Выбрать главу

«Na?«fragte Dr. Soriano, der in seinem Nebenzimmer zurückgeblieben war und alles wieder über das Fernsehauge beobachtete.»Was sagen Sie dazu, Enrico?«

«Holen Sie die Polizei!«

«Sie Witzbold! Was kann Polizei bei einer Vendetta erreichen?!«

Dr. Volkmar antwortete nicht mehr. Er ging hinüber zum OP II und betrachtete im EEG und einem ganz modernen elektronischen Hirnstrommeßgerät den klinischen Tod des jungen Bisenti. Die Hirntätigkeit war eingestellt, die dünnen Striche der Schreiber zeigten keine Zacken mehr, nur noch eine zitternde, gerade Linie, und zitternd nur deshalb, weil der Blutkreislauf künstlich durch den Körper gepumpt wurde. Das wiederum bewies der Oszillograph: Das junge Herz des Mannes schlug, zwar nicht regelmäßig, sehr unruhig, aber es schlug und schien vollkommen gesund. Bevor die Hirnströme aussetzten, hatte man sogar ein EKG gemacht — Dr. Nardo hatte mit perfekter Perfidie gearbeitet — und bewies nun Dr. Volkmar, daß das junge Herz organisch völlig intakt war. Ein unverbrauchtes, funfandzwanzigjähriges Herz. Das Herz eines kräftigen Bauernburschen, der noch vor ein paar Stunden sein Heimatdorf Calascibetta verlassen hatte, in der großen Hoffnung, in Catania, in einer Fischfabrik, mehr Lire zu verdienen, um sich, seine Mama, seine Nonna, drei kleinere Geschwister und einen Onkel zu ernähren. Der ganze Clan der Bisentis hatte Leone vor seinem Weggang gesegnet. Das vergoldete Medaillon auf seiner Brust mit der bunt gemalten Madonna hatte ihn nicht schützen können: Gallezzo, der >Vollstrecker<, hatte ihm eine Kugel so geschickt in den Kopf geschossen, daß er noch so lange lebte, um Dr. Nardo zu seinem EKG kommen zu lassen.

«Die Laborbefunde?«fragte Dr. Volkmar.

Dr. Nardo sah ihn erstaunt an.»Wozu?«

«Sind Sie ein Arzt?«schrie Volkmar.

Er verließ den OP II und betrat durch die automatischen Türen den OP I. Er beachtete den fast ausgebluteten Melata mit seinem Herzstich und seiner laufenden Bluttransfusion gar nicht, sondern blickte in das Fernsehauge inmitten der großen runden OP-Lam-pe.

«Soriano«, sagte Volkmar laut,»ich diagnostiziere, daß beide Verletzte nicht mehr medizinisch zu behandeln sind! Man soll die Apparaturen abstellen; sie haben keinerlei Sinn!«

Sorianos Stimme tönte aus dem Lautsprecher:»Es ist gut, Enrico, daß Sie das auch feststellen! Wenn Sie jetzt anfangen, arbeiten Sie an Toten. Das widerspricht doch nicht Ihrer Moral?! Was an den beiden Menschen lebt, geht nur durch Schläuche. Also beginnen Sie! Sie haben vor sich ein zerstörtes und ein gesundes Herz. Beide Menschen werden so oder so sterben, stimmt es? Aber Sie haben als einziger und erster Arzt der Welt die Möglichkeit, ein lebendes Menschenherz zu transplantieren. Einen Muskel. Einen Motor. Sie sind ein ärztlicher Mechaniker, der einen Motor austauscht!«

«Sie sind ein Satan!«sagte Dr. Volkmar erschüttert.»Ich rühre mich nicht.«

«Dann wird Dr. Nardo es machen.«

«So wie bei den Schimpansen?«

«Ja.«

«Da waren grobe technische Fehler.«

«Machen Sie es besser, Enrico!«

«Nein!«

«Dr. Nardo, fangen Sie an!«Sorianos Stimme klang hart und kalt.»Ohne Experimente kein Fortschritt!«

Dr. Volkmar blieb sitzen, lehnte den Kopf weit zurück und schloß die Augen. Er hörte, wie im OP I die Arbeit begann, und er wußte, daß nicht nur das fürchterlichste Experiment der Medizingeschichte begonnen hatte, sondern auch, daß Dr. Nardo dieser Aufgabe, wenn man es so nennen wollte, nicht gewachsen war. Im OP II geschah Ähnliches: Man eröffiiete den Thorax des jungen Bisenti. Hier konnte man lässiger vorgehen. Leone war ja klinisch tot, nur die Herzpumpe arbeitete noch. Volkmar sah hinter seinen zusammengedrückten Lidern jeden Handgriff, der jetzt an den Tischen getan wurde, er hörte die leisen Angaben des Operateurs von Tisch

I — es war Dr. Nardo —, das Klappern der Instrumente, das Schlürfen und Schmatzen des Blutabsaugers, das rhythmische Knirschen der Herz-Lungen-Maschine, und er roch das Blut und plötzlich den ätzenden Gestank von verbranntem Fleisch.

Er konnte nicht anders: Er zuckte hoch und sprang von seinem Stuhl.

«Wer koaguliert da?!«schrie er.»Welches Rindvieh arbeitet mit dem Elektromesser?!«

«Machen Sie's besser, Enrico!«sagte Dr. Sorianos Stimme ruhig.

Dr. Volkmar stürzte zu dem OP-Tisch. Er riß Dr. Nardo das Elektromesser aus der Hand und warf es weg. Die OP-Schwester stellte sofort den Strom des Gerätes aus. Mit ein paar Schritten ging Dr. Nardo um den OP-Tisch herum und übernahm die Stelle des 1. Assistenten. Hinter seinem Mundschutz konnte man sein Lächeln nicht sehen. Er hatte Dr. Volkmars Reaktion erwartet, hatte sie durch bewußte Fehler provoziert. Kein Arzt kann da ruhig sitzen bleiben und so tun, als ginge ihn das alles nichts an.

Dr. Volkmar nagte an der Unterlippe. Das OP-Team war eingespielt, man sah es sofort, er hatte es schon bei der Panzerherz-Operation bemerkt: Der Brustkorb war in bewundernswerter Schnelligkeit eröffnet worden, der Anschluß an die Herz-Lungen-Maschine war fast beendet. Vom OP II kam über Lautsprecher die erste Anfrage:»Wann seid ihr soweit? Bei uns ist alles bereit zum Transport.«

Volkmar blickte nach oben in die OP-Lampe, in das glitzernde Fernsehauge.

«Was ich hier mache, ist ein Verbrechen, Don Eugenio!«schrie er in ohnmächtiger Verzweiflung.»Hier wird ein Herz verpflanzt ohne die geringsten biochemischen Tests, ohne jede Voruntersuchung, ohne jede.«

Er schwieg. Seine Stimme versagte.

Volkmar beugte sich wieder über den offenen Thorax. Das Herz von Arrigo Melata, von einem >Mitarbeiter< Gallezzos mit einem derart stumpfen und ausgezackten Messer durchstochen, daß eine normale Herznaht völlig unmöglich war, zuckte nur noch unter dem Pumpwerk der maschinellen Impulse. Im Schreiber des EEG aber waren die Hirnströme fast normal! Der Neurologe am Gerät gab nüchtern seine Kommentare durch.

«Anschluß beendet!«sagte Dr. Nardo kühl. Das bedeutete, daß Melatas Herz überflüssig war. Er lebte nur noch durch die Maschine.

Von jetzt an herrschte atemlose Spannung in beiden OPs. Im OP

II konnte man über ein Fernsehbild auch sehen, was an Tisch I geschah.

Wie ging Dr. Volkmar vor? Was tat er jetzt? Welche Anordnungen würde er gleich geben? So etwas hätte man unter normalen Umständen in langen Vorsitzungen mit den Ärzteteams besprochen, Griff für Griff, sekundengenau, generalstabsmäßig festgelegt. Hier aber stand Dr. Volkmar vor einer Situation, in der es nur zwei Entscheidungen gab: den Mut des Genies — oder die Kaltschnäuzigkeit eines Vabanque-Spielers.

Durch den schrecklichen Stich war die ganze linke Herzkammer zerstört. Würde Dr. Volkmar sie durch die Herzkammer des jungen Bisenti ersetzen? Es war die Operation, die man immer wieder im Tierexperiment geübt hatte: die partielle Transplantation.

Volkmar holte ein paarmal tief Luft. Eine Schwester wischte ihm mit einem kalten, in Sterillösung getauchten Tuch den perlenden Schweiß von der Stirn und aus den Augen. Ein scharfer Geruch von reinem Alkohol zog in seine Nase. Erst dann hatte er wieder Ton in seiner Kehle.

«Das Herz!«sagte er, noch immer mühsam.

«Wie bitte?«Die Gegenfrage aus OP II.

«Das ganze Herz!«sagte Volkmar laut. Und dann brüllte er:»Das ganze Herz!«

Dr. Nardo und alle Ärzte um Tisch I starrten ihn an wie ein Gespenst. Auch die Internisten, Anästhesisten und Neurologen blickten zu ihm hinüber, als sei er plötzlich verrückt geworden. Das ganze Herz?! Der Mann dreht durch.

«Das ganze Herz.«, antwortete eine heisere Stimme aus OP II.»Wie Sie wünschen, Chef..«