«Das ist eine Dame!«schrie der Fischer.»Eine deutsche Ärztin. Die trinkt keine Ziegenmilch aus der Zitze!«
«Aber ihre Zitzen bringen dich um den Verstand, du alter Bock, was?«schrie Recha zurück.»Wenn sie am Strand mit dem Arsch wackelt, mit den Brüsten schaukelt, dann stehst du geil hinter deinen Netzen und hakst dich in die Maschen fest. He?«
Sie war eben ein ordinäres Weib, diese Recha Responatore. Der schöne Name paßte gar nicht zu ihr. Aber Giovanni ertrug es mit großer innerer Kraft, fischte aus einer kleinen Felsenwanne herrli-che Calamaris aus dem Meer und zeigte Dr. Blüthgen, daß man die Fangarme auch roh aussaugen konnte — was sie gar nicht mochte —, oder er fischte einen Haufen Seeigel, die, im schwimmenden Fett gebacken, wie zu Kugeln geschnittene Pommes frites schmeckten. Das beste aber waren seine frischen Langusten und ein Fisch, dessen Name Angela nie verstand, ein langer, schmaler Fisch mit silberschuppigem Leib und spitz zulaufendem Maul, einem Hecht ähnlich, auf jeden Fall ein Raubfisch, der kaum Gräten hatte und völlig weißes Fleisch, das wie ganz zartes Kalbfleisch schmeckte. Dieser Fisch in einer einfachen Buttersoße mit frischen Kräutern, dazu warmes, noch dampfendes Weißbrot, das Recha selbst in einem uralten Steinofen hinter der Hütte buk — was gab es Köstlicheres zu einem Glas mit dunkelrotem Landwein?
Auch wenn Dr. Blüthgen aß, sah ihr Giovanni begeistert zu. Welche Kultur! Wie sie Messer und Gabel hielt, wie sie den Löffel zu den geschminkten Lippen führte, wie sie mit ihren schönen Händen das dampfende Brot brach — es war ein Genuß, ihr zuzusehen. Recha schmatzte und rülpste zwischendurch, kratzte sich zwischen zwei Bissen an der Brust — und die konnte sich sehen lassen wie zwei ausgereifte Kürbisse — und saß breitbeinig am Tisch, als solle das Essen, das sie oben hineinschaufelte, sofort wieder aus ihr herauslaufen. Wen wundert es, daß jedesmal, wenn Angela Blüthgen am Strand spazieren ging, im Hause der Responatores der Teufel los war, Recha wie eine Furie wütete und ihren Giovanni mit den unanständigsten Namen belegte.
Das änderte sich, als zwei Carabinieri auf ihren schweren Maschinen bei Giovanni erschienen, die fürchterlich knatternden Motoren abstellten, die Lederhelme abnahmen und ins Haus traten. Recha putzte gerade die alten Dielen, auf die Giovanni seit zwei Tagen nicht mehr spuckte, was er doch siebenunddreißig Jahre lang getan hatte, und Giovanni selbst nahm die weißfleischigen Fische aus, die er im Morgengrauen schon gefangen hatte. Dr. Blüthgen ging wieder am Meer spazieren. Im Augenblick saß sie im Sand, vor der Sonne geschützt durch einen breitkrempigen Strohhut, den Körper nur mit einem bunten Bikini bedeckt. Giovanni hatte bei diesem Anblick tief aufgeseufzt.
«Wir haben ihn gefunden«, sagte einer der Carabinieri und setzte sich. Er war dankbar, daß Recha schneller als Giovanni reagierte, eine Korbflasche Wein und vier Tonbecher auf den Tisch stellte und einschenkte. Er trank mit einem Schluck den Becher leer, und auch der andere Polizist hatte etwas herunterzuspülen: den schrecklichen Anblick einer Wasserleiche, die nicht nur das Salzwasser, sondern offensichtlich auch eine Schiffsschraube zerstört hatte. So etwas sieht man nicht alle Tage, und es gehört auch nicht zum Ausbildungsprogramm der Polizei.
«Wen?«fragte Giovanni dumm. Dann begriff er, umklammerte seinen Tonbecher und starrte hinaus zum Fenster. Von hier aus sah man nur den großen Strohhut am Meer.»Madonna«, stammelte er.»Wo?«
«Er lag zwischen den Klippen vom Capo Mannu. Nördlich, in einer Bucht. Die Strömung der letzten Flut hat ihn angeschwemmt. «Der Polizist füllte aus der Korbflasche noch einen Becher voll Wein und trank, als käme er aus der Wüste.»Der Kommissar hatte schon so eine Ahnung. Man hat die Strömung studiert; wenn er wieder an Land kommen sollte, dann mußte es irgendwo dort sein. Und siehe da. Auf das Meer ist Verlaß.«
«Und ihr seid sicher, daß er es ist?«fragte Giovanni mit belegter Stimme.
«Er hat seine Badehose noch an. Der Kommissar sagt, daß nach der Beschreibung der Badehose gar kein Zweifel mehr besteht.«
«Dann wäre der Fall gelöst?«fragte Recha.
«Das ist er.«
«Dann kann sie wieder abreisen«, sagte Recha nüchtern.
«Ist sie nicht ein rohes Weib?«schrie Giovanni.»Ein Herz wie ein Kieselstein! Ich armer Mann! Habe fünfunddreißig Jahre mit einem Stein gelebt!«
«Wer sagt es ihr?«fragte der andere Polizist und stärkte sich mit einem kräftigen Schluck.
«Das ist es!«Giovanni starrte wieder auf den leuchtenden gelben Strohhut am Meer.»Sie wartet darauf. Aber wenn's dann soweit ist, weiß man nie, wie man's ausdrücken soll. Man kann doch nicht hingehen und sagen: >Signora, Ihr Bräutigam klebt zwischen den Klippen von Capo Mannu. Aber Sie erkennen ihn nur wieder an seiner Badehose.< Das geht doch nicht! Man muß es ihr schonend beibringen. «Er sah die Polizisten an.»Ist das nicht Aufgabe der Beamten?«
«Dazu sind wir gekommen. «Der erste Polizist begann zu schwitzen.»Ihr das zu sagen, geht ja noch. Aber die Gegenüberstellung. Die Identifizierung! Ich habe ihn angeguckt und sofort gekotzt. Wenn jemand in eine Schiffsschraube gerät.«
Er schwieg erschüttert. Auch ein Carabiniere ist nur ein Mensch.
«Wie benimmt sie sich?«fragte der andere.
«Wie eine aus dem Film!«schnaubte Recha.»Wackelt den ganzen Tag herum. Gestern hat sie sogar nackt gebadet.«
«Was hat sie?«schrie Giovanni.»Wann?!«
«Am Abend. In der Dunkelheit. Du lagst schon im Bett! Dem Himmel sei Dank! Läuft da nackt am Meer herum und rennt in die Wellen, als wollte sie sich von einer ganzen Kompanie Männer bespringen lassen! Dann ist sie am Strand hin und her gerannt, bis sie trocken war! So eine ist das!«
«Und sonst?«
«Genügt das nicht?«brummte Recha.»Sieht so Trauer aus?!«
«Soll sie sich in Asche wälzen?«schrie Giovanni.
«Vielleicht tut sie's jetzt, wenn sie ihn sieht. «Die Polizisten erhoben sich, stülpten die Lederhelme über und tranken ihre Weinbecher aus.
«Die ist zäh!«sagte Recha böse.»Oh, die ist zäh! Die schreit nicht, die fällt nicht um, die kotzt nicht wie ihr Memmen von Männern! Jetzt hat sie endlich, was sie wilclass="underline" Sie kann ihn mit nach Deutschland nehmen.«
Angela erhob sich aus dem Sand des Strandes, als die beiden Polizisten langsam auf sie zukamen, drückte den breiten Strohhut tiefer ins Gesicht und kam ihnen sogar entgegen: eine Frau, bei deren jeder Italiener leise durch die Zähne pfeift.
«Man hat ihn gefunden, nicht wahr?«fragte sie, bevor einer der Carabinieri den Mund öffnen konnte.
«Ja.«
Ihr Gesicht blieb unbewegt, obgleich in ihrem Inneren etwas zerriß. Ein Körnchen Hoffnung war ihr ja immer noch geblieben; der wahnsinnige Gedanke, Heinz sei abgetrieben und später von einem Schiff aufgefischt worden. Bis man Nachricht geben konnte, waren schnell ein paar Tage herum. Aber das war auch nur eine verzweifelte Hoffnung gewesen, das letzte, was Angela sich einreden konnte. Nun hatte man ihn gefunden. Ein Abschnitt des Lebens, ein großer, schöner, war abgeschlossen. Jetzt folgte eine Leere, von der Angela noch nicht wußte, wie sie sie ausfüllen sollte. Mit Arbeit in der Klinik, mit Männern, die nur dazu da sein würden, die Erinnerung an Heinz Volkmar auszulöschen. Aber das würde wohl keinem gelingen. Konnte man mit körperlicher Lust die Seele betäuben?
«Wo?«fragte sie.
«Nördlich. Am Capo Mannu. Vor zwei Stunden. Eine Frau, die Krebse suchte, fand ihn. Sie wurde ohnmächtig.«
Das war feinfühlig ausgedrückt. Jeder geistvolle Mensch konnte daraus hören, wie die Leiche aussah. Auch Angela verstand den armen Polizisten, der nach diesen Worten gerungen hatte.
«Wo ist er jetzt?«fragte sie leise.
«Im — im Keller des Kommissariates, Signora. «Der Carabiniere nahm seinen Lederhelm ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn.»Wenn Sie mit uns kommen können. Zur Identifizierung. Sie wissen, das ist nötig. Sonst, sonst bleibt er ein unbekannter — unbekannter Toter.«