«Ein Anruf aus der Klinik!«sagte Soriano, als Volkmar an den Bek-kenrand schwamm und sich an der Überlaufrinne festhielt.»Zwei
Neueinlieferungen.«
«Dr. Nardo!«sagte Volkmar abweisend.»Ich nicht mehr.«
«Zwei Fälle, die typisch sind, Dottore! Der eine hat einen Stich mitten durchs Herz, es ist nicht mehr zu retten. der andere hat einen Kopfschuß und wird auch nicht überleben. Aber sein Herz ist kerngesund. Fünfundzwanzig Jahre! Beides Vendetta-Opfer. Theoretisch könnte man ein Menschenleben retten. Wenn man das zerstochene Herz gegen das frische gesunde.«
Dr. Volkmar stieß sich vom Poolrand ab und schwamm in die Mitte des Beckens.
«Nein!«rief er und trat im Wasser auf der Stelle.»Nein! Nein! Die Chancen stehen 99 zu 1!«
«Gilt in der Medizin ein Prozent so wenig? Ich denke, gerade in der Medizin ist die winzigste Chance eine Verpflichtung für den Arzt?!«
«Es ist noch nie ein Herz von Mensch zu Mensch verpflanzt worden! Nur bei Tieren hat man das gemacht. Waren es Menschen, dann waren es operationstechnische Übungen an Toten!«
«Ich weiß, Enrico!«Dr. Soriano stand am Poolrand und winkte Volkmar, herauszukommen.»Sie werden der erste sein, der es am lebenden Menschen tut!«
«Ich werde der letzte sein, den Sie dazu überreden können!«Der Volkmar blieb in der Mitte des Pools und trat das Wasser unter sich weg. Ein fürchterlicher Verdacht hatte sich seiner bemächtigt. Er wagte nicht, ihn hinauszuschreien.»Don Eugenio, ich weiß genau, warum Loretta nach Salerno geschickt wurde. Kranke Tanten kann man erfinden. Es war eine Verbannung auf Zeit!«
«Das stimmt!«Dr. Soriano setzte sich auf den Betonklotz, auf den das Einmetersprungbrett montiert war.»Ich wollte für all das, was jetzt kommt, mit Ihnen allein sein, Enrico. Loretta hat schon das Panzerherz aus der Fassung gebracht — sie ist eben ein Engel, wie Sie selbst festgestellt haben. Und obwohl Loretta Sie bewundert hat und in kindlicher Schwärmerei.«
«Loretta — ein Kind? Wo haben Sie Ihre Augen, Don Eugenio?!
Oder bewahrheitet sich das auch bei Ihnen: Väter sind ihren Töchtern gegenüber die Blinden unter den Sehenden?«
«Kommen Sie heraus, Dr. Volkmar!«rief Dr. Soriano.
«Nein! Wenn ich schwimme, geht es nicht unter einer Stunde ab. Darum ist Ihr Plan, mich als Ertrunkenen an Land schwemmen zu lassen, auch reichlich dumm. Wer mich kennt.«
«Der Mann mit dem Herzstich und der mit dem Kopfschuß haben nur noch wenige Möglichkeiten. Dr. Nardo hält sie künstlich am Leben.«
«Den Kopfschuß, na ja. Ich kenne den Befund nicht. Den Herzstich kann man nähen. Das könnte sogar Ihr Dr. Nardo.«
«Er sagt nein.«
«Dann kann ich auch weiterschwimmen.«
«Und Sie sind Arzt?! Die große, noch geheime Hoffnung der Herzchirurgie? Der Besessene, wie man Sie in München nennt?! Der Chirurg mit den goldenen Händen? Da liegen zwei Todkranke, und Sie drehen hier gemächlich Ihre Runden? Das können Sie verantworten?«
«Soriano! Reden Sie nicht von Verantwortung!«Dr. Volkmar schwamm zum Poolrand zurück und hielt sich an dem wippenden Ende des Einmeterbrettes fest.»Wieso kommen die beiden Verletzten überhaupt in ein Altersheim und nicht in die chirurgische Klinik von Palermo?!«
«Bekannte haben sie eingeliefert, weil man weiß, daß wir eine Art Forschungsabteilung.«
«Da ist doch etwas faul, Don Eugenio! Oder laufen auch die Blutrachen von Sizilien in Ihrer Anwaltskanzlei zusammen?!«
«Allerdings. Einige, Enrico. «Dr. Soriano lächelte maliziös.»Ich bin sehr beliebt.«
«Das habe ich bereits gemerkt.«
«Und Sorgen bestimmter Familien sind auch meine Sorgen. Wir Italiener haben einen ausgeprägten Familiensinn. Sizilien ist dafür ein Musterbeispiel. Wir Sizilianer sind in aller Welt Brüder.«
«Nur nicht in den USA, wo sich die Cosa-Nostra-Familien gegenseitig mit Maschinenpistolengarben begrüßen.«
«Wollen wir über Familienfehden diskutieren, Enrico?«Dr. Soriano beugte sich vor und klopfte auf das wippende Sprungbrett.»Helfen Sie nun?«
«Ich sehe mir die Verletzten nur an!«
«Maria sei Dank! Das ist wenigstens ein Schritt vorwärts!«
Volkmar kletterte aus dem Pool und warf sich den weißen Bademantel über die Schultern. Die Kapuze zog er über den Kopf — jetzt sah er wie ein Mönch aus.»Mein Gott, wie können Sie Maria anrufen?! Ausgerechnet Sie!«
«Was hat Glauben mit Geschäft zu tun?«sagte Soriano ungerührt.»Ich bin ein gläubiger Mensch.«
«Das ist eine Moral, die ich nie begreifen werde. «Dr. Volkmar trocknete sich mit einem Frotteetuch und dem Bademantel ab, stieg dann aus der Badehose und lief nackt zum Haus zurück. Worthlow erwartete ihn auf der Terrasse mit einem neuen Bademantel aus dickem Chenille. Dr. Soriano lief neben Volkmar her — es war erstaunlich, wie er noch mithalten konnte.
«Sie haben einen schönen Körper, Enrico«, sagte er.
«Wenn Sie als Mann das sagen. «Volkmar schlüpfte in den Mantel.
«Schade, daß man Sie in dieser herrlichen Manneskraft nicht über zweihundert Jahre erhalten kann!«
«Vielleicht schaffen das eines Tages meine Kollegen von der Biochemie. Noch ist die kleinste Körperzelle — und erst recht eine Hirnzelle — unserer Erfindungsgabe haushoch überlegen.«
«Der Wagen wartet, Sir!«sagte Worthlow steif.»Ihre Kleidung liegt im Salon, Sie können sich sofort umziehen.«
«Ich bewundere Ihre Organisation, Don Eugenio. «Volkmar ging in die Halle und zog sich an. Nicht nur Worthlow halfVolkmar beim Umkleiden, auch Dr. Soriano reichte ihm Socken und Krawatte; ein Südländer der gehobenen Klasse geht auch bei größter Hitze nie ohne Kragen und Schlips. An Shorts und am bis zum Nabel offenen Hemd erkennt man den Touristen oder einen Ungebildeten.
«Wann kommt Loretta zurück?«fragte Volkmar plötzlich.
«Sie wartet auf meinen Anruf.«
«Aha! Ohne Operation keine Loretta mehr?«Volkmar lächelte mühsam.»Und wenn ich Ihnen sage, Soriano, daß mich Ihre Tochter nicht interessiert?!«
«Dann müßte ich Ihnen sagen, daß Lügen nicht Ihre Stärke ist.«
«Aber sie soll ja einen reichen Italiener heiraten und eine brave italienische Mama werden.«
«Ja!«Die Antwort war knapp. Der Butler band Volkmar die Krawatte so locker- oder so fest, daß der Windsor-Knoten keine Falten warf und wie gemalt unter dem Kinn lag.»Sie lieben meine Tochter?«
«Das wäre sinnlos.«
«Wie gut wir uns doch verstehen, Enrico. «Dr. Soriano lächelte gütig.»Können wir fahren?«
«Ja. «Volkmar schlüpfte in eine weißblau gestreifte Jacke, wie man sie auf Yachten trägt. Er sah blendend aus.»Mein einziges Handikap ist, daß ich als Arzt geschworen habe, immer und überall zu helfen. Sogar, wenn ich von Ihnen gerufen werde, Don Eugenio.«
Kapitel 7
Im Altersheim, Block III, diesem nur Eingeweihten bekannten OP-Trakt mit den darunter liegenden Forschungskellern und Tierstationen, erwartete man sie bereits. Alles war vorbereitet, wie neulich zu der Operation am Panzerherzen der alten Frau: Eine kleine Armee in grünen OP-Mänteln, die ihrem Feldherrn entgegensah. Zum Angriff war alles angetreten. Nur hatte man diesesmal zwei nebeneinanderliegende OPs in Bereitschaft. In dem einen lag unter einem Sauerstoffzelt, verbunden durch ein Gewirr mit Schläuchen zu lebenserhaltenden Fusionen und Herzimpulsmaschinen, der bleiche Arrigo Melata mit seinem Herzstich, im anderen OP, ebenfalls an einen künstlichen Blutkreislauf angeschlossen, aber durch seinen Hirnschuß schon klinisch tot, lag der junge Leone Bisenti.
Volkmar traf im Vorbereitungsraum auf Dr. Nardo und sein Team
Nummer eins. Team Nummer zwei stand einsatzbereit bei dem Kopfschuß. Um Volkmar zu beruhigen, hingen von beiden Verletzten die Röntgenplatten am Lichtkasten: eine breite Herzwunde bei dem einen, eine Hirnzertrümmerung bei dem anderen. Nach den allgemeinen Regeln der Medizin brauchte man gar nicht die Hände und Arme zu seifen und die Gummihandschuhe überzustreifen. Zwei klassische Todesfälle, für die eigentlich nur noch die Staatsanwaltschaft zuständig war.