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«Nein. «Dr. Volkmar starrte Dr. Soriano an. Das ist nicht möglich, durchfuhr es ihn. Dieser Vater, für den seine einzige Tochter ein Heiligtum ist, könnte dieses Heiligtum zerstören, wenn es die Mafia verlangt? Undenkbar so etwas. Unfaßbar!

«Sie gehören jetzt fest zur Familie, Dottore«, sagte Soriano.»Es gibt kein Entrinnen mehr, auch wenn Sie jemals die Gelegenheit finden würden auszubrechen. Sie brächten nur unermeßliches Leid über Loretta — und mich! Ich weiß, mir gönnen Sie es. Aber Loretta können wir nicht ausklammern. Das ist das Geheimnis unserer Disziplin: Das Wissen, daß wir alle eine große Familie sind und alles gemeinsam tragen müssen.«

«In Wirklichkeit ist es eine unmenschliche Drohung!«

«So sehen Sie es, Enrico. «Soriano erhob sich von dem Eisenbett und trat an Loretta heran. Sie zog die Schultern hoch, als wehe von ihrem Vater ein eisiger Hauch über sie hinweg. Ihre Augen verengten sich etwas.

«Ich liebe ihn!«sagte sie laut.»Alles, was mit ihm geschieht, tut man auch an mir!«

«So ist es!«Soriano ging an seiner Tochter vorbei und blickte aus dem vergitterten Fenster. Unter ihm lag dunkel der Garten des Altersheimes, nur durch ein paar Laternen schwach beleuchtet. Wege zwischen Blumenbeeten, Bänke an Hecken, eine Liegewiese, ein Musikpavillon, ein kleines Freilichttheater. Das schönste Altersheim Europas, hatte man Soriano bestätigt. Nirgendwo wurde für die Alten soviel getan wie hier bei Palermo. Das gleiche würde man bald von dem neuen Kinderheim bei Camporeale sagen. Ein Erholungsparadies. Was in den Kellern geschah, blieb das Geheimnis der >großen Familie<.»Ihr werdet morgen wieder nach Solunto zurückkommen«, sagte Soriano.»Sie werden sich frei bewegen können, Dottore.«

«Auf einmal?«

«Alles, was Sie tun, ist zum Nutzen oder zum Schaden von Lo-retta.«

«Und wenn ich ihm helfe, alles das zu tun, was er will?«rief sie mit heller Stimme.

«Das wäre dumm. «Soriano drehte sich um und blickte seine wütende Tochter lange an. Etwas unendlich Trauriges, ja Hoffnungsloses lag in seinem Blick.»Das wäre sehr dumm. Und fürchterlich.«

Am nächsten Morgen kehrten Loretta und Dr. Volkmar in die Villa am Meer zurück. Zwei Autos mit schwerbewaffneten Männern begleiteten sie. Eins fuhr voraus, das andere dicht dahinter. Eine Eskorte, die keiner Überraschung ausgesetzt war. Wer sich über Loretta an Dr. Soriano rächen wollte, hatte keine Chance.

Im Gästehaus II war alles wieder so, wie es vordem gewesen war. Worthlow erwartete die Rückkehrer mit einem speziell gemixten erfrischenden Drink. Die Wohnung glich einer Blumenhandlung, überall standen große Vasen mit den herrlichsten Sträußen. In einem schweren silbernen Bilderrahmen steckte die Vergrößerung eines Fotos. Volkmar konnte es nicht übersehen.

«Sie wird heute aufgebaut, Sir!«sagte Worthlow in seiner steifen englischen Art.

Volkmar starrte auf das Foto.»So etwas von Herz-LungenMaschine habe ich noch nicht gesehen!«

«Es ist das modernste Modell aus den USA, Sir. Für Sie eigens herübergeflogen. Auch die elektronischen Meßinstrumente und die nuklearmedizinischen Apparate kommen aus Amerika. Heute morgen fliegen sechs Ihrer Ärzte nach Texas, um sich mit den neuen Instrumenten vertraut zu machen und sich anlernen zu lassen. Am 1. Dezember — zur Eröffnung des Kinderheimes — sind sie wieder zurück.«

«Das Datum steht also endgültig fest?«

«Jetzt ja.«

«Uns bleiben noch drei Monate«, sagte Volkmar später zu Loretta.»Das ist eine verhältnismäßig lange Zeit, um alles vorzubereiten. Wir können nur einmal flüchten. Mißlingt das, werden wir nie mehr eine Chance haben!«

Kapitel 12

Sie hatten schon jetzt keine Chance.

Jeden Tag wurde Dr. Volkmar mit einem Begleitkommando zum Altersheim gebracht und wieder abgeholt, wenn er anrufen ließ, daß seine Arbeit beendet sei.

Seine Arbeit: Herzverpflanzungen an Hunden und Schweinen, immer neue Versuchsketten mit Corticosteroiden, ACTH und Antihistaminika, um die Immunreaktion zu unterdrücken. Ein Laborteam hatte Versuche mit Zytostatika begonnen, also chemischen Präparaten zur Krebsbekämpfung und Tumorzerstörung. Eine dritte Gruppe arbeitete mit Antimetaboliten, chemischen Verbindungen, die den Stoffwechsel blockieren oder verändern können.

Die Erfolge zeigten sich nach zwei Monaten: Zum ersten Mal überlebte ein Hund mit einem neuen Herzen länger als drei Wochen.

Und auch dann starb er nicht an einer Immunreaktion, sondern durch einen Unglücksfall. Der Schimpanse Boco, bisher nur für medikamentöse Experimente mißbraucht, besuchte in der Nacht den operierten Hund, spielte mit ihm und drückte ihm dabei so hart auf den Brustkorb, daß die inneren Nähte einrissen. Er verblutete. Es war die Schuld des Tierwärters, der vergessen hatte, Bocos Käfig mit einem Schloß zu sichern, und nur den Riegel vorgeschoben hatte. Für den intelligenten Boco war es eine Freude gewesen, den Riegel wieder wegzuschieben und dann im Tierhaus herumzuspazieren.

Das Kinderheim bei Camporeale in den Bergen war vollendet. Auch die unterirdische Klinik war bis auf Kleinigkeiten eingerichtet und betriebsbereit. Ein paarmal besichtigte Dr. Volkmar seinen >Tatort<, wie er es nannte, immer begleitet von vier bewaffneten Männern oder von Dr. Soriano selbst. Außerdem war auch immer Dr. Nardo dabei, oder andere Ärzte erwarteten ihn in den drei OPs, den Labors, den technischen Räumen oder den später völlig sterilen Krankenzimmern.

Dr. Volkmar hatte nichts auszusetzen. Im Gegenteil. Die technisch vollkommenste Klinik entstand hier in völliger Anonymität. Mit solchen Möglichkeiten arbeiten zu dürfen, war der Traum jedes Chirurgen. Unerfüllbare Wünsche, vor allem in Deutschland, wo die Krankenhäuser überaltert und überlastet waren, die Kranken auf den Gängen lagen, die Labors in Kellerecken arbeiteten und die Sterbenden noch immer in die Badezimmer gerollt wurden, abgestellt zum letzten Atemzug. Hier aber wurde eine Klinik eingerichtet, bei der Geldsummen keine Rolle spielten. Für zehn Betten — mehr sah auch Dr. Soriano als unrealistisch an — der Aufwand einer chirurgischen Universitätsklinik! Und mehr als das: Ein perfektioniert durchkonstruiertes System, von der Voruntersuchung bis zur Intensivstation nach erfolgter Operation, das eine reibungslose Herztransplantation gewährleistete.

Neue Herzen gewissermaßen am Fließband. Eine WahnsinnsVision, die Dr. Soriano in die Realität hob.

Der 1. Dezember 1967 war ein milder, sonniger Tag mit einem lichtblauen Himmel, einem dieser sizilianischen Himmel, von denen Soriano sagte: Sie sind aus Samt.

In dem Dorf Camporeale wehten aus allen Fenstern Fahnen oder hingen, wie bei der Fronleichnamsprozession, Teppiche und gestickte Tücher an den Hauswänden. Madonnenfiguren, Kruzifixe, ernst blik-kende Heilige aus buntbemaltem Gips standen auf den Fensterbänken, in den Türen, auf der Straße. Vom Eingang des Dorfes bis zur Kirche war die einzige feste Straße mit einem bunten Blumenteppich belegt. Der Pfarrer von Camporeale, Don Caesare, rannte wie ein aufgescheuchter Riesenvogel herum, ließ die Glocke probeläuten, hörte dem Kinderchor noch einmal die Lieder ab und übte mit dem gemischten Kirchenchor immer wieder den Hymnus, der zu Ehren dieses Tages und des hohen Besuches erklingen sollte. Denn viel wichtiger für Camporeale als die Einweihung des neuen, riesigen Kinderheimes, das sich wie eine leuchtendweiße, hypermoderne Burg auf dem Hügel, drei Kilometer vom Dorf entfernt, erhob und ebenfalls von einem Wald wehender Fahnen umgeben war, war der Besuch des Kardinals von Sizilien in der kleinen Kirche und die Messe, die er dort lesen wollte. So etwas kommt in einem Jahrhundert nur einmal vor und vielleicht nie wieder, denn wer Camporeale kennt, kann verstehen, daß Kardinäle solche Plätze nicht mit Begeisterung besuchen, auch wenn die Gläubigen hier gläubiger sind als anderswo.