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«Ich will euch aufzählen, was ich besitze«, sagte Dr. Volkmar.»Eine Dreizimmerwohnung in Harlaching, gemietet, kein Eigentum. Das Auto, das ihr kennt, die Zeltausrüstung, sechs Anzüge, einen schwarzen, einen weißen Smoking — ich gehe gern, wenn es die Zeit zuläßt, ins Opernhaus — ein Bankkonto mit, glaube ich, rund siebentausend Mark, eine Lebensversicherung auf Rentenbasis, wo ich ab 65 Jahre eintausendzweihundert D-Mark Monatsrente bekomme, die übliche Wohnungseinrichtung. Schluß. Wo wollt ihr da eine Million D-Mark herauskitzeln?«

«Du hast keine reiche Freundin?«fragte Anna leichthin. Aber aus den Augenwinkeln beobachtete sie ihn genau.

«Nein.«»Warum nicht?«

«Warum hast du keinen reichen Freund? Bei dir wäre es kein Problem.«

«Und bei dir?«

«Ich bin mit meinem Krankenhaus verheiratet. Das klingt abgedroschen, ich weiß, aber es ist nun mal so. Es muß auch Typen wie mich geben.«

«Wir werden es versuchen!«schrie Luigi und sprang auf.»Wer sagt mir, daß du nicht bluffst? Wir werden abwarten, was die Zeitungen schreiben, wenn dein Verschwinden bekannt wird. Dann wissen wir genau, wer du bist! Und was du wert bist!«

«Darauf bin ich selbst gespannt«, sagte Dr. Volkmar ehrlich.»Es kann sein, daß wir dann alle hier am Tisch sitzen und uns anweinen, weil keiner von uns das wert ist, was er erhofft hat. Wißt ihr, wie es sein wird? Folgende Meldung wird in allen Zeitungen stehen: >Auf Sardinien ist der deutsche Arzt Dr. Heinz Volkmar spurlos verschwunden. Sein Zelt am Strand von Capo San Marco war leer. Man nimmt einen Badeunfall an. Dr. Volkmar hinterläßt keine Familie.< Aus! Und schon am nächsten Tag wird keiner mehr wissen, wer dieser Dr. Volkmar gewesen ist. Journalistisch ein Vierzeilen-Mensch! Und so etwas habt ihr geklaut!«

Er lachte laut, trat an den Rand des Adlernestes und blickte über das weite Land. Nun können sie mich hinunterstoßen, dachte er. Ich bin ihnen jetzt lästiger als eine Fliege.

Er spannte seine Muskeln an. Jemand berührte ihn von hinten. Es war Anna, die ihm die Arme über die Schulter legte und ihren Kopf gegen seinen Rücken drückte.

«Das ist schön«, sagte sie,»daß du fast so arm bist wie wir.«

«Sieh dir die dämliche Kuh an!«schrie Luigi in heller Wut seinem Bruder Ernesto zu.»Oh, wenn er sie bloß anfaßte! Dann könnte ich ihn mit einem Gebet auf den Lippen erschießen!«

Es dauerte vier Tage, bis man am Capo San Marco merkte, daß das schöne blaue Hauszelt mit dem gelben Vordach leer war. Und auch das entdeckte man nur durch Zufalclass="underline" Eine Streife der Carabinieri sah das Zelt am Strand und stieg hinunter, um sich den einsamen Gast einmal anzusehen. Immerhin kommt es im Zeitalter des Massentourismus nicht gar so häufig vor, daß einer Robinson auf Zeit spielt. So einen muß man begrüßen und ein paar freundliche Worte mit ihm reden.

Zunächst ahnten die beiden noch nicht, daß sie einen ganz dicken Fall entdeckt hatten. Erst als nach einer Stunde der Besitzer des Zeltes noch nicht aufgetaucht war, betrat einer der Polizisten das innere Zelt, sah das zerwühlte Lager, den Trainingsanzug, die auf dem Gummiboden liegende Stablampe und die offene Kleiderkiste, aus der man anscheinend in großer Eile etwas zum Anziehen herausgesucht hatte.

Die Möglichkeit, der Fremde könne in Cabras zum Einkaufen sein, schied aus, als man im Pinienhain das abgestellte Auto mit der deutschen Nummer fand. Es war sogar unverschlossen, ein Autoatlas lag auf dem rechten Vordersitz, und aus dem Atlas fiel den Carabinieri die grüne Versicherungskarte in die Hände.

Dr. Heinz Volkmar. München-Harlaching.

Über ihr an den schweren Motorrädern montiertes Sprechfunkgerät gaben die Polizisten die Meldung an die Polizeizentrale in Ori-stano durch. Nur informell.

«Bleiben Sie beim Zelt!«kam der Befehl aus dem Präsidium.»Wir schicken eine Kommission.«

Von diesem Augenblick an veränderte sich das Leben Dr. Volkmars gründlich. Wenn jemand bereit gewesen wäre, für ihn eine Million zu bezahlen, wäre alles nicht geschehen, was später schreckliche Wahrheit wurde.

Zunächst lief der Behördenapparat träge an.

Das Zelt wurde gründlich untersucht und eine Bestandsaufnahme seines Inhalts vorgenommen. Für drei Tage und drei Nächte wurde ein junger Polizist abkommandiert, der in dem Zelt wartete und schlief, denn es war immerhin denkbar, daß dieser Dr. Volkmar im

Wagen eines Bekannten einen Ausflug ins Innere der Insel gemacht hatte. Nach drei Tagen aber setzte sich bei den Behörden die Überzeugung durch, daß ein Unglück geschehen war. Über einen Fernschreiber waren nähere Auskünfte von der Polizeidirektion München eingetroffen, die sich beim Einwohnermeldeamt, in der Klinik und in dem Haus, in dem Dr. Volkmar wohnte, umgehört hatte.

«So etwas kommt immer mal vor!«sagte am Abend des dritten Tages der diensttuende Inspektor der Carabinieri in Oristano zu den wartenden Journalisten.»Das Meer ist blau und sanft, und das verlockt die Fremden dazu, leichtsinnig zu werden. Was wissen die schon von den gefährlichen Unterströmungen? Auch dieser Dr. Heinz Volkmar — «, der Inspektor mußte den Namen mühsam ablesen, weil er für einen Italiener so unmelodiös klang,»ist ein Opfer seines Leichtsinns geworden. Vielleicht wird er eines Tages angeschwemmt, dann haben wir die Gewißheit. Also, Jungs, dann schreibt erst mal, daß ein mysteriöser Unglücksfall den deutschen Dottore mit größter Wahrscheinlichkeit getötet hat. Mysteriös ist immer gut; das hält uns den Rücken frei! Taucht er wieder auf. na gut! Was kann man gegen Mysterien machen, bitte?!«

Luigi kam am vierten Tag aus Aritzo, einem Bergdorf im Massiv der Monti del Gennargentu, zurück und knallte die Zeitung auf den Tisch. Sein Gesicht war unheilvoll dunkel, er tippte mit dem Zeigefinger auf den Artikel und setzte sich dann neben seinen Bruder Ernesto auf die Holzbank. Anna und Volkmar saßen um eine große Holzschüssel und zupften Salatköpfe auseinander.

«Es steht drin!«knurrte Luigi und pochte mit der Faust auf die Zeitung.»Ernesto, lies vor. Du kannst am besten lesen. O maledetto! Wären wir doch lieber beim Ausplündern von Geschäften geblieben! Lies!«

Ernesto zog die Zeitung an sich, überflog stumm den Artikel und grinste Volkmar breit an.»Schön schreiben sie über dich«, sagte er.

«Bist ein berühmter Mann, aber arm. Kein guter Geschäftsmann, Enrico.«

«Lies!«brüllte Luigi.

Ernesto setzte sich zurück, als wolle er ein Gedicht vortragen, und hob die Zeitung näher an seine Augen:

«In einer abseits vom Fremdenverkehr gelegenen Bucht am Capo San Marco ist der deutsche Tourist Dr. Heinz Volkmar seit einigen Tagen spurlos verschwunden. Sein Zelt und sein Auto wurden unversehrt gefunden, von Volkmar fehlt dagegen jede Spur. Die Polizei nimmt an, daß Dr. Volkmar beim Baden im Meer ertrunken ist. Das ist um so mysteriöser, als Dr. Volkmar ein vorzüglicher Schwimmer war und schon zum zehnten Mal auf Sardinien weilt. Alle Suchaktionen blieben bisher ohne Erfolg.

Dr. Volkmar galt als einer der besten Herzchirurgen Deutschlands. Seit Jahren beschäftigt er sich mit dem Problem der Herztransplantation und der Implantation der großen Gefäße. Seine Forschungen brachten das bisher utopische Problem des >Zweiten Her-zens< nahe an die Möglichkeit einer Verwirklichung.«

Ernesto ließ die Zeitung sinken und starrte Volkmar entgeistert an.»Das bist du?«sagte er gedehnt.

Dr. Volkmar winkte ab.»Die übliche journalistische Übertreibung. «Sieh an, dachte er. Sie haben meine Arbeiten doch zur Kenntnis genommen. Bisher galt ich als der große Spinner, als ein Phantast am Skalpell. Erst nach dem Tode ist man bereit, anzuerkennen, daß der Weg zum >Zweiten Herzen< beschritten worden ist und weitergegangen werden muß. Und Professor Hatzport? Er war zweimal im Forschungs-OP und hat sich die beiden Affen angesehen, denen ich ein zusätzliches Herz eingepflanzt hatte.»Technisch glänzend gelöst, mein lieber Volkmar!«hatte er gesagt.»Aber die Natur läßt sich nicht übertölpeln! Sie hat stärkere Waffen als Sie. Die Immunschranke, die biologische Individualität jedes Wesens, der Genetische Block — das bekommen wir nie in den Griff! Mit dem Messer können wir alles machen, aber besiegen werden uns immer, gerade bei Transplantationen, die Proteine! Das wissen Sie so gut wie ich. Volkmar, verschwenden Sie Ihre Energie doch für andere, realisierbarere Probleme.«