leuten mit unbekanntem Ziel abtransportiert worden. Bevor die Untersuchungen der Polizei anliefen und man versuchte, Spuren von Bi-senti und Melata aufzudecken, waren längst alle Spuren verweht. Von Arrigo gab es nur den Überrest eines alten Autos, von Leone überhaupt nichts mehr. Er war per Anhalter nach Catania gefahren. Wo soll man da nachprüfen?

«Es ist alles bereit, Don Eugenio!«hatte Gallezzo am Telefon gesagt.»Es kann losgehen.«

«In ein paar Tagen!«hatte Dr. Soriano geantwortet.»Jede Pflanze, die anwachsen soll, muß begossen werden. Das Wurzelschlagen ist das wichtigste, das Blühen kommt dann von allein.«

Am vierten Tag nach Lorettas Abflug von Salerno schwamm Volkmar wieder in dem großen Pool der Villa bei Solunto, als Soriano an das Becken trat und sich hinhockte. Man hatte sich die vergangenen Tage mit Tennisspielen und Schwimmen vertrieben, zweimal hatte Volkmar auch auf der Intensivstation sein >Panzerherz< besucht. Der alten Frau ging es verhältnismäßig gut, sie war zäh und trank schon wieder Rotwein mit einem verquirlten Ei.