«Ich halte die Wette!«Volkmar stieß sich von der Wand ab. Er schrie:»Aber anders, Don Eugenio! Ich werde Loretta in mein Bett nehmen! Nun? Was sagt der Herr Vater dazu? So bringen Sie mich doch um! Ihre Krokodile und Löwen haben Hunger! Warum sagen Sie nichts? Warum tun Sie nichts? Warum stehen Sie nur herum?! Ich schreie Ihnen ins Gesicht: Ich nehme Loretta in mein Bett!!«
«Sie sind überarbeitet, Dottore«, sagte Soriano ruhig. Seine Stimme verriet Güte, klang väterlich.»Überreizt. Mit den Nerven total fertig. Wen wundert das?! Wer das hier miterlebt hat. Sie haben das Recht, hysterisch zu sein.«
«In meinem Bett wird sie liegen! Heute noch!«schrie Volkmar.»Sie haben mich zerbrochen. Das wird Sie zerbrechen!«
«Irrtum!«Dr. Soriano nötigte ihn durch die offene Tür.»Auch wenn ich andere Pläne mit Loretta hatte — man kann umdisponieren. Ich gewinne einen Schwiegersohn, der ein Genie ist! Der meine Herzklinik aufbauen wird! Für den eine Herzverpflanzung nicht komplizierter als ein Blinddarmschnitt sein wird. Was kann sich ein Vater Besseres wünschen? Enrico, fahren wir endlich! Loretta erwartet Sie mit bebendem Herzen. Verdammt, ich gestehe es Ihnen als Vater: Sie liebt Sie wirklich!«
Er ging voraus, und Volkmar folgte ihm, schwankend wie ein Betrunkener.
Anna erlebte die Überfahrt nach Palermo unter Deck. Sie schrubbte Gänge und Kabinen, Küchen und Säle, Magazine und Treppen, wehrte Matrosen, Stewards, Maschinenpersonal, Köche, sogar Offiziere und Passagiere ab, die entdeckten, daß sich unter den schlichten Röcken und Blusen ein strammer Körper verbarg. Das wurde besonders sichtbar, wenn sie sich beim Putzen bückte. Ein Passagier der I. Klasse versuchte es mit zwanzigtausend Lire; ein älterer Passagier der II. Deckklasse lauerte ihr an einem Treppengang mit offener Hose auf.
Es war ein lächerliches Bemühen. Wenn auch die Seeluft, so sagt man, durch ihren Gehalt an Salz und Jod stimulierend wirkt und Menschen am Rande der Impotenz noch einmal Saft in den Lenden spüren — für Anna gab es nur den Gedanken an Enrico, gab es nur die Sehnsucht nach Rache für den Tod Luigis und nach der Umarmung des schönen Dottore. Wie es die alte Sitte verlangte, wollte sie dann das Bettuch zeigen, blutbefleckt: den Beweis ihrer Jungfräulichkeit. Aber nur Enrico allein sollte es sehen; dann wollte sie das Bettuch zusammenrollen und für alle Zeiten, bis zu ihrem Tode, aufbewahren wie eine Reliquie.
So tat sie etwas Grausames: Dem Mann mit den zwanzigtausend Lire gab sie eine Ohrfeige, dem alten Kavalier mit der offenen Hose trat sie gegen das letzte Aufflackern seiner Zier. Gleichermaßen verfuhr sie mit einem Offizier, einem Koch und einem Heizer, der sich ihr faunisch von hinten näherte. In ihre winzige Kammer direkt über den stampfenden Maschinen schloß sie sich ein, preßte die Hände in ihren Schoß und sprach in der Dunkelheit mit Enrico.»Komm her — «, sagte sie.»Komm her, mein Wölfchen… Mach alles mit mir. Zerreiß mich! Ich gehöre ganz dir. Aber vorher, mein Liebling, laß mich noch den Mann töten, der Luigi aufgeschlitzt hat. Das bin ich uns allen schuldig.«
So schlief sie dann ein. Die Hände zwischen den Schenkeln und durchdrungen von einer Wärme, die ihren ganzen Körper wohlig erschauern ließ.
Der Gedanke, Enrico könne für sie unerreichbar sein, kam ihr nie. Warum auch? Sie war schön, sie war willig, sie war rein, sie war treu, sie war häuslich, sie konnte arbeiten und leiden, lieben und hassen, glücklich und demütig sein. Was wollte ein Mann noch mehr von einer Frau?
Auf dem festlich gedeckten Dachgarten der Villa bei Solunto trug der Butler Worthlow in seiner weißen Uniform die Vorspeise auf: geeiste Melonenkugeln mit Königskrabben in einer ganz zarten Madeirasoße.
Die Markise war heruntergelassen, die Laternen brannten, das Meer rauschte leise. Soriano und Volkmar trugen ihre weißen Smokings. Um sie herum leuchtete die Pracht des Dachgartens, schimmerte das Wasser des Pools im Licht der Unterwasserscheinwerfer, zirpten im Park die Zikaden, und im fernen Innenhof rumorten dumpf die Löwen.
Loretta saß neben Volkmar und hielt seine rechte Hand fest. Der Schleier ihres langen, schwarzen Seidenhaares lag halb auf seiner Schulter, so nah war ihm ihr Körper in dem engen Kleid, das nur aus bunten Blüten zu bestehen schien. Daß ein Mensch so schön sein konnte, war unbegreiflich.
«Ich hebe mein Glas auf ein Genie!«sagte Dr. Soriano. Worthlow hatte die Gläser mit goldgelbem Wein gefüllt.»Er ist eins, Loretta, er weiß es bloß selbst noch nicht.«
«Aber ich weiß es. «Sie nahm ihr Glas, zupfte eine Rose aus ihrem Haar und ließ sie in den Wein fallen. Dann reichte sie das Glas
Volkmar, und jetzt wäre jedes Wort von ihr zuviel gewesen.
Er trank, die Rose blieb an seinen Lippen haften, und ihm war, als küsse er durch sie Lorettas Mund. Sein Blick streifte Sorianos Gesicht, das ausdruckslos wie eine Maske war.
Als zwischen dem Hauptgericht und dem Dessert Don Eugenio zum Telefon gerufen wurde, waren sie endlich allein. Nur Worthlow stand im Hintergrund, er garnierte das Dessert.
«Ich liebe dich«, sagte Volkmar leise.
«Ich dich auch, Enrico«, antwortete sie ebenso leise.
«Weißt du, was heute geschehen ist?«
«Worthlow hat es mir erzählt.«
«Kann man Worthlow vertrauen?«
«Er ist der einzige hier, der nicht käuflich ist. Aber niemand weiß es.«
«Wie sehr liebst du mich?«Er küßte ihre Hand.»Ich weiß, es ist eine kitschig dumme Frage. Aber sie muß sein.«
«Ich liebe dich so, wie ich mir nie habe vorstellen können, daß man einen Menschen lieben kann.«
Er umklammerte ihre schmale Hand. Die langen Nägel ihrer Finger schnitten in sein Fleisch.»Loretta, ich muß hier weg! Ich muß aus dem goldenen Käfig heraus. Was man hier plant, ist das Furchtbarste, was Menschen je erdacht haben! Ich habe noch keine Beweise, aber ich ahne es! Loretta, hilf mir! Ich muß hier weg!«
«Ich helfe dir. «Sie küßte seine Hand. Im Nebenraum hörten sie Soriano sprechen. Er gab Befehle. Man hörte es am Klang seiner Stimme.
«Ich bereite alles vor«, flüsterte Loretta.
«Du willst mitkommen?«fragte er. Seine Kehle war zugeschnürt.
«Wohin du auch gehst«, sagte sie leise.»Und wenn es ins Nichts führte.«
Soriano kam zurück. Worthlow trug das Dessert auf. Eisbombe a la Cardia: eine Eisplastik in Form eines Herzens. Soriano liebte makabre Scherze.
Der Fischer Giovanni Responatore hatte eine schlimme Zeit hinter sich und eine noch schlimmere vor sich, aber das wußte er nicht. Anlaß war Dr. Angela Blüthgen, die der Polizeikommissar in Giovannis Hütte eingewiesen hatte. Aber nicht ihre Anwesenheit brachte den bisher so ruhigen Haushalt durcheinander, denn sie ging meistens am Strand spazieren, sondern Recha, ausgerechnet Recha, Giovannis Frau, der man nicht viel mehr zutraute, als daß sie Fische entschuppen und braten konnte, entdeckte in sich, nach fünfunddreißig Ehejahren, den Urinstinkt der Eifersucht.
Nicht daß Dr. Blüthgen dazu Anlaß gab — um so etwas Wahnsinniges auszuschließen, brauchte man nur Giovanni Responatore anzusehen —, aber Giovanni, von Rechas Reizen wirklich nicht verwöhnt, sah Angela einmal im Badeanzug am Meer und war von dieser Stunde an das Opfer einer ihm unerklärlichen Hormonrevolution.
Er flickte seine Netze jetzt mit einer nie gekannten Hingabe, deckte den wackeligen Holztisch mit einer Papierserviette (er hatte hundert Stück aus dem Kaufhaus von Cabras geholt, bezahlt von der ersten Miete), er putzte sogar die Gläser, aus denen sie den Wein tranken, mit einer Bürste, die an einem biegsamen Drahtstiel befestigt war (auch aus dem Kaufhaus von Cabras) und nannte Re-cha eine alte Drecksau, wenn sie in verletztem Hausfrauenstolz fragte, warum man plötzlich sauberer sein müßte als beispielsweise das Krankenhaus von Oristano, wo sie vor dreiunddreißig Jahren eine Fehlgeburt gehabt hatte.